«In unserer sexualisierten Welt ein Gegengewicht setzen»
Mein Mann begleitet pornosüchtige Männer. Auch ihre Partnerinnen waren in Not und so entstand das Angebot. Da mein Mann selber diesen Hintergrund hat, trägt auch mein persönliches Erleben dazu bei.
Wie geraten
Männer in eine Pornosucht?
Oft werden Jungs schon in
der Schule mit Pornos konfrontiert und finden das faszinierend. Die damit
verbundene Selbstbefriedigung führt zur Ausschüttung von Glückshormonen. So
kann ein Suchtverhalten entstehen, um sich zum Beispiel bei Druck, Problemen
oder Beziehungsfragen zu entspannen. In der Pornografie sind Frauen wählbar
nach Alter, Schönheit, Vorlieben. Sie sind scheinbar jederzeit zu allem bereit.
Sexualität wird so am Beziehungsaspekt vorbei gelebt. Das kann zu Beziehungsunfähigkeit, Impotenz und Rückzug aus
dem Sozialleben führen.
Wie wirkt sich
das auf die Partnerschaft aus?
In vielen Fällen wissen
die Frauen nicht, dass ihr Partner betroffen ist. Viele Frauen spüren, dass
etwas nicht stimmt, was unbewusst die Beziehung beeinflusst. Pornografie ist
ein Vertrauensbruch. Oft drehen sich die Gedanken der Frauen um das, was der Mann
gerade macht. Misstrauen kann den ganzen Tag bestimmen und damit die Beziehung.
Leider ist Scham in diesem Bereich gross, sodass es vielen Männern schwerfällt,
Hilfe zu holen. Oft versucht die Frau zuerst selbst, ihrem Partner zu helfen.
Als «Beichtpartnerin» kann sie durch die Schilderungen des Mannes immer wieder
verletzt werden. Auf Dauer ist das meist keine gute Lösung.
Wie reagieren
betroffene Frauen?
Oft sind Frauen zutiefst
verletzt, fühlen sich massiv abgewertet. Es braucht Zeit, die Gefühle – Wut,
Angst oder Ohnmacht – zu ordnen und auch zu erkennen, wie der weitere Weg
aussehen kann. Frauen kommen zwangsweise in eine Position, in der sie den
pornografischen Bildern niemals gerecht werden können. Die Erkenntnis, dass sie
nie schön, vollbusig, jung genug und zu allen möglichen Praktiken bereit sein
können, wirkt mitunter zerstörerisch auf die Selbstwahrnehmung.
Wie sieht Ihre
Begleitung aus?
Ich biete im Online-
Bereich Hilfe zur Selbsthilfe. In verschiedenen Modulen kann jede Teilnehmerin ihre
Themen im eigenen Tempo bearbeiten und ihr eigenes Arbeitsbuch erstellen. Zudem
schreibe ich an einem Buch zum Thema und biete Einzelberatung an. Auf meiner
Website >> http://einmaligsein.com/
finden sich diverse Blogbeiträge.
Welchen Weg
gehen die Frauen in der Beratung?
Am Anfang steht das
Aussprechen der Dinge, die passiert sind – Gefühle, Gedanken, Vermutungen. Ich
höre einfach zu und werte nicht. Oft kommen dann Fragen zur Sprache, wie «Was ist
Sucht?», «Gibt es überhaupt Hoffnung für uns?», «Wie machen das andere Paare?»,
«Wohin mit meinem Schmerz?», «Will ich unter diesen Umständen überhaupt Kinder
mit diesem Mann?». Zum Verständnis hilft es, wenn die Männer an ihren eigenen
Themen arbeiten. Nach dem Entzug ist es möglich, den tieferliegenden Gründen näher
zu kommen. Das hilft der Frau, den Partner zu verstehen.
… und dann?
Die Frauen merken, dass
sie den Partner nicht ändern können. Nur wenn er sich klar entschieden hat,
kann er frei werden. Dadurch sind die Frauen einerseits entlastet und
gleichzeitig auf sich selber gestellt. Sie spüren die Ohnmacht, die damit
verbunden ist. Wir schauen die Gefühle und ihre Geschichte an und suchen
individuelle Lösungen. Co- Abhängigkeit kann ein Thema sein. Wir decken diese
Mechanismen auf. Dadurch kann sich die Frau innerlich von der Sucht des Mannes distanzieren.
Wir schauen, wo die Grenze der Frau ist. Was braucht sie selber? Was kann sie
für sich tun? Wieder Vertrauen zum Partner aufzubauen, braucht oft Zeit. Die
Frau kann ihren Partner ermutigen und ihm Freiraum geben, sich Hilfe zu holen,
mit ihm für den Prozess beten. Und sie kann den Mann immer wieder ermutigen, dranzubleiben.
Ihr Rat an
unverheiratete Paare?
Ich habe Paare gesehen,
die später viel Leid erlitten haben. Ich frage oft: Was ist, wenn dein Partner
in fünf, zehn Jahren noch das gleiche Problem hat? Was sagt ihr zu einer
Begleitung? Macht der Partner konkrete Schritte? Ich empfehle in solchen
Situationen generell, lieber zu warten. Gut begleitete Paare wagen es oft, den Weg
gemeinsam zu gehen.
Wie könnte Pornografie eingedämmt werden?
Wir sollten über die
zerstörerische Wirkung von Pornos reden. Und wir müssen unsere Werte kommunizieren
– in der Familie, in Kirchen, in der Politik – und so ein Gegengewicht in
unserer sexualisierten Welt setzen. Die Wirkungsweise und Hintergründe der
Pornoindustrie sollten noch viel mehr bekannt gemacht werden! Es ist wichtig,
an betroffene Frauen zu denken. Und: Unterstützung holt man sich eher, wenn das
Thema nicht mehr tabuisiert wird.
Zur Person
Ria Rietmann (48), verheiratet mit Rolf, 2 Kinder, Ausbildung zur Krankenschwester, Basisstudium in Kunst- und Ausdruckstherapie. Hobbys: Natur, reisen, kreativ sein, Neues entdecken, Träume umsetzen, mit Gott unterwegs bleiben. Und: «Ich liebe es zu sehen, wenn Frauen aufblühen und ganz sich selbst, Ehefrau oder Mutter sind.»
Dieser Artikel erschien zuerst im EDU-Magazin Standpunkt.
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Datum: 20.07.2020
Autor: Lisa Leisi
Quelle: EDU Standpunkt