Die schönste Zeit im Jahr – diesmal wirklich
Es gibt Zeiten im Jahr, die sind ein Phänomen. Zum Beispiel die berühmte Frühjahrsmüdigkeit, die ich lange für einen Mythos gehalten habe – bis ich feststellen musste, dass da was dran zu sein scheint. Und dann, wenn die Welt draussen blüht und die Natur explodiert, kommt plötzlich der Tatendrang. Ein bisschen verrückt und schlau finde ich das.
Die Adventszeit dagegen gilt oft als die schönste Zeit im Jahr, ist dann aber doch jedes Mal eher der Endgegner. Wir dekorieren, machen es uns zu Hause gemütlich, versuchen so früh wie möglich alle Geschenke beisammen zu haben und das Wichtigste zu erledigen, damit wir die Zeit geniessen können. Dieses Jahr wirklich! Und dann stellen wir fest, dass uns die Termine doch wieder überrennen, die Weihnachtsfeiern nicht weniger werden … und wie schlimm das Einkaufen und Autofahren in der Stadt vor den Feiertagen ist, das hatten wir auch erfolgreich verdrängt.
Gemischte Gefühle
Gleichzeitig ist diese Jahreszeit für viele aber auch eine schwere und herausfordernde oder einsame Zeit. Das scheinen wir in allem Trubel und bei all den schönen Lichtern und den besonderen Events dieser Wochen schnell zu vergessen. So lange, bis der Advent und die Feiertage da sind und wir wieder merken: Ach ja, so war das! Und eigentlich wollten wir es dieses Mal doch anders machen!
Früher fand ich die Zeit rund um Advent und Weihnachten auch besonders schön. Als Single ist mein Kalender auch nicht viel voller als sonst, weil ich keine Aufführungen meiner Kinder und auch nicht die Weihnachtsfeiern aller Familienmitglieder in den unterschiedlichsten Konstellationen koordinieren muss. In den letzten Jahren habe ich dem Dezember allerdings mit gemischten Gefühlen entgegengesehen. Ich habe mich im Sommer schon gefragt, wo und wie ich wohl die Feiertage verbringen werde, und weiss auch, dass die Adventssonntage und die Tage um Weihnachten und Silvester sehr einsam sein können.
Im letzten Jahr fühlte es sich noch mehr so an, als würden alle um mich herum pünktlich zu den Feiertagen abtauchen und ich habe mich gefragt, wo meine Freunde plötzlich hin sind.
Zwischen Wahnsinn und Einsamkeit
Der Advent schritt voran, ich sah die Feiertage kommen und sah auch, dass mein Kalender leer war. Denn oft ist das so: Es ist Heiligabend, und da, wo man sich beschenkt, werden kurz die Geschenke ausgetauscht oder man wünscht sich noch schnell schöne Weihnachten und dann gehen alle auseinander, um die Feiertage jeweils mit ihren Familien zu verbringen. Dann wird es ruhig, sehr ruhig. Die Tage zwischen Heiligabend und Neujahr sind wie ein Schwebezustand und ich sitze zu Hause und kämpfe mit dem Gefühl, dass der Grossteil der Leute auszublenden scheint, dass es Menschen in ihrem Umfeld gibt, die keine Familie haben oder nicht mit der Familie feiern, und für die diese Zwischenzeit sehr lang und einsam werden kann. Ist ein gemeinsamer Kaffee oder ein Abendessen wirklich zu viel? Ich sass zuhause, habe innerhalb einer Woche drei Puzzle mit jeweils tausend Teilen gemacht und konnte auch das irgendwann nicht mehr sehen. Ständig spazieren (alleine), um dann einen Kaffee zu trinken (alleine) und abends einen Film zu schauen oder zu lesen (ja, wir wissen schon, was kommt: alleine), das ist alles nichts Besonderes, denn das mache ich in meinem Alltag ja auch meist alleine.
