Katholische Seelsorger im Kampf gegen die Dogmen der Weltkirche
Die älteste Kirche der Schweiz platzt aus allen Nähten. Mehr als 500 Katholiken drängen sich am Sonntagnachmittag zum Vespergebet in die Kathedrale Chur. Sie alle sind dem Aufruf der Pfarrei-Initianten gefolgt. Der Grund ihrer Zusammenkunft im Bündnerland ist kein feierlicher: Geplant ist eine Protestaktion. Ein Protest, mit wenig Aussicht auf Erfolg. Eine Aktion, die eindrücklich zeigt: Die Fronten könnten verhärteter kaum sein.
Hintergrund: Im Dezember forderte Vitus Huonder, Bischof von Chur, die etwa 60 Petitions-Unterzeichner seiner Diözese auf, schriftlich Stellung zu nehmen, warum sie die Pfarrei-Initiative unterstützten. Pikant war Huonders Nachsatz; bis zur Klärung der anstehenden Fragen verzichte er auf «Personalentscheide» bezüglich der Beteiligten. Die uneingeschüchterten Unterzeichner brachten ihre Briefe persönlich vorbei, unterstützt von etwa 500 Sympathisanten der Initiative.
Bischof Huonder ist verhindert
Nach dem stündigen Gottesdienst ziehen die Wallfahrer singend mit Kerzen in der Hand aus der Kirche. Dort erwarten sie die eisige Kälte und ein kühler Generalvikar Martin Grichting. Er vertritt den «leider verhinderten» Bischof Vitus Huonder. Recherchen ergeben: Huonder ist an diesem Sonntag auf Visitation im Kloster Seedorf. «Das bedeutet, er besuchte am Morgen den Gottesdienst und ass anschliessend zu Mittag. Natürlich hätte er um 17 Uhr anwesend sein können, er wollte einfach nicht», sagte Monika Schmid, die Gemeindeleiterin der katholischen Kirche von Illnau-Effretikon und Mitorganisatorin dieser Wallfahrt.
Schmid ist es, die anschliessend in ihrer Rede ungeschminkt die Anliegen vorbringt. «Wir wollen aus der Sackgasse raus, in die uns andere geführt haben!» Der Generalvikar hört entspannt zu, meist mit einem Lächeln auf den Lippen. Das Lächeln verschwindet, als er zum Gegenschlag ausholt: «Es gibt Laien, die sich wie Priester aufführen. Und dann gibt es leider Priester, die sich wie Laien benehmen», kommentiert Grichting. Buhrufe unterbrechen ihn. «Das ist eine Frechheit», sagt Initiant Markus Heil. «Damit meint er Martin Werlen, den Abt von Einsiedeln, der sich für diese Initiative einsetzt».
Kampf gegen Papst, nicht gegen Bischof
Generalvikar Grichting fährt fort: «Die Unterzeichner dieser Initiative haben nicht ein Problem mit dem Bischof von Chur, sondern mit der Weltkirche.» Deshalb übergibt er den Anwesenden einen USB-Stick, auf dem die Positionen des 2. Vatikanischen Konzils zu den Fragen enthalten sind. «Eine masslose Provokation!», findet eine sichtlich erregte Frau. «Bestimmt haben sie einen Virus auf diese Sticks geladen», glaubt ein Mann mit starkem Bartwuchs. Der Bischof-Vertreter schliesst mit den Worten: «Ich hoffe, Sie finden im Wein die Wahrheit. Deshalb schenke ich Ihnen Glühwein aus.» Die Menge ist aufgebracht. «Ich glühe schon, ich brauche keinen Glühwein», ruft ein älterer Mann. Ein Kraftausdruck jagt den anderen.
Georg Schmucki, Medienverantwortlicher der Pfarrei-Initiative, zeigt sich enttäuscht von der Reaktion des Bistums. «Wir rechneten mit klaren Worten, aber die Härte Grichtings hat uns doch überrascht.» Ein älterer Mann aus der Runde, der schon 30 Jahre als Seelsorger in einer katholischen Kirche dient, gibt zu Protokoll: «Es ist ungeheuerlich. Dieser Generalvikar ist ein schlimmer Mensch! Aber ich lasse mir meine Kirche nicht kaputt machen. Ich kämpfe weiter!»
«Wir sollten uns wieder mit Jesus beschäftigen»
Einfach wird dieser Kampf nicht, wie Bistumssprecher Giuseppe Gracia bestätigt: «Alle suchen den Dialog. Aber der Dialog nützt nichts! Die Initianten haben ein Problem mit der kirchlichen Lehre und von dieser wird nicht abgewichen. Diese Pfarrei-Initiative ist letztlich nur Eigenpflege der Seelsorger – sie wollen ihr Berufsbild verändern. Aber das ist doch unnötig. Wir sollten weniger über Institutionen reden und uns besser wieder damit beschäftigen, was wirklich zählt: Jesus Christus.»
Die Pfarrei-Initiative
Die Befürworter der Pfarrei-Initiative fordern Reformen, weil die Realität im Kirchenalltag längst nicht mehr den Vorschriften der Kirchenleitung entspreche. So würden Andersgläubige die Kommunion erhalten, Laien predigen und wiederverheiratete Paare gesegnet. Mit der Initiative wollen vor allem Seelsorger die heute bewährte Praxis darlegen, damit erkannt werden könne, wo Ausnahmen und Ungehorsam zur Regel geworden seien. Die Schweizer Bischofskonferenz lehnt diese Haltung entschieden ab.
Datum: 14.01.2013
Autor: Tobias Müller
Quelle: Livenet