Das grosse Brausen an Pfingsten - nur ein Frontgewitter?

Ein Brausen am Himmel, Wind, Sturm, dazu Feuerzungen und allgemeine Sprachverwirrung - mit diesen Bildern beschreibt die Bibel das erste Pfingstfest. Was Wind mit dem Heiligen Geist zu tun hat und warum die Wettervorhersage für viele Menschen so wichtig ist, darüber sprach der Schweizer Fernsehwetterfrosch Jörg Kachelmann. Nina Schmedding: Über Pfingsten schreibt die Bibel, die Jünger Jesu spürten "vom Himmel her ein Brausen". Wie würden Sie ein solches Wetter im Fernsehen ankündigen?
Pfingsten.
Jörg Kachelmann

Das grosse Brausen und die Feuerzungen - das hört sich nach einem guten Frontgewitter an. Das gibt es vor allem im Sommer, wenn es länger heiss war und von Westen und Nordwesten her kältere Luft kommt. Die feucht-warme Luft, die vorher vom Süden eingeflossen war, wird schnell angehoben. Und die Wolkenwalze gibt es vorneweg. Das ist typisch für eine vorlaufende Konvergenz, das bedeutet, dass die Gewitter schon vor der eigentlichen Kaltfront losgehen. Das sind meist die stärksten. Da kann durchaus erhebliches Brausen auftreten - mit entsprechenden Windgeschwindigkeiten und richtig Blitz und Donner.

Der Wind gilt als Metapher, als Sinnbild für den Heiligen Geist.
Mit diesem Thema beschäftige ich mich nicht gerade jeden Tag. Aber es stimmt schon: Wer eignet sich besser zur Verbreitung des Heiligen Geistes als der Wind, der überall auf der Erde weht. Die Luftpartikel, die Moleküle, gelangen, wenn sie nur lange genug unterwegs sind, irgendwann einmal überall auf der Welt hin. Der Heilige Geist besteht ja auch darauf, von A nach B transportiert zu werden.

Über die theologische oder philosophische Bedeutung des Wetters habe ich mir allerdings bislang erst wenig tief schürfende Gedanken gemacht. Da kommen wir schnell zum Gottesbeweis und zur Frage, wer das alles gemacht hat. Und dazu, ob es wirklich sinnvoll und göttlich ist, dass es dauernd Unwetter gibt. In solchen Situationen, etwa auch nach dem Amoklauf in Erfurt oder dem frühen Tod meines Vaters, vertraue ich auf die tröstenden Worte der Pfarrer, die Unerklärliches zu erklären versuchen.

Sie haben einmal "stürmisches Wetter" als eines Ihrer Hobbys bezeichnet. Warum gefällt Ihnen das so gut?
Das kann ich nicht rational begründen, aber ich habe am liebsten Windstärke 10 aufwärts. Ich habe einfach gerne viel Wind, dann fühle ich mich gut. Ich stehe bei kräftigem Wind mit einem Windmesser in der Hand da - so ungefähr wie die Freiheitsstatue - und trotze den Elementen. Sanften Wind mag ich nicht. Der ist für Weicheier. Leichtes Säuseln ist höchstens sonntagvormittags gut, wenn man in die Kirche geht.

Was glauben Sie, warum den Leuten das Wetter so wichtig ist?
Das ist ein irrationaler und heidnischer Vorgang, für den ich drei Erklärungen habe. Erstens gab es früher, etwa in den 70er Jahren, noch spannendere Themen als das Wetter - gesellschaftliche, soziale, religiöse. Zweitens gab es weniger Freizeit. Drittens hat sich das Effizienzdenken mittlerweile auch auf die Freizeit übertragen. Wenn ich früher mit meinen Eltern zum Sonntagsausflug zum Vierwaldstätter See fuhr und es schiffte tierisch, war das halt so. Heute wäre das uncool. Die Bedingungen müssen immer optimal sein. Einfachere Dinge sind nicht mehr angesagt: zu Hause sitzen und spielen, in die Kirche gehen oder einfach in die Glotze gucken.

Heute muss man permanent etwas tun, das über die eigene Leere, das Nichts im Kopf hinwegtäuschen soll. Darum auch das ständige Theater bei den Wettervorhersagen, wenn mal nicht die Sonne scheint. Wir haben einfach einen falschen Umgang mit so genanntem schlechtem Wetter. Es muss schliesslich regnen, es soll regnen. Da stimme ich als Protestant mit der Kirche überein, dass alle Dinge, die vom Himmel kommen, göttlich sind. Wenn ich zwischen zwei Wochen Regen und zwei Wochen blauem Himmel wählen könnte, würde ich das erste nehmen.

Datum: 19.05.2002
Autor: Nina Schmedding
Quelle: Kipa

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