Bonhoeffer und drei Arten, auf Weihnachten zu warten
Dietrich Bonhoeffer (1906-45) ist der wohl berühmteste deutsche Theologe des 20. Jahrhunderts. Zum Jahreswechsel wird sein bekanntes Gedicht «Von guten Mächten treu und still umgeben» in zahllosen Kirchen und Gemeinden gesungen. Doch der Widerstandskämpfer prägte noch viele andere hilfreiche Gedanken und Sätze. Zum Beispiel seinen Vergleich des Advents mit einer Zelle im Gefängnis.
Warten zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit
Am 21. November 1943 schrieb Bonhoeffer an seine Verlobte Maria von Wedemeyer: «Wenn Du den Brief kriegst, ist wohl schon der Advent da, eine Zeit, die ich besonders liebe. Weisst Du, so eine Gefängniszelle, in der man wacht, hofft, dies und jenes – letztlich Nebensächliche – tut, und in der man ganz darauf angewiesen ist, dass die Tür der Befreiung von aussen aufgetan wird, ist gar kein so schlechtes Bild für den Advent.»
Typisch Bonhoeffer. Selbst im Gefängnis bewahrte er sich offene Augen für geistliche Wahrheiten. Bereits in den Jahren vorher betonte er in seinen Predigten in der Adventszeit diese Spannung aus eigener Hilflosigkeit und Hoffnung. Aus vollendeter Erlösung und noch bevorstehender Befreiung. Dabei wies er besonders auf drei biblische Personen hin, die für ihn Inbegriff des adventlichen Wartens waren: Mose, Josef und Maria.
Die US-Theologin Elisabeth Kincaid stellte für «Christianity Today» zusammen, wie wir von ihnen bis heute lernen können, dass Warten mehr ist als mit einem Glas Glühwein am Kamin zu sitzen. Stattdessen ist es auch tief, gefährlich und von Kummer und Schmerz bestimmt.
Mose und das Bewusstsein des Todes
Mose haben wir oft als triumphierenden Anführer seines Volkes im Blick. Kraftvoll streckt er seinen Stab über das Rote Meer aus, bis es sich teilt. In enger Gemeinschaft mit Gott erhält er auf dem Sinai die Zehn Gebote. Doch am Ende seines Lebens begegnen wir einem anderen, dem adventlichen Mose. Kurz bevor er seine Aufgabe erfüllen und das Volk Israel ins verheissene Land führen kann, ruft Gott ihn ab. 5. Mose, Kapitel 32, Vers 48-52 zeigt ihn auf dem Berg Nebo, auf dem er – das Ziel vor Augen – stirbt, weil er früher ungehorsam war.
Diesen Moment beschreibt Bonhoeffer als Moses Advent. Mose weiss, dass er versagt hat, dass er sterben wird – und dass Gott trotzdem zu seinem Ziel kommen wird. Gottes Verheissung wird sich erfüllen wie das Versprechen des Advents: Jesus ist gekommen, aber noch nicht vollkommen. Über alle unsere Unzulänglichkeiten hinaus gilt laut Bonhoeffer: «Gott ist bei uns und wir sind nicht mehr obdachlos. Ein Stück der ewigen Heimat wird uns eingepfropft.»
Josef und das Warten am Rande
Auch Josef erlebt in gewisser Weise, wie sich eine Verheissung Gottes erfüllt. Im Vertrauen auf Gott nimmt er die schwangere Maria zur Frau. Ihr Sohn soll «sein Volk erretten von ihren Sünden» (Matthäus, Kapitel 1, Vers 21). Doch von dieser Erlösung sieht er zunächst einmal nichts: Das Kind kommt in Armut zur Welt. Josef muss mit seiner Familie nach Ägypten fliehen. Und später zieht er mit Maria und Jesus nach Nazareth – aufs platte Land statt in die Hauptstadt. «Es war für Josef so unverständlich wie für die übrige Welt, dass das kaum beachtete Nazareth der Bestimmungsort für den Retter der Welt sein sollte», betonte auch Bonhoeffer.
Josef bleibt eine Randfigur, während er sieht, wie Jesus sich ebenfalls am Rande der Gesellschaft bewegt und unter Armen wohnt und ihnen dient. Als sein menschlicher Vater steht er daneben, rechnet damit, dass etwas Grosses geschehen könnte, hat aber keine Ahnung, wann Gottes Plan zur Vollendung kommt.
Maria und das radikale Unerfülltsein
Bonhoeffer beschreibt Maria als die Person, die «besser als jede andere weiss, was es bedeutet, auf Christus zu warten». Sie erlebt am eigenen Leib, dass Gottes Wege nicht immer unsere Wege sind. Sie verkörpert die Spannung der Erlösung. Schwanger mit dem Erlöser muss sie auf seine Geburt warten und fühlt gleichzeitig, dass Gottes Versprechen bereits erfüllt sind.
Im Magnificat (Lukas, Kapitel 1, Vers 46-55) bringt Maria zum Ausdruck, dass Jesus nicht nur ihr Retter sein wird, sondern auch der des gesamten Volkes, der Armen und Vergessenen. Doch über die Kreuzigung Jesu hinaus muss sie warten und erleben, dass dieses Neuwerden der Schöpfung noch nicht geschehen ist.
Anderer Advent…
Warten ist nur dann erträglich, wenn es begrenzt ist. Aber Bonhoeffer wies immer wieder darauf hin, dass diese Grenzen ausserhalb unseres Einflussbereichs liegen. Wie ein Gefangener in der Zelle sind wir abhängig von der Befreiung, die von aussen kommt. Das Volk Israel hatte bereits Jahrhunderte auf den Erlöser gewartet. Und wir warten genauso seit Hunderten von Jahren darauf, dass die Erlösung durch Jesus endlich vollendet wird. Advent ist mehr als als das 24-tägige Warten aufs Weihnachtsfest. Es ist das Wissen, dass wir wie Bonhoeffer eingekerkert sind im Hier und Jetzt und auf das erlösende Knirschen des Schlüssels im Zellenschloss warten. Gott hat sein Versprechen gegeben – und er wird es halten. Bis dahin können wir mit Bonhoeffer sagen: «Sogar hier kann und sollte man Weihnachten feiern.»
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Datum: 04.12.2022
Autor: Hauke Burgarth / Elisabeth Rain Kincaid
Quelle: Jesus.ch / Christianity Today