Superstar in Judas’ Schatten
Im siebten Jahr der Thuner Musical-Ära bringen die Veranstalter im „Jerusalem des Berner Oberlandes" (Berner Zeitung) die einzigartige Rock-Oper von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice über die letzten sieben Tage im (irdischen) Leben von Jesus auf die Bühne. Allerdings blendet die Regisseurin Helga Wolf aus, was die Autoren voraussetzen: Jesus hat, wie die Evangelien zeigen, in seinem dreijährigen Wirken eine Gemeinschaft von zwölf Männer um sich geschart und auf einer Achterbahn der Erfahrungen zusammengeschweisst.
Hat Jesus Jünger?
In der weiten, farblich fein abgestimmten Arena vor der Berner Alpenkulisse deutet nun nichts auf eine verschworene Gemeinschaft. Jeder Jünger widmet sich seinem Girl und der von Maria Magdalena (Simone Geyer) rührend umsorgte Chef zieht Hand in Hand mit ihr in Jerusalem ein. „Denk an nichts mehr heut nacht", hat sie ihm zuvor unter dem abdämmernden Himmel zugeflüstert. Dem netten Jesus Philipp Hägelis mangelt Autorität und spirituelle Vision. Seine harmlose Wohlfühl-Kommune - eine Gefahr für die Mächtigen?Viele Verehrer - ein dominanter Gegenspieler
Seine Macht könnte er mehren, indem er den Hass auf Rