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Üben bibeltreue Freikirchen Verrat an der Bibel?

Selbst so genannt bibeltreue Freikirchen üben zu viel Verrat an der Bibel. So argumentieren Christen, die aus ihren Gemeinden ausgestiegen sind und sich am rechten Rande des evangelischen Spektrums in kleinen, unabhängigen Bibelkreisen treffen. Wie ist ihre Haltung zu verstehen?
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Manche Gemeinden verschiedener Denominationen machten in den letzten Jahren eine ähnliche Erfahrung: Langjährige Mitglieder und treue Mitarbeiter, die zum Wurzelwerk der Gemeinde gehörten, nahmen den Hut, verliessen die Gemeinde und treffen sich heute in eigenen, nicht denominationellen Anlässen, um sich gegenseitig zu stärken und zu ermutigen. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Männer und Frauen, die über 40 sind, aber auch um Jugendliche zwischen 17 und 25 Jahren. Meist treffen sie sich wöchentlich in Hausversammlungen und in regelmässigen, etwas grösseren Abständen zu einem gemeinsamen Gottesdienst. Dieser erinnert in Ablauf und Liedauswahl an die Gottesdienste der 80er Jahre. In den letzten Jahren haben sich in diesen Bewegungen eigentliche Führerpersönlichkeiten herausgebildet.

Vorwürfe an Freikirchen

Ursachen für diese neokonservative Bewegung gibt es verschiedene. Viele Gemeindeverbände erlebten in den vergangenen rund 12 Jahren eine Stagnation der Mitgliederzahlen oder sogar einen Mitgliederrückgang, dies im Gegensatz zu den 80er-Jahren, wo gesamtschweizerisch bei einigen Freikirchen ein Gemeindewachstum zu verzeichnen war. Weshalb kam es zu diesem „Wachstumsknick“? Personen, die zur neokonservativen Bewegung gehören, sehen einen Grund darin, dass die Gottesdienste zu stark erlebnisorientiert geworden seien und biblische Lehre in den Hintergrund gedrängt worden sei. Zudem weisen sie auf die Gefahr hin, mit Hilfe bestimmter Methoden Gemeindewachstum fördern zu wollen.

Eine weitere Ursache sehen sie in einer „gemässigten Bibelkritik“, die unter Evangelikalen immer mehr Anerkennung finde und an verschiedenen evangelikalen Ausbildungsstätten gelehrt werde. Dazu kämen Einheitsbestrebungen der Evangelikalen, die nicht mehr vom gemeinsamen Glauben an Jesus Christus als Retter und von der Ausrichtung auf die Bibel als Wort Gottes getragen würden.

Zudem beobachten Neokonservative einen ethischen Zerfall in vielen evangelikalen Gemeinden und bemängeln, dass Sünde nicht mehr Sünde genannt werde. Diesen zum Teil berechtigten Kritikpunkten muss man sich stellen. Sie verlangen nach Antworten.

Problematischer Rückzug

Andere Gründe, sich von bestehenden Gemeinden abzusetzen, kann man manchmal nicht nachvollziehen: Es ist zum Beispiel nicht möglich, sich mit der Aufrechterhaltung einer bestimmten Gottesdienstform vor negativen Einflüssen unserer Gesellschaft zu schützen, geschweige denn, sich den Veränderungen zu stellen. Das Festhalten an bestimmten Traditionen hat noch nie geholfen, die Herausforderungen einer neuen Zeit zu lösen.

Unterschwellig spielt vielleicht auch ein Endzeitpessimismus mit. Man betont den Abfall von Gott und glaubt nicht, dass in unserer Zeit noch eine grössere Zahl von Menschen zum Glauben kommen könne. Dies rechtfertigt den Rückzug in die „kleine Herde“. Angebote, durch die sich viele Menschen für Jesus entscheiden, stehen bereits unter Verdacht, zu weltlich zu sein.

Der Schwerpunkt in der Verkündigung liegt vor allem bei Fragen der persönlichen Heiligung und des Gehorsams gegenüber Gott. Kann es auch die Angst vor Veränderungen sein, die zu einem Rückzug verleitet? Weiter ist es schwierig, wenn ältere Lieder gegen neueres Liedgut ausgespielt oder bestimmte Instrumente geradezu verbannt werden. Es gibt ältere wie auch neuere Lieder, die ansprechen. Genauso gibt es in allen Liedgenerationen Texte, die man hinterfragen kann. Eine Liedauswahl muss entscheidendere Kriterien als das Alter des christlichen Liedguts haben.

