«Es ist ein Gewinn, biblische Stätten zu besuchen, die Jesus sah»
Jerusalem ist – neben Rom – Ihre
Lieblingsstadt. Über die israelische Stadt haben Sie ein Buch
geschrieben. Woher kommt Ihre Faszination für Jerusalem? Was beeindruckt
Sie an der Stadt?
Stefan Gödde:
Ich kenne keine andere Stadt auf der Welt, in der sich verschiedene
Kulturen, Nationen, Religionen und Weltanschauungen so sehr verdichten
wie in der Altstadt von Jerusalem. Ein unglaublich faszinierender Ort.
Und obwohl ich schon viele Male dort war, entdecke ich immer wieder
etwas Neues, lerne spannende Menschen kennen, die mir ihre Geschichten
erzählen. Jerusalem ist eine Schatzkammer. Und ich finde, jeder sollte
zumindest einmal im Leben dort gewesen sein, um das ganz spezielle
Lebensgefühl aufzusaugen. Und um diese besondere Spannung zu erleben,
die in der Luft liegt.
Und was fasziniert Sie an Rom?
Ähnlich
wie Jerusalem ist Rom randvoll mit den Themen Geschichte und Religion.
Und doch gibt es natürlich Unterschiede: Während im Heiligen Land nur
noch rund zwei Prozent der Bevölkerung Christen sind, ist Rom sozusagen
das Epizentrum des Katholizismus, mit dem Vatikan als Hauptquartier von
1,2 Milliarden Katholiken weltweit. Das prägt natürlich eine Stadt auf
eine beispiellose Art und Weise. Und ganz nebenbei ist Rom natürlich
auch eine der schönsten Städte der Welt. Deshalb freue ich mich sehr,
bald häufiger dort sein zu können – aktuell arbeite ich an einem Buch
über die Ewige Stadt.
Gab es für Sie einen konkreten Anlass oder Erlebnis, in dem sich Ihre Begeisterung für Jerusalem und Israel gründet?
Als
Jugendlicher habe ich in einem amerikanisch-jüdischen Feriencamp als
Kinderbetreuer gearbeitet – in der Nähe von New York. Dort habe ich
viele Israelis kennengelernt, mich mit ihnen angefreundet und habe sie
danach in ihrer Heimat besucht. Seitdem war ich schon viele Male in
Israel – ein Land, das flächenmässig nur so gross ist wie Hessen, aber
unglaublich viel zu bieten hat: unterschiedlichste Landschaften,
freundliche Menschen, tolles Essen, Beach-Life, faszinierende Städte.
Als Tourist kann man auf engsten Raum extrem spannende Kontraste
erleben.
Viele Touristen machen einen Bogen um
Israel, sie befürchten eine Gefahrensituation vor Ort. Wie erleben Sie
die Sicherheitslage im Land bei Ihren Besuchen?
Als
Tourist muss man sich darauf einstellen, auf der Strasse bewaffnete
Menschen zu sehen – das gehört in dieser Region der Welt einfach dazu.
Mich persönlich beunruhigt das nicht. Und Freunde vor Ort haben mich in
meiner Einschätzung immer wieder bestätigt: dass man als Tourist nicht
Teil des Konfliktes ist. Das heisst, niemand im Land hat ein Interesse
daran, dass Touristen zwischen die Fronten geraten oder sich bedroht
fühlen.
Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel?
Es
war für mich persönlich ein extrem berührendes Erlebnis – damals in dem
amerikanischen Ferienlager –, dass ich als junger Deutscher von den
Israelis so herzlich aufgenommen wurde. Denn historisch belasteter und
damit potentiell komplizierter könnte ein Verhältnis zweier Länder ja
nicht sein. Und doch habe ich den Eindruck, dass die junge Generation
einen Weg der Versöhnung gefunden hat. Das ist ein grosses Geschenk.
In
Ihrem Buch «Nice to meet you, Jerusalem» teilen Sie verschiedene
Erlebnisse mit Ihren Lesern: etwa ein Schabbat-Dinner im Haus eines
orthodoxen Rabbiners. Was war an diesem Erlebnis besonders für Sie?
Ganz
generell war es für mich als Christ sehr spannend, an einem
traditionellen Schabbat-Dinner teilzunehmen zu dürfen, die alten Lieder
mitzusingen, uralte Rituale kennenzulernen und diese ganz besondere
Atmosphäre am Schabbat-Tisch zu spüren. Besonders berührend fand ich den
Augenblick, als der Rabbi und seine Frau ihre acht Kinder segneten. Das
war ein ganz besonderer, ein sehr intimer Moment.