Ich weiss, dass der Advent und besonders die Weihnachtstage vor allem für Familien eine ganz andere Herausforderung sind. Denn allein Weihnachten ist für sie ein Vollzeitprogramm: Alle kommen nach vollen Wochen endlich beim 24. Dezember an und überschreiten die Ziellinie, nachdem sie wochenlang nebenher noch besondere Termine geschafft und alle Geschenke besorgt haben. Nach dem Heiligabend im engsten Kreis wollen an den folgenden beiden Tagen die Grosseltern besucht werden oder es stehen Familientreffen an. Wenn doch schon mal alle in der Nähe sind…!? Alleine das Essen für alle zu planen ist eine organisatorische Grossaufgabe – dazu kommen noch eventuelle Fahrtzeiten zu verschiedenen Treffen, und dann wäre da noch die Küche, die jedes Mal wieder neu auf Werkseinstellung gesetzt werden muss, bevor es mit dem nächsten Event weitergeht. Und da reden wir noch nicht davon, dass all das eine Menge Stress bedeutet, Weihnachten nicht wirklich ohne Streit abläuft und meine Freundinnen in all dem wenig Zeit für sich haben. Da sind alle froh, wenn Weihnachten rum ist und ein bisschen Urlaubszeit beginnt.
Endlich Zeit
Gerade weil diese Woche die einzige im Jahr ist, in der scheinbar nichts passiert, die Zeit ein wenig stehen bleibt und alle zwischen den Jahren zu schweben scheinen, sind das die Tage, an denen Familien einfach zuhause sein können. Keine Termine, keine Schule oder Arbeit – stattdessen endlich Zeit.
Wer bin ich also, dass ich ihnen diese kostbaren Momente nehme oder ihnen ein schlechtes Gewissen mache, weil sie sich nicht melden?! Das will ich ja gar nicht!
Aber irgendwie scheint es zwischen dem chaotischen Wahnsinn der Familien und der Stille und manchmal auch Einsamkeit der Singles wenig zu geben. Und ich glaube, dass das nicht so sein muss.
Eine Einladung
Die meisten von uns merken zum Ende des Jahres, dass die Luft raus ist. Und gerade dann kommt der wildeste Monat, der eigentlich eine Chance bietet, ein bisschen runterzufahren und sich mit dem Advent auf die Ankunft von Jesus vorzubereiten. Jedes Jahr nehmen wir uns vor, dass wir es im nächsten anders machen – nur, um mittendrin festzustellen, dass das irgendwie schon wieder nicht geklappt hat. Deshalb ist das hier eine Einladung für deinen und meinen Dezember: diesmal wirklich. Noch ist es nicht zu spät: Vielleicht können wir den Dezember in diesem Jahr ja bewusst ein bisschen anders gestalten?
1. Zeit bewusst gestalten
Wenn dir dein Kalender jetzt schon Schnappatmung beschert, dann sortiere aus! Du darfst das! Unser Kalender sollte nicht uns bestimmen, sondern wir über unsere Zeit. Da, wo es möglich ist, plane dir freie Zeiten ein und warte nicht erst, bis die Welt sich von allein ein bisschen ruhiger dreht. Gerade, wenn sich Termine häufen, weil man sich «doch mal eben noch schnell in diesem Jahr treffen will», dann mach dir bewusst: Im Januar ist auch noch Zeit und das ist einfach nur ein neuer Monat. Entzerre den Dezember, nimm dir Zeiten für das, was dir guttut – wir müssen nicht bis zum ersten Weihnachtstag durchhetzen. Vielleicht kann dieses Jahr jemand anderes mit den Kindern die Kekse backen oder du lässt die vierte Weihnachtsfeier sausen.
2. Die Pause im Aussen für eigene Pausen nutzen
Was ich im letzten Jahr in allem Alleinsein und mich auch mal einsam fühlen gemerkt habe, ist, dass diese Woche am Ende des Jahres einen besonderen Schatz birgt: Es ist Zeit! Ja, ich habe auch sonst oft viel Zeit und verbringe sie dann auch viel allein. Aber nur in diesen paar Tagen geht die Welt ein bisschen langsamer. Ämter haben zu, Cafés und Geschäfte machen eine Weihnachts-Pause, regelmässige Veranstaltungen setzen aus, und ich habe dadurch nicht das Gefühl, dass sich die Welt ohne mich weiterdreht. Die Tage um Weihnachten sind kollektive Tage zum Durchatmen. Und genau darauf freue ich mich in diesem Jahr schon jetzt. Während alles ein bisschen langsamer läuft, fällt es mir viel leichter, ebenfalls langsamer zu machen und mich treiben zu lassen. Das ist ein Schatz, den ich bewusst für mich nutzen will, um mich zu erholen, aufzutanken und zur Ruhe zu kommen.
3. Lass uns das gemeinsam machen
Meine Einladung für diesen Dezember ist gleichzeitig auch der Wunsch, dass wir gemeinsam durch diese Zeit gehen – egal, wie leicht oder schwer sie uns fällt, wie voll oder einsam sie ist. Als ich im letzten Jahr nach Silvester mit einer Freundin über diese Zeit sprach, erzählte sie, wie es für sie war, eine Woche lang ein volles Haus zu haben und dass sie irgendwann fast durchgedreht sei, weil immer jemand etwas von ihr wollte. Sie hätte sich so gewünscht, mal kurz durchatmen und ohne die Kinder sein zu können. Da habe ich sie gefragt, warum sie das nicht einfach gemacht hätte? Zwei Paar Grosseltern und ein Ehemann sind wirklich genug Menschen, um für ein paar Stunden die Kinder zu bespassen. In der Zeit hätten wir in Ruhe einen Kaffee trinken können, sie wäre mal rausgekommen und ich hätte Gemeinschaft gehabt. Aber irgendwie kam ihr diese Idee gar nicht und ich kam nicht auf den Gedanken, dass es ihr in all dem Familienbesuch daheim zu viel sein könnte. In diesem Jahr könnte das für alle Mamas vielleicht ein kleiner Anker sein: Nehmt euch doch jetzt schon vor, euch an einem Tag für zwei Stunden zuhause rauszuziehen und etwas anderes zu machen.
Bewusster gestalten
Ich will an dieser Stelle niemandem wertvolle Familienzeit wegnehmen oder schlechtreden. Vielleicht können wir diese Zeit stattdessen bewusster gestalten und miteinander reden, einander fragen, was wir brauchen oder uns wünschen, und dann schauen, ob wir an der Stelle zusammenfinden. Wenn ihr Singlefreunde habt, dann brauchen die kein extra Programm und ihr müsst ihnen auch nichts Spezielles bieten: Für Alleinlebende ist bereits Gemeinschaft und ein paar Stunden Familienanschluss zu haben schon wertvoll. Es gibt uns das Gefühl, auch in dieser Zeit gesehen und wertvoll zu sein. Damit will ich uns nicht als besonders unkomplizierte, leicht umgängliche Spezies mit vielen Vorzügen anpreisen. Aber seht es mal so: Eure Kinder können uns ihr neues Spielzeug zeigen, ohne dass ihr zum vierten Mal begeistert darauf reagieren müsst, was es alles Tolles kann. Gemeinschaft ist nicht immer eine zusätzliche Belastung, sondern kann vor allem bereichernd sein. Und das gilt für beide Seiten.
Ich will meinen Dezember achtsam gestalten, meinen Kalender früh im Blick behalten, Dinge planen, die mir guttun, und vorsorgen: auch für die Tage, an denen es wahrscheinlich sehr ruhig und vielleicht auch mal einsam wird, um gerade dann gut für mich sorgen zu können. Ich fände es aber auch toll, wenn wir es schaffen würden, in dieser besonderen Zeit noch mehr aufeinander zu achten und wenn jeder von uns so in Gemeinschaft eingebunden sein könnte, wie er oder sie es braucht. Dieses Jahr wirklich.
Rebekka Gohla ist Sozialpädagogin und Autorin und lebt im Herzen des Ruhrgebiets. Ihre Gedanken teilt sie auf Instagram unter @rebekka_gohla.
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Datum: 08.12.2025
Autor:
Rebekka Gohla
Quelle:
Magazin Joyce 04/2025, SCM Bundes-Verlag