Abgrenzung nicht immer biblisch

Auch wenn gewisse Anliegen der Neokonservativen berechtigt sind, besteht die Gefahr Alternativen anzubieten, die so auch nicht der Bibel entsprechen. Die Gefahr ist gross, dass aus berechtigten Bedenken vor einer Überbetonung der Liebe die Wahrheit überbetont wird. Wer sich bemüht, den Geboten entsprechend zu leben, darf auch das grösste Gebot nicht vernachlässigen. Die Angst vor einer unbiblischen Oekumene darf nicht dazu führen, dass eigenen Geschwistern der Glaube und die Gemeinschaft abgesprochen werden.

Zur Predigt: Bei ihrer Gewichtung im Gottesdienst kann der Eindruck entstehen, dass die Vollmacht des Verkündigers und der Segen Gottes an eine bestimmte Länge gekoppelt sind, hier gelten wesentlichere Kriterien. Weiter darf Methodenfeindlichkeit nicht in sich zu einer neuen Methode werden. Klarheit meint nicht Härte oder Einseitigkeit, biblische Wahrheit meint nicht menschliche Tradition oder eine bestimmte Kultur.

Beziehung zu Jesus stärken

Die drei grossen Herausforderungen sind doch: Wie kann man bibeltreu sein, dem Zeitgeist kritisch und reif begegnen und auf Fragen unserer Zeit vom Evangelium her aktuelle Antworten geben?

Es ist entscheidend wichtig, dass im Gemeindebau die Bibel als das geoffenbarte Wort Gottes in all ihren Aussagen ernst genommen wird und als letzte Autorität gilt. Darum gilt es, im Gemeindeprogramm die nötigen Gefässe zu schaffen, in denen die Bibelkenntnis gefördert wird. Diese Haltung dem göttlichen Wort gegenüber führt zu einer persönlichen Ausrichtung auf Jesus. Nicht das Festhalten an bestimmten Vorschriften hilft weiter, sondern eine persönliche, tiefe Liebe zu Jesus. Nicht die Angst vor Verführung darf leitendes Motiv sein, sondern vielmehr die Freude an Jesus.

Dynamischer Weg mit der Bibel

Diese Jesusbeziehung stärkt die Sehnsucht, Menschen für ihn zu gewinnen. Eine Beziehung zu Jesus bewahrt vor falschen Einflüssen im ethischen Bereich, wenn man auf ihn höret und sein Wort ernst nimmt. Dann muss man auch keine Kompromisse eingehen, obwohl man in einer Gesellschaft lebt, die sich von Gott verabschiedet hat. Zudem hilft eine solche Beziehung, in den Gottesdiensten eine Mitte zwischen der Verkündigung des Wortes Gottes und erlebnisorientierten Elementen zu finden. Sie bewahrt vor Methodengläubigkeit im Blick auf den Bau der Gemeinde Jesu, ermöglicht aber andererseits mit den Anregungen aus der Gemeindewachstumsbewegung richtig umzugehen. Dadurch ist man herausgefordert, eigene äusserlichen Gewohnheiten ständig von der Bibel her zu hinterfragen und Veränderungen in der Gemeinde nicht automatisch als Ausdruck der Verweltlichung anzusehen.
Die erfahrbare Beziehung zu Jesus ermöglicht eine dynamische Umsetzung des Wortes Gottes in unsere Zeit, ohne dass man an diesem Wort Abstriche machen muss. Traditionalismus hält an Formen fest, die einmal von Gott gebraucht wurden. Die Bibel gibt aber die Freiheit, nicht nur Bewährtes festzuhalten, sondern auch neue Formen und Wege zu finden, die Gemeinde Jesu heute und morgen zu bauen.

Claudius Zuber ist Pfarrer und Vorsitzender des Bundes der Freien Evangelischen Gemeinden in der Schweiz.

Autor: Claudius Zuber

Datum: 28.05.2004
Quelle: idea Schweiz

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