Sie haben auch einen nächtlichen Ausflug in die Grabeskirche gemacht. Wie haben Sie das erlebt?
Wer
jemals zur Hauptsaison in der Grabeskirche war, der wird mir Recht
geben: Es geht dort oft zu wie auf einem geschwätzigen Basar,
wortwörtlich. So viele Touristen und Pilger drängen sich dann durch die
heiligen Hallen. Aber während der Nacht bekommt der heiligste Ort der
Christenheit seine Würde zurück, denn dann feiern die verschiedenen
christlichen Konfessionen ihre heiligen Messen. Und es ist faszinierend,
diese Liturgien mitzuerleben – den Rhythmus der verschiedenen Sprachen
und Traditionen auf sich wirken zu lassen.
In
Jerusalem gibt es das Studio «Razzouk Tattoo» mit einer langen
Familientradition. Sie haben sich bei dem christlichen Tätowierer Wassim
Razzouk ein Tattoo stechen lassen und auch mit der Frage auseinander
gesetzt, ob man aus der Bibel ein Tattoo-Verbot für Gläubige ableiten
kann – Sie sind selbst Katholik. Warum haben Sie sich für ein Tattoo
entschieden? Wie haben Sie das Motiv ausgewählt?
Ja,
tatsächlich wirbt «Razzouk Tattoo» in Jerusalem mit der längsten
Tattoo-Tradition der Welt, ununterbrochen seit dem Jahr 1300,
mittlerweile in der 27. Generation. Aber nicht nur die Tradition ist
uralt, sondern auch die Olivenholz-«Stempel», mit denen die
Tattoo-Motive auf die Haut aufgebracht und dann mit einer modernen
Tätowiermaschine eingestochen werden. Der älteste Stempel ist 500 Jahre
alt, also ein halbes Jahrtausend. Er zeigt das traditionelle
Jerusalem-Kreuz. Genau dieses Motiv habe ich mir stechen lassen und mich
damit in die Jahrhunderte alte Pilgertradition im Heiligen Land
eingereiht. Das ist für mich etwas sehr Wertvolles und ein bleibendes
Andenken an Jerusalem.
Inwieweit machen die Besuche der Stadt und ihrer Stätten etwas mit Ihrem Glauben?
Ich
denke, dass es für jeden Gläubigen ein Gewinn ist, selbst einmal an den
Stätten zu sein, die in der Bibel beschrieben werden. Also zum Beispiel
mit eigenen Augen den See Genezareth zu sehen, den auch Jesus und seine
Jünger damals gesehen haben. Das kann den eigenen Glauben vertiefen und
helfen, die Schrift besser zu verstehen.
Sie
waren in Ihrer Kindheit Messdiener und Pfadfinder. Später wurde der
Glaube schwächer, doch er gewann im Rahmen einer lebensgefährlichen
Krankheit wieder an Bedeutung. Können Sie diese Entwicklung etwas
genauer schildern?
Tatsächlich
ist mir vor einigen Jahren plötzlich eine Ader eingerissen, eine
sogenannte «Dissektion». Das war kurzfristig sehr gefährlich, und doch
hat es mich langfristig geprägt. Denn wenn man in relativ jungen Jahren
mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert wird, dann ändert das
grundsätzlich den Blick auf die Dinge. Wir leben ja in einer Welt, in
der Krankheiten, Leid und Tod gerne mal verdrängt werden. Und doch ist
es wichtig, jeden Tag als Geschenk zu betrachten. Und dankbar dafür zu
sein. Denn Dankbarkeit ist ein sehr wichtiger Schlüssel zum Lebensglück.
Noch ein anderes Thema: Sie sind Botschafter des christlichen Hilfswerks World Vision. Warum?
Ich
bin vom Leben beschenkt worden mit vielen guten Dingen – privat und
auch beruflich. Und wenn ich ein bisschen von diesem Lebensglück
weitergeben kann an ein Kind in Afrika – und als Botschafter für diesen
guten Zweck auch noch werben darf –, dann macht mich das sehr froh.
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Datum: 22.04.2020
Quelle: PRO Medienmagazin | www.pro-medienmagazin.de