Stimmungsmache oder berechtigte Kritik?
HEKS, das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz, hatte die Grossverteiler des Landes am 1. Juni aufgefordert, Produkte aus den Regalen zu nehmen, «bei deren Herstellung internationales Recht verletzt wird». In einem ganzseitigen NZZ-Inserat dankte HEKS der Migros, dass sie Produkte aus Siedlungen im Westjordanland als solche deklarieren will, und schrieb: «Wir wollen keinen generellen Boykott von israelischen Produkten. Aber…»
Schweizer Juden: «Diskriminierung des Staates Israel»
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG und zwei weitere jüdische Dachverbände protestierten in einem Brief gegen das Inserat: «Da in Ihrem Inserat ausschliesslich Israel namentlich erwähnt wird, scheint es, dass dieser Appell in erster Linie für Produkte aus Israel gilt.» Die jüdischen Organisationen wehren sich gegen diese «Diskriminierung des Staates Israel». HEKS betreibe damit «anti-israelische Stimmungsmache, welche direkte Auswirkungen auf uns Juden in der Schweiz hat». In seinem Grusswort an die in Aarau versammelten Abgeordneten des Kirchenbunds nahm SIG-Präsident Herbert Winter kein Blatt vor den Mund. Das Hilfswerk hat den jüdischen Verbänden inzwischen geantwortet.
Kritik an Profilierungsversuch
Vor den Abgeordneten des Kirchenbundes, die 2003 die Statuten des HEKS genehmigt hatten, hielt der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert am 19. Juni dem HEKS vor, es habe mit dem Inserat die Marketing-Strategie eines Grossverteilers unterstützt. Das gehöre nicht zum Auftrag. Das Hilfswerk werde damit Partei in einem Konflikt. Kundert äusserte aufgrund eigener Erfahrungen in einem «Friedenscamp» mit Israelis und Palästinensern, eine Profilierung auf Kosten dieses Konfliktes bringe nichts. Zu den Konflikten der Türkei mit Zypern und Armenien habe er vom HEKS nichts gehört.
Inserat vom Stiftungsrat genehmigt
Für den HEKS-Stiftungsrat verteidigten sein Präsident Claude Ruey, Kristin Rossier Buri vom SEK-Rat und Martin Stingelin, Baselbieter Kirchenratspräsident, das Inserat. Rossier bestätigte, dass der Stiftungsrat das Inserat genehmigt hatte. Der Stiftungsrat und der Rat des SEK seien gegen den Boykott von Produkten aus Israel. Der SEK beurteile den dritten Absatz des Inserats («…keinen generellen Boykott…») als unglücklich. Stingelin sagte vor den Abgeordneten, Kritik an Israel müsse möglich sein, ohne dass man einer anti-israelischen Haltung bezichtigt werde. Gegenüber Livenet sagte Ruey, das HEKS spreche zu Konfliktgebieten, in denen es arbeite. Das Hilfswerk engagiert sich in Israel und im Westjordanland und unterstützt Nichtregierungsorganisationen.
Protest von Abgeordneten
Bei der Abstimmung zur finanziellen Unterstützung des HEKS durch die Kantonalkirchen (Zielsummen von 3,5 Mio. Franken) votierten einige Abgeordnete aus Protest mit Nein. Der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller, der zum Vorgehen des HEKS in der Abgeordnetenversammlung des SEK Fragen gestellt hatte, erklärte sich von den Antworten nicht befriedigt. Er erwarte von HEKS Sensibilität für Menschen, die sich für den christlich-jüdischen Dialog einsetzen, wie für jene, die für Gerechtigkeit eintreten. Beim Wortlaut des Inserats liege (die berüchtigte Nazi-Parole) «Kauft nicht beim Juden!» in der Luft, sagte Müller – und unterstrich, im übrigen schätze er die Arbeit des HEKS.
Datum: 20.06.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet