Jesus und die 1:12-Initiative

Antike Tempelhändler und moderne Millionengehälter

Jesus hat die Abzocker seiner Zeit kritisiert und ihnen die Gerechtigkeit des Reiches Gottes entgegengestellt. Lässt sich das auf die 1:12-Initiative anwenden? Ein Plädoyer.
Hände greifen nach Geld

Kurz vor dem Passahfest vertreibt Jesus Händler und Geldwechsler im Tempel Jerusalems und bezeichnet sie als Ungläubige, weil sie sich von Gott und der gläubigen Gemeinschaft mit ihren Machenschaften entfernt hatten (Markus-Evangelium, Kapitel 11, Verse 15-19). Wie wichtig diese Bibelstelle ist, zeigt sich schon darin, dass alle vier Evangelisten sie erwähnen. Jesus liegt die Rückkehr vom Egoismus zur Gemeinschaft der Gläubigen und zu Gott sehr am Herzen. Die «Räuberhöhle», wie er den von Geldwechslern in Beschlag genommenen Tempel treffend beschreibt, steht in einem unauflöslichen Gegensatz zum von ihm verkündigten «Reich Gottes», wo nur der Mensch und nicht Macht oder Profitinteressen im Mittelpunkt stehen.

Auch heute ist unsere Gesellschaft durchtränkt von solchen egoistischen Machenschaften, abgeleitet aus einem wirtschaftlichen System, das auf Selbstprofit und Ausbeutung beruht. Die Räuberhöhlen wuchern vor den Augen der Öffentlichkeit ins Unermessliche. Es scheint erstrebenswert, Millionen zu verdienen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen – und das in einer Welt, wo mehr als ein Viertel der Menschen unter der Armutsgrenze lebt.

Diese Selbstbereicherung in astronomischen Höhen kritisiert die 1:12-Initiative, die am 24. November 2013 zur Abstimmung kommt. Sie will die Einkommensunterschiede so beschränken, dass der höchste Lohn nicht mehr als das Zwölffache des tiefsten Lohns in demselben Unternehmen betragen darf. In der Schweiz haben sich die Löhne seit den 1980er Jahren an der obersten Spitze nicht verdoppelt oder verdreifach, sondern versiebenfacht. Die mittleren und tiefen Löhne hingegen sind kaum gewachsen respektive stagniert. Diese Zahlen zeigen auf, dass sich eine kleine, mächtige Minderheit schamlos auf Kosten der grossen Mehrheit bereichert.

Als Jesus die Händler aus dem Tempel warf, hat er sich als politischen Propheten gezeigt, der sich mutig gegen eine profitgierige und menschenverachtende Mentalität eingesetzt hat. Diesen Mut aufzubringen und den offensichtlichen Widerspruch eines menschenfeindlichen Wirtschaftssystems zur Bibel aufzuzeigen, ist nun erneut die Aufgabe der christlichen Gemeinschaft.

Wir publizieren dieses Plädoyer, weil es einen theologischen Beitrag zu einer Diskussion darstellt, die ansonsten nur mit wirtschaftlichen und politischen Argumenten geführt wird. Stellungnahmen zu diesem Beitrag sind erwünscht.

Simeon Marty ist Student der Geschichte und Theologie und Kampagnenmitarbeiter für die 1:12-Initiative.

Datum: 25.10.2013
Autor: Simeon Marty
Quelle: Jesus.ch

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