Indien: Erdrutschsieg für radikale Hindus

Indien: Erdrutschsieg für radikale

Die Hindu-Partei BJP hat die Parlamentswahlen im westlichen Gliedstaat Gujarat gewonnen. Sie erlangte mit einem Rekordresultat gar die Zweidrittelsmehrheit (126 von 182 im Majorzverfahren vergebenen Sitzen). Die Stimmbeteiligung lag mit 63 Prozent nur leicht höher als bei den letzten Wahlen vor vier Jahren. Die BJP erhielt nach vorläufigen Berechnungen 51 Prozent der Stimmen, die Kongresspartei 39 Prozent. Auf einer selbst erzeugten Welle des Hindu-Fanatismus reitend, hat der bisherige Regierungschef Narendra Modi einen Sieg eingefahren, der seine machtbewussten Parteikollegen beeindruckt und ganz Indien erschüttert. Modi erzielte seinen durchschlagenden Erfolg vor allem mit dem Schüren von Hass gegen die Muslime in Gujarat, denen er Verbindungen zum feindlichen Nachbarn Pakistan unterstellte.

Die Politik seiner BJP-Regierung, die wegen Wasser- und Strommangel im Kreuzfeuer der Kritik stand, wurde von den Wählern kritisch bewertet: Elf Minister seiner Regierung (die meisten keine Hindu-Hardliner) verloren ihre Parlamentssitze, darunter auch Politiker aus dem Erdbebengebiet von Kutch, dessen Wiederaufbau harzt, weil Hilfsgelder versickerten.

Furcht und Hass geschürt

In 65 Wahlkreisen von Gujarat war es Anfang März zu anhaltenden blutigen Unruhen und zu Menschenjagden gekommen, bei denen vermutlich über 1500 Muslime umkamen. Von diesen Wahlkreisen, wo Hass und Misstrauen regieren, gewann die BJP nun 53, indem sie die Ausgrenzung der Muslime befürwortete. Dies steht im scharfen Widerspruch zur indischen Staatsidee, die allen Religionsgemeinschaften gleiche Rechte gibt. Narendra Modi mobilisierte neben seiner Partei die Aktivisten des radikalen, gewaltbereiten Welthindurats VHP und ging ein „ungeschriebenes Bündnis“ mit ihm ein. Die ,Times of India’ bemerkt denn auch, die Rolle des VHP für Modis Sieg könne gar nicht überschätzt werden.

Laut Analysen haben viele Tribals (Stammesangehörige) in den vernachlässigten Regionen von Zentral-Gujarat erstmals für die BJP gestimmt. Jahrzehntelang hatten sie der Kongresspartei die Stimme gegeben, ohne dass deren Politiker ihrem Elend abhalfen. In den letzten Jahren haben sich Aktivisten des Nationalen Freiwilligenkorps RSS und seiner Tochterorganisationen verstärkt um die Tribals bemüht mit dem Ziel, ihnen eine Hindu-Identität zu vermitteln und sie gegen christliche Mission zu immunisieren.

Der Führer der Kongresspartei Shankersinh Vaghela, der sich der Tonlage Modis ein Stück weit angepasst hatte, aber für eine tolerante Hinduisierung des öffentlichen Lebens eingetreten war, urteilte, die BJP habe nur gewonnen, weil sie „mit den religiösen Gefühlen der Leute gespielt“ habe. Die Fanatisierung vor allem junger Hindus hat in den letzten Monaten erschreckende Masse angenommen. Dies dürften auch die Christen Gujarats, neben den Muslimen (12 Prozent der Bevölkerung) eine kleine Minderheit, vermehrt zu spüren bekommen.

Unruhen und muslimische Selbstkritik

Nach der Bekanntgabe der Wahlresultate kam es in einigen Stadtteilen Gujarats zu Unruhen, bei denen mindestens zwei Personen getötet wurden. Gewalttätige BJP-Anhänger verwüsteten das Haus des Muslim-Führers Yusuf Juneja in Rantschodnagar. Einige Shops in der Stadt Rajkot wurden niedergebrannt. Ein Muslim, der sich weigerte, seinen Omelettenstand zu schliessen, wurde niedergestochen. Zahlreiche Anhänger der siegreichen BJP und des Welthindurats VHP zogen mit gezückten Messern durch die Strassen und schrien Beschimpfungen gegen die Nicht-Hindus. Über Teile Rajkots wurde eine Ausgangssperre verhängt. Mehrere prominente Vertreter der Muslime wagten sich am Montagmorgen nicht in die Öffentlichkeit, aus Angst vor Anschlägen.

Dass die Hindus in Gujarat in so grosser Zahl zur Urne gingen, könnte mit einem Aufruf des Imams der Moschee in der Hauptstadt Ahmedabad zusammenhängen. Maulana Mohammed Shabbir Ahmed hatte in einem von Zeitungen abgedruckten Aufruf den Wählern geraten, nur die Kongresspartei zu berücksichtigen. Die Hindus reagierten mit dem Aufruf, „zur Vergeltung hundertprozentig die BJP“ zu unterstützen. Nach der Schlappe der Kongresspartei äusserten Muslime Unmut über den verfehlten Schritt ihres Imams. Er hätte nur zu einem Votum gegen den Religions-Hass aufrufen sollen. So aber seien unentschiedene Hindus in die Arme der BJP getrieben worden.

Datum: 17.12.2002
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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