Ein Dalai Lama für die Träume des Westens?

Mehrmals im Jahr bereist der Dalai Lama inzwischen westliche Länder und trifft sich mit den Grössen des Showgeschäft ebenso wie mit denen der Politik. Er fasziniert. Was sind die Gründe dafür?
Dalai Lama

Einer dürfte in der kolonialen Vergangenheit der westlichen Kultur liegen. Das Pendel bewegt sich auf die andere Seite: von der Missachtung zur Verehrung fremder Völker. Sie finden im Westen leichter Gehör als früher. Für Tibet im speziellen haben Filme wie "Kundun" und "Sieben Jahre in Tibet" ein wohlwollendes Klima geschaffen.*

"Der Dalai Lama ist gradezu ein Antiserum zum grassierenden Kapitalismus." Mit diesem Worten brachte die New York Times ein weiteres Motiv für diese oft ausgesprochen unkritische Begeisterung auf den Punkt. Der Buddhismus, den er predigt, verspricht Entspannung für stressbeladene und spirituell suchende Menschen.

Schmeicheleinheiten für die Seele

Der Dalai Lama nimmt diese Bedürfnisse auf: "Ein erfahrener spiritueller Lehrer wird .... seine Unterweisung darauf abstimmen." Wer sich als Rädchen im Getriebe der Wirtschaft erfährt, dem mag es eine Wohltat sein, zu hören, sein "spirituelles Potential (sei) absolut grenzenlos", er selber könne sogar "die Buddhaschaft erlangen".

Die westliche Presse redet den Dalai Lama fast durchwegs bei seinem Titel "Seine Heiligkeit" an. Anscheinend ist man unter dem Vorzeichen des Heiligen leichter bereit, seinen Ausführungen zu folgen und sich auf seine Ratschläge einzulassen.

Nobody is perfect

Aber Tenzin Gyatso - so der Mönchsname des Dalai Lama - ist ein normaler sterblicher Mensch. Er wird "ziemlich wütend" über verspätetes Fluggepäck und träumt von Frauen, "schön wie Göttinnen". Seine langjährige Lieblingssendung im Fernsehen war eine amerikanische Serie über den Vietnam-Krieg, und seine Begeisterung für Präzisionswaffen sollte kein Geheimnis mehr sein.

Befremdlicher ist allerdings seine Ansicht, der Krieg in Afghanistan habe "eine Art von Befreiung" gebracht, oder Indien solle weiter Atombomben entwickeln. Zum aktuellen Irak-Krieg wich er bislang jeder konkreten Stellungnahme aus und plädierte lediglich dafür, "das Böse in uns selber" auszumerzen.

Schwachstellen und Ungereimtheiten, wie sie in jedem Leben vorkommen und gewissermassen normal sind. Und auch der Dalai Lama ist nur ein Mensch. Es ist wenig sinnvoll, ein reineres Bild von ihm herzustellen als vorhanden ist. Seine allgemein menschlichen Ratschläge sind durchaus ernstzunehmen. Alles etwas leichter anschauen, den andern gelten lassen, ihm Mitgefühl erweisen.

Grenzüberschreitungen?

Hellhörig werden sollte man allerdings dort, wo diese menschliche Ebene überschritten wird und er selber zu mehr gemacht wird als zu einem "ziemlich netten Menschen", wie er sich in einem Interview bezeichnete. Oder wo er selber diese Grenze übertritt, zum Beispiel mit der Behauptung, dass "ich selbst [Hervorhebung im Original] die Verantwortung auf mich nehmen werde, alle anderen Lebewesen vom Leiden zu befreien".

Angesichts solcher Aussagen dürfte Kritikfreiheit, wie er sie weitgehend geniesst, nicht die angemessene Reaktion sein. Man kann dem Dalai Lama nur beipflichten, wenn er schreibt: "Bevor man sich auf etwas einlässt, muss man sich genau erkundigen."


* Das gleichnamige Buch von Heinrich Harrer stammt bereits aus den Fünfziger Jahren. Dessen Tibet-Zeit begann mit einer Bergsteiger-Expedition im Jahre 1939. Zu diesem Zeitpunkt war er schon 6 Jahre Mitglied der SS; von ihr wurde auch diese Reise finanziert. Auch andere ranghöhere Mitglieder der SS besuchten dieses Land, allerdings um Belege für die Überlegenheit der arischen Rasse zu sammeln. Über die Theosophische Gesellschaft bestehen direkte Verbindungen zwischen nationalsozialistischen und buddhistischen Vorstellungen.

Datum: 04.08.2005
Quelle: Livenet.ch

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