Räumung des Gazastreifens beschlossen – Spannung in Israel steigt

Knesset
Jüdische Siedler im Gazastreifen
Nablus

Am Mittwoch hat das israelische Parlament das Gesetz zur Räumung des Gazastreifens verabschiedet. Mit 59 zu 40 Stimmen legte es fest, wie die betroffenen Siedler entschädigt werden. Israel stehen heisse Wochen bevor.

Der Abgeordnete Zvi Hendel von der Nationalen Union verdammte die Vorlage als „Vertreibungs- und Plünderungsgesetz“ und kündigte an, die Siedler in Gush Katif würden sich nicht entwurzeln lassen.

Während die arabische Welt auf den durch die Ermordung Hariris erschütterten Libanon blickte, beschloss die Knesset „eines der umstrittensten Gesetze“ in der Geschichte des Staates Israel, wie die Zeitung Haaretz schrieb. Mit der von linker Seite als historisch bezeichneten Vorlage hat Premierminister Ariel Sharon, früher die Galionsfigur der Siedler, all jene Lügen gestraft, die ihm heuchlerisches Taktieren unterstellten, als er die Absicht zur Räumung kundtat.

Höhere Entschädigung

Der Abstimmung ging eine Marathondebatte voraus. In der letzten Woche hatte der Finanzausschuss die Entschädigungen erhöht, um den anhaltend heftigen Protesten Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Kosten für die Evakuierung belaufen sich auf eine Milliarde Dollar. Eine durchschnittliche Familie kann mit etwa 380’000 Dollar Entschädigung rechnen.

Einen schwierigeren Stand wird Sharon, der für dieses Gesetz seine Regierung umbildete, laut der NZZ bei der Verabschiedung des Budgets haben. Bis Ende März muss Israel einen Staatshaushalt haben; sonst stürzt die Regierung automatisch. Neuwahlen würden die Räumung des Gazastreifens und von vier Siedlungen in Cisjordanien verzögern.

Weitere vertrauensbildende Massnahmen

Nachdem der palästinensische Präsident Mahmud Abbas die Extremisten auf Stillhalten verpflichtet hat, verbessert sich die Atmosphäre. Israel sieht künftig von der Zerstörung der Häuser von palästinensischen Extremisten in den besetzten Gebieten ab. Die israelische Armee ging mit dieser Methode bisher vor allem gegen die Familien von Selbstmordattentätern vor, was international auf heftige Kritik stiess.

Im Mai letzten Jahres hatte der UN-Sicherheitsrat Israel aufgefordert, die Zerstörung von Häusern im Gazastreifen einzustellen. Eine interne Untersuchung der Armee hatte ergeben, dass die Zerstörungen weitere Täter nicht wirksam abschreckten. Seit 2001 hat die Armee laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B'tselem 675 Häuser von Familien palästinensischer Selbstmordattentäter zerstört.

Israel lässt auch die Rückkehr von deportierten Palästinensern ins Westjordanland zu. Davon profitieren 55 Männer, die in den letzten vier Jahren (zur Hauptsache nach der Besetzung der Geburtskirche in Bethlehem) in den Gazastreifen verschickt wurden. Israel hat der Rückführung im Rahmen der jüngsten vertrauensbildenden Massnahmen im Nahen Osten zugestimmt. Auch 20 nach Europa ausgewiesene Palästinenser können in das Westjordanland zurückkehren.

In Nablus sind die Extremisten immer noch Helden

Bei allen Fortschritten glaubt unter den Palästinensern der Stadt Nablus kaum jemand an einen baldigen Frieden, wie die Reporterin der NZZ am Sonntag berichtete. Ein Mann, dessen Sohn von den Israelis erschossen wurde, bezeichnet den neuen palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas geradewegs als Dieb. Seine Umgebung hat wenig übrig für die neue Regierung und noch viel weniger für den Verhandlungsprozess.

«Nichts wird sich ändern», wird ein Mittvierziger zitiert. Allah sei der Einzige, der diesen Konflikt lösen könne. „Solange er das nicht tut, geht der Widerstand weiter.“ Sein Freund wird deutlicher: „Hamas und die Aksa-Brigaden helfen uns, weil sie für unsere Träume kämpfen.“

Auch im Flüchtlingslager Balata, dem grössten im Westjordanland, herrscht laut der Reportage Pessimismus vor. „In den Strassen von Balata rennen Kinder mit Maschinengewehren aus Plastic durch die Strasse und spielen ‚Palästinenser und Soldat’. Wer ein Plastic-Gewehr hat, schlüpft am liebsten in die Rolle der israelischen Soldaten. Ihre Übermacht ist auch unter den Kleinsten unbestritten.“

Drohungen der Siedler – eine dritte Intifada?

Nicht zu unterschätzen sind die Spannungen unter Israelis, die sich mit dem Gesetz verschärfen dürften. Der Haaretz-Journalist Yoel Marcus spricht Wochen nach dem offiziellen Ende der zweiten Intifada bereits von einer dritten: diesmal Juden gegen Juden: „Eine extremistische Minderheit prallt mit einer jüdischen Mehrheit zusammen; sie versucht die Vereinbarung von Sharm el-Sheich oder jegliche Abmachung zu sabotieren, die das Ende der Besetzung näher bringt.“

Dies sei undemokratisch, schreibt Marcus, und vergleicht die Aktivisten mit den Bad Guys in Westernfilmen. Ihre Drohungen, das öffentliche Leben in Israel zu lähmen, nimmt er ernst: „Die Siedler spielen mit dem Feuer. Sie wollen ein Trauma schaffen, das jede Chance auf ein Abkommen zerstören soll.“

Datum: 19.02.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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