Arabische Christen

Opfer und doch Hoffnungsträger?

Das Ringen um Freiheit in der arabischen Welt bewegt. Der Frühling hat (noch) keinen Sommer gebracht. Diktatoren und Emire verteidigen ihre Macht mit Panzern, Petrodollars und Geplapper. Von der traurigen Hilflosigkeit einheimischer Kirchen hebt sich ein Appell ab, in dem eine evangelische Zukunftsvision aufblitzt.
Ägypter schwanken zwischen Hoffnung, Entschlossenheit und Angst: Protest auf dem Tahir-Platz
Öffentlich ausgehängt: Das Plakat ruft zum Wiederaufbau Ägyptens mit der Bibel auf.

Ramez Atallah, der Leiter der ägyptischen Bibelgesellschaft, ruft dazu auf, «das Land am Nil mit dem Evangelium zu überfluten». Es gehe darum, in dieser schicksalsschweren Zeit mit grundlegenden biblischen Wahrheiten Impulse zu geben und Ägypten neu aufzubauen (Rebuild Egypt). Die Inhalte der Bibel sollen schriftlich und elektronisch landesweit verbreitet und leicht zugänglich gemacht werden. Dazu dienen Plakate und Zeitungsinserate.

Der mutige Appell lässt die Stärke der christlichen Gemeinschaft in Ägypten ahnen. Er zeigt zudem an, was alle Länder im Aufruhr dringend benötigen – und kaum bekommen. Denn stärker als im Aufbruch des 19. Jahrhunderts, den gebildete Christen als Araber mitgestalten durften, schlägt den Menschen des Kreuzes heute Misstrauen und antiwestlich motivierte Feindschaft entgegen.

Wehrlose Schutzbefohlene

Zu gern möchte man die Augen davor verschliessen: In manchen Teilen der islamischen Welt leben Christen in einer schrecklichen Unsicherheit. Ramez Atallah berichtet von der Familie eines Mitarbeiters, die einkaufen ging. In der Zeit wurden ihr aus der Wohnung alle Ersparnisse und Kostbarkeiten gestohlen. Die Polizei liess den Mann wissen, ihre Kapazität sei begrenzt; nur Tötungsdelikte würden verfolgt!

In einer historischen Perspektive ist die besonders prekäre Lage der Christen die Spätfolge ihrer Diskriminierung und Diffamierung durch Herrscher und islamische Würdenträger. Seit der Islamisierung des Nahen Ostens, die im 8. Jahrhundert einsetzte, waren Christen «Schutzbefohlene» (dhimmi), eine zweitklassige Minderheit. Der Islam beanspruchte die Herrschaft in allen Lebensbereichen. Die Christin durfte einem Muslim Kinder gebären, der Christ aber keine Muslima heiraten.

Zum Schweigen gebracht

Schon dadurch schien der Niedergang der wehrlosen Minderheit besiegelt. Politischer, sozialer und kultureller Einfluss wurde ihr versagt, Mission prinzipiell untersagt, die öffentliche Stimme zum Schweigen gebracht (Ausnahmen Ägypten und Libanon). Auf der Arabischen Halbinsel vertrieben oder töteten die Muslime die Christen und eliminierten die Gemeinden – was heute Islamisten zwischen Marokko, Sansibar und den Molukken als Modell gilt und den Gewaltbereiten unter ihnen Antrieb zu Terror ist.

Überlebensstrategien

Dass Kirchenleiter in der Region Diktatoren gegenüber unterwürfig agieren, darf nicht erstaunen – eine Zivilgesellschaft, Demokratie und unabhängige Richter fehlen. Mit Vitamin B haben Verantwortliche über Jahrhunderte versucht, kleine, scharf begrenzte Lebensräume zu sichern. Denn bei jedem Zusammenbruch von Herrschaft drohten Wirren und Anarchie; wegen juden- und christenfeindlicher Koranstellen und der Bejahung von Gewalt im Islam mussten Minderheiten dann um ihre Existenz bangen. Der islamistische Terror im Irak, der 2003 einsetzte, schreckt die Christen, nicht zuletzt die syrischen, die sich ihrem Baath-Regime arrangiert haben.

Ausnahme Ägypten

Ein trauriger Ausdruck des Niedergangs der traditionsreichen orientalischen Kirchen (historisch die Wiege der Christenheit) ist das Nein zu evangelischer Vielfalt: Neue, lebendige Gemeinden, die die vom Islam gesetzten Grenzen missionarisch überschreiten und/oder Kontakte zum Westen haben, werden mit Misstrauen und Verachtung gestraft und teils bekämpft.

In Ägypten hat ein bibelgestützter Aufbruch in der koptischen Kirche vor bald 100 Jahren Voraussetzungen für ein Miteinander von alteingesessenen und neuen Gemeinden geschaffen, von denen die Bibelgesellschaft profitiert. Ihr ist zu wünschen, dass sie die Mittel erhält, um im bevölkerungsreichsten arabischen Land Evangelium zu verbreiten – Millionen Muslime sind unterwegs zu neuen Ufern.

Geben Minderheiten den Ausschlag?

Die Vermutung liegt nahe, dass für die Erneuerung arabischer Staaten die Vitalität ihrer christlichen Minderheiten entscheidend werden könnte, der Mut derer, die mitten unter den Verehrern Allahs unbeirrbar Christus anrufen und bekennen. (Die libysche Sackgasse ist jedenfalls besonders düster – der Diktator hat christliche Gemeinden gar nicht zugelassen – und auch im Jemen und in Somalia sind keine Auswege sichtbar.)

Damit Christen für die freiheitliche Erneuerung arabischer Staaten echt wirken können, müssten ihnen gleiche Rechte zugestanden werden. Das «Dhimmi-Korsett», in dem sie schon über tausend Jahre stecken, gehört aufgeschnürt.

Was nicht erschüttert werden kann

Doch eben dagegen laufen die Islamisten mit ihren Scharia-Forderungen Sturm. Zwischen dem Persischen Golf und dem Roten Meer verschanzen sich die Emire hinter den Erdölmilliarden. Doch kein Bündnis mit dem Islam – weder der katarische noch der saudi-arabische Weg – kann die Herrscherclans vor dem Machtverlust bewahren.

Gemäss der Bibel wird Christus «noch einmal nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel erbeben lassen… Was erschüttert wird, weil es zum Geschaffenen gehört, wird verändert, damit bleibe, was nicht erschüttert werden kann» (Die Bibel, Hebräerbrief, Kapitel 12, Verse 26-27).

Datum: 22.08.2011
Autor: Peter Schmid

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