Zwei Freunde, Verehrer der hinreissenden Judith, die als Jüdin nicht heiratsfähig ist, entführen ins Basler Mittelalter, in jene bewegten Jahre, da die Pest die finstersten Triebe im Volk offenlegte. In der Tradition des Welttheaters verbindet das Musical „Basileia“ die Love Story mit menschlichen Irrungen und Wirrungen auf dem Kampffeld von Gut und Böse. Es hatte am Dienstag im Volkshaus Basel Première – genau 650 Jahre nach dem schweren Erdbeben. Wie kann das Mittelalter ins Musical auferstehen? Im Volkshaus stimmt ein ruhiges Bühnenbild die Besucher ein. Ein bunter Bilderbogen mit temperamentvollen und lyrischen Songs folgt: Liebeswerben und Spott, Beteuerungen ewiger Freundschaft, der bekümmert-weise und der überforderte Stadtvater, intrigante Adelige, geschäftige Frauen und Clowns. Allein wer das geheimnisvolle „Buch der Visionen“ besitzt, sieht noch zwei weitere Gestalten, die in alledem um die Zukunft Basels streiten. Sie mischen sich ständig unter die Menschen: die Lichtgestalt Basileia (Monica Quinter), um das Gute zu fördern und dem Reich Gottes zum Durchbruch zu verhelfen, und ihr manipulativer Gegenspieler, der schwarz gewandete Basil (Manfred Zaminer). Wer kriegt die schöne Judith? Das Musical verwebt die Ebenen so, dass die an der Basler Geschichte von 1349-56 angelehnte, vom Ensemble mit Elan gespielte Love Story vielfach verzögert wird. Dies eröffnet den Blick in die jenseitige Dimension, in der es um Grösseres geht: Triumphiert die von Basil gefeierte Heuchelei, Arroganz und Gier – in der Pestkrise fallen ihr die Juden der Stadt, als Brunnenvergifter verleumdet, zum Opfer – oder die Gerechtigkeit Basileias? Trotz diesen komplexen Hintergründen überzeugen die Hauptpersonen als Menschen von Fleisch und Blut. Allen voran Christian (Sergio Maurice Vaglio), der Lebemann, der eine innere Wandlung durchmacht und zum Hüter des „Buchs der Visionen“ wird – mehr sei hier nicht verraten. Neben ihm die temperamentvolle Judith (Prune Lüdi), ihr geschäftstüchtiger und jedenfalls frommer Vater (sehr jüdisch Alexander Hohler), der würdige Bürgermeister Münch (Daniel Stüssi) und sein Sohn Thomas, der sich zum Gelehrten mausert (Chris Hess). Der Komponist Stefan Mens hat zu den Lyrics von Bruno Waldvogel-Frei, dem Vater des Musicals, einige eingängige Melodien geschrieben; er dirigiert selbst das grosse Orchester mit der Percussiongruppe in der Kabine. Thomas Strebel und Giorgio Fiori (Sound und Licht) bringen das Volkshaus tatsächlich zum Beben… Ein Welttheater als Musical für heute zu schaffen und in der Humanisten- und Pharmastadt am Rheinknie auf die Bühne zu bringen, notabene ohne staatliche Förderung: Hut ab vor Bruno Waldvogel-Frei, der an seinen Stoff geglaubt und seine Albträume von Erdbeben, die er vor Jahren hatte, kreativ umgesetzt hat. Dem Pfarrer an der Basler Gellertkirche und seinen Partnern (Regie: Gian Andrea Scarello) ist eine vielschichtige Inszenierung gelungen. Zeitlose Fragen werden im historischen Gewand gestellt, ohne dass das Mittelalter seine Fremdheit ganz verliert. Die Premièrenbesucher dankten den Aufführenden mit einer standing ovation. Das Musical ist weit mehr als ein Lokalereignis. Es richtet sich an Basler, die in diesen Wochen nicht bloss das aktuelle Erdbeben-Risiko für ihre stolze Stadt verhandeln, sondern den geistigen Triebkräften in ihrer Geschichte nachdenken. Und an europäische Zeitgenossen jeder Couleur, denen diese Welt nicht gut genug ist, die hoffen wollen. Wie Basileia in einem strahlenden Song proklamiert: „Verzage nicht, wenn vieles dunkel scheint! Es kommt der Tag, da werden deine Augen sehn, Infos und Tickets bei www.musical-basileia.ch Eine Stadt wie die Welt
Polare Kräfte im Hintergrund
Überzeugende Darsteller
Albtraum als Kreativ-Impuls
„Es kommt der Tag…“
Wenn man der Bösen Spiel obsiegen meint.
Dann richte deinen Sinn auf Christus hin,
dann siehst du recht.
und du siehst klar, was einst nicht zu verstehen war!
Es kommt der Tag, da hört das Weinen auf,
und lachend endest du den Lauf!“
Das Musical „Basileia“ im Volkshaus Basel, Aufführungen bis 3. November.
Datum: 20.10.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch