Bewegtes Jahr für den SEK
Zu den Höhepunkten des Jahres gehört für Markus Sahli, dem Leiter Innenbeziehungen des SEK, der Christustag am 13. Juni in Basel. Mit den Freikirchenverbänden VFG und FREOE und der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA gehörte der Kirchenbund zu den Trägern.
Sahli ist immer noch erstaunt, dass fast 40'000 Personen an diesem Anlass ohne Superstar teilnahmen – und freut sich, dass die Rechnung mit einem Plus abschliesst. Er bezeichnet den Christustag gegenüber Livenet als „eines der möglichen Zeugnisse evangelischen Glaubens in der Öffentlichkeit“. Die Trägerverbände trafen sich letzte Woche zu einer Auswertung; sie fassen für 2009 einen weiteren Christustag ins Auge.
„Menschliche Tragödien“ bei Asylsuchenden
Gar nicht nach Feiern zumute ist dem SEK-Verantwortlichen angesichts der Nöte von Asylbewerbern, auf deren Gesuch nicht eingetreten wird. Dass diese Personen seit dem Frühling keine Sozialhilfe mehr erhalten, mindert zwar, wie von der politischen Rechten gewünscht, die Attraktivität der Schweiz (im November rekordtiefe Zahl von 900 Gesuchen).
Aber die Massnahme ist laut Sahli verheerend für die Betroffenen und „führt zu menschlichen Tragödien in verschiedenen Städten und Kantonen“. Der SEK setzt sich bei den zuständigen Bundesstellen ständig für die Asylsuchenden ein – die Verschärfung, der weitere folgen sollen, hat er nicht verhindern können.
Bioethik: Kluft zu den Katholiken
Beim Referendum über das Stammzellenforschungsgesetz stand der SEK, ohne argumentativ irgendwelche Stricke zu zerreissen, auf der Gewinnerseite. Doch bleibt ein schaler Nachgeschmack: Auch in dieser ethischen Debatte gab es keine gemeinsame Stellungnahme der Grosskirchen – im Jahr des Papstbesuchs, das die Unterschiede in Selbstverständnis und Abendmahlsfrage grell beleuchtete.
Sahli führt dies auf den prinzipiellen Entscheid der katholischen Seite zurück, die den Embryo vom ersten Tag, von der Befruchtung an als menschliche Person betrachtet und schützen will. Zugleich betont er, dass die ökumenische Zusammenarbeit in der Schweiz auf allen Ebenen funktioniert, in wirtschaftspolitischen Fragen und vor allem in der Sozialpolitik und bei den Migrationsproblemen.
Deutlicher Stellungsbezug in der Abendmahlsfrage
Theologisch hat sich der SEK in der strittigen Abendmahlsfrage bemerkenswert deutlich positioniert. Nachdem er im Juni öffentlichkeitswirksam auf die Teilnahme an der Papstmesse verzichtet hatte, gab er im Herbst ein Papier heraus, in dem er lehrmässig Stellung bezog.
Dabei wurden sowohl die grundlegende Einheit der von Christus gestifteten Kirche wie auch das Getrenntsein von römischen Katholiken und Reformierten festgehalten. Während eucharistische Gastfreundschaft vom Kirchenbund begrüsst wird, sieht er die Voraussetzungen für Interzelebration (das gemeinsame Feiern von Abendmahl/Eucharistie durch die Geistlichen der beiden Konfessionen) als nicht gegeben an.
Mit der Stellungnahme zum Abendmahl gab der SEK-Rat im November auch sein Nein zur Wiedertaufe bekannt. Sie könne weder biblisch noch dogmatisch begründet werden; den Mitgliedkirchen wird empfohlen, „von ihrer Zulassung unbedingt abzusehen“. – Livenet wird in einem gesonderten Artikel näher auf das Thema eingehen.
Für einen „Rat der Religionen“…
Der SEK-Ratsvorsitzende Thomas Wipf wirbt seit einigen Jahren für einen „Rat der Religionen“, der auf Bundesebene die grossen Religionsgemeinschaften repräsentieren soll. (Anders als die Katholiken bzw. der Vatikan haben die Reformierten keinen Nuntius in Bern.)
2004 trafen sich die Präsidenten von SEK, Bischofskonferenz, Christkatholiken, Israelitischem Gemeindebund und der Koordination Islamischer Organisation Schweiz (KIOS) zweimal und formulierten Zielsetzung und Auftrag eines solchen Rates. Die Bischofskonferenz hat diese gebilligt und Bischof Kurt Koch zu ihrem künftigen Vertreter bestimmt.
…bei zunehmender Angst vor Islamisten
Fraglich bleibt, in welcher Weise die verschiedenen Dachverbände der Muslime in den Kantonen und Regionen die KIOS als ihre Vertretung anerkennen. Auch die Vertretung der Orthodoxen (diverser Nationalitäten) und der Freikirchen ist noch nicht besprochen, geschweige denn geregelt.
Seitdem die Idee eines solchen Rats von Thomas Wipf 2002??? lanciert wurde, hat sich die Stimmung in der zuvor auf Multikulturalität getrimmten Gesellschaft brüsk gewandelt. In den Zeitungen war im Herbst, seit dem Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden, ständig von gewaltbereiten Islamisten die Rede. Ob ein nationaler Rat der Religionen unguten Entwicklungen steuern und die Integration der traditionsverbundenen Muslime fördern könnte, bleibt offen. Interreligiöser Aktionismus scheint jedenfalls nicht angezeigt.
Personalkarussell
Nach der sang- und klanglosen Verabschiedung des langjährigen Theologie-Sekretärs Pierre Vonaesch zu Anfang des Jahres konnte der SEK-Rat Christoph Stückelberger, den langjährigen Leiter von Brot für alle, für die Leitung seines „Instituts für Theologie und Ethik“ gewinnen.
Nach der Wahl von zwei Frauen in den neunköpfigen SEK-Rat (Helen Gucker-Vontobel, Kristin Rossier Buri) ist nächstes Jahr der Luzerner David A. Weiss zu ersetzen. Auch diese Ersatzwahl dürfte in gut reformiertem Proporz unter den Landeskirchen entschieden werden; Wahlgremium ist die Abgeordnetenversammlung des SEK, das Parlament der Schweizer Reformierten, das zweimal jährlich tagt. Bei einer anderen Personalie ist der SEK-Rat gefordert: Er hat in den nächsten Monaten einen neuen Verantwortlichen für die Aussenbeziehungen zu bestimmen, da Gottfried W. Locher auf Ende Mai 2005 gekündigt hat.
Locher sagte gestern gegenüber Livenet, er habe beim Eintritt in den SEK vor fünf Jahren bereits eine solche Zeitspanne genannt. „Nun bin ich lange genug Funktionär gewesen.“ Locher hat mit kontroversen Vorstössen für mehr reformiertes Kirchenprofil von sich reden gemacht. Er will wieder mehr Zeit für Theologie gewinnen – und dort wirken, wo er „etwas bewegen kann“.
Identitätskrise des Reformierten Weltbunds
Ob dies beim kriselnden Reformierten Weltbund (RWB) sein wird, dessen siebenköpfigem Präsidium Locher seit Sommer als einziger Europäer angehört, hängt nicht zuletzt vom SEK ab. Der Weltbund diskutierte im August an seiner Vollversammlung in Accra tagelang darüber, wie die Globalisierung verurteilt werden müsse.
Laut Locher klärte die Versammlung nicht, was der RWB überhaupt sein soll. Die Kernfrage, wie die reformierten Kirchen der Welt zusammengehören und was sie verbindet, sei in Accra nicht verhandelt worden, bedauert Locher. Mit einem Weltbund in dieser Verfassung seien die Reformierten auf Weltebene kein valabler Gesprächspartner der anderen christlichen Konfessionen.
Wenn er sich beim Genfer Mini-Sekretariat des RWB für Reformen einsetzen solle, brauche dies Gelder vom SEK, sagt der provomierte Berner Theologe, der in Grossbritannien auch einen Business-Magister erwarb. Die finanzielle Lage des RWB bezeichnet er als dramatisch.
Grosse Lehrfragen wie das Abendmahlsverständnis werden heute global verhandelt, nicht zwischen Kantonalkirchen, betont Locher. Wenn der RWB nicht neu gestaltet werde, „können wir als reformierte Schweizer uns im Dialog nicht einbringen. Wir brauchen ein weltweites Gefäss.“
Datum: 22.12.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch