Schriftsteller und die Religion

Jesus im Spiegel der Weltliteratur

Vor wenigen Tagen machte der Schriftsteller Reinhard Jirgl Schlagzeilen, als er bei der Entgegennahme des Georg-Büchner-Preises in Darmstadt erklärte: «Gott ist für tot zu erklären, sein Totenschein ist die Literatur.»
Bücher
Jesus im Spiegel der Weltliteratur von Karl-Josef Kuschel.

Wer hingegen die Weltliteratur des 20. Jahrhunderts analysiert, wie es Karl-Josef Kuschel, Theologieprofessor aus Tübingen getan hat, landet eher bei dem Graffiti-Spruch «Jesus lebt».

Kuschel hat seine literarische Bilanz mit Originaltexten und Einführungen herausgegeben und dokumentiert auf 768 Seiten die Auseinandersetzung zwischen Schriftstellern und Jesus von Nazareth.

Konzil der Poeten?

In seiner Analyse erinnert Kuschel an die Idee des Tübinger Rhetorikers Walter Jens, ein Konzil der Poeten, Bildhauer und Maler zu veranstalten, die über ihre Erfahrung mit Jesus Christus sprechen sollten. Die Kontroversen scheinen unvermeidlich. Günter Grass würde von seinem verkrüppelten Zwerg Oskar Matzerath aus der «Blechtrommel» erzählen, dessen Biografie Ähnlichkeiten mit der Christusgeschichte aufweist, gleichwohl er als Gegenfigur entworfen wurde.

Inspiration für das Leben

Autoren wie James Joyce oder André Gide würden Leben und Lehre des jüdischen Rabbis mit der kirchlich-bürgerlichen Realität ihrer Zeit vergleichen und vernichtende Urteile fällen. Die Amerikanerin Toni Morrison würde sich angespornt fühlen in ihrem Kampf gegen Rassismus und Sexismus. Und Judas, der Verräter, fände viele Verteidiger, die seine einseitige Verurteilung nicht akzeptieren wollten.

Bezüge zum Glauben

Romane und Erzählungen preisgekrönter Literaten stecken voller Bezüge zum christlichen Glauben. Anna Seghers lässt einen eingefleischten Kommunisten, der aus einem Konzentrationslager geflohen ist, seine erste Nacht in einem Dom verbringen. Die biblischen Motive, die er dort entdeckt - etwa die Vertreibung aus dem Paradies - sind auch seine Geschichte. Und so kommt ihm der von der Kirche als Gottessohn verehrte Christus auf überraschende Weise näher.

Verfremdung

Viele Autoren sind aber auch von der Lust an der Verfremdung beherrscht, so der Grieche Nikos Kazantzakis («Alexis Sorbas»), der den Christus zunächst nicht am Kreuz sterben lässt, sondern ihn in ein bürgerliches Leben mit Frau und Heim setzt. Erlösung ist demnach die Sache jedes Einzelnen. Doch die Nachfolger Christi drehen die Lehren in eine ganz andere Richtung, so dass Christus doch noch ans Kreuz gehen muss. Andere Verfremdungen bestehen darin, Christus aus seiner historischen Zeit herauszuholen und in die Gegenwart oder ein anderes Jahrhundert zu holen.

Berühmt geworden ist die Auseinandersetzung, die der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago zwischen dem Sohn Gottes und seinem Vater führen lässt. Saragamo verarbeitet damit künstlerisch das Theodizee-Problem - warum also ein guter Schöpfer das Böse in dieser Welt zulässt und auch noch seinen eigenen Sohn als Opferlamm hingeben möchte.

«Christi Platz ist bei den Dichtern»

Herausgeber Kuschel hat für seine Sammlung 27 Autoren von Weltrang ausgesucht. Darunter ist auch der diesjährige Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa aus Peru und seine Geschichte über den «Krieg am Ende der Welt». Die Lust unter den grossen Literaten, der Forderung von Büchner-Preisträger Jirgl nachzukommen und Gott für tot zu erklären, scheint insgesamt sehr gering. Auch Oscar Wilde hätte wohl widersprochen, denn von ihm stammt der Satz «Christi Platz ist bei den Dichtern».

Karl-Josef Kuschel
Jesus im Spiegel der Weltliteratur
Die Bilanz eines Jahrhunderts
Verlag Patmos 2010

 

Datum: 03.11.2010
Quelle: Epd

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