Deutschland debattiert Altersrationierung im Gesundheitswesen

Prof. Dr. Friedrich Breyer

Bonn. In der in Deutschland geführten Diskussion um Rationierungen im Gesundheitswesen hat der Konstanzer Volkswirtschaftler Friedrich Breyer seinen Vorschlag verteidigt, „künftig bestimmte Leistungen nach dem Kriterium Lebensalter aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherungen zu entfernen“.

Breyer sagte dem in Bonn erscheinenden „Rheinischen Merkur“, er könne sich gut vorstellen, „dass bei der Altersgrenze von 75 Jahren ein deutlicher Effekt eintritt“. Entsprechende Äusserungen Breyers und des katholischen Theologen Joachim Wiemeyer hatten in den vergangenen Tagen in Deutschland heftige Empörung ausgelöst. Ärzte und Kirchen sprachen von Menschen verachtenden Vorschlägen und warnten vor einem Gesundheitswesen, in dem wirtschaftliche Aspekte über das Schicksal von Patienten entschieden.

Zeitung: Auch Regierungsberater für Rationierung

Laut „Rheinischer Merkur“ beschäftigt sich auch der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, wissenschaftlicher Berater von Ministerin Ulla Schmidt (SPD), bereits seit Jahren mit der umstrittenen Frage der Altersrationierung. Nach Darstellung der Zeitung hatte er bereits 2001 in einer Veröffentlichung erklärt, „dass unser Gesundheitssystem in Zukunft nicht mehr jede medizinisch mögliche Leistung jedem, der davon profitieren könnte, zur Verfügung stellen kann“.

Eine Rationierung sei „mittelfristig unausweichlich“, so Lauterbach. Deshalb gewännen Kosten-Nutzen-Analysen stark an Bedeutung. Diese könnten zum Beispiel eingesetzt werden, um oberhalb eines bestimmten Alters Entscheidungen zur Zuweisung von finanziellen Mitteln zu treffen.

Unterdessen erklärte die Leiterin einer Studie des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung über die Krankenhauskosten älterer Patienten, Hilke Brockmann, im „Rheinischen Merkur“: „In deutschen Krankenhäusern wird bereits jetzt implizit nach dem Alter rationiert.“ Thomas Rachel, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“, kündigte an, er wolle auch das Parlament mit dieser Streitfrage beschäftigen.

Zum Teil erwünscht

Auch in der Schweiz sprechen Fachleute von einer stillen Rationierung bei medizinischen Leistungen für alte Menschen. Dass die medizinischen Möglichkeiten im Alter nicht mehr vollständig eingesetzt werden, ist zum Teil sogar erwünscht, da sie das Leiden und den Sterbeprozess unnötig verlängern können. Fachleute fordern deshalb einen verstärkten Einsatz von palliativer Medizin, der sich auf die Linderung der psychischen und physischen Schmerzen konzentriert. (Siehe unsere Meldung von gestern.)

Quelle: Livenet/ Kipa

Datum: 13.06.2003
Autor: Fritz Imhof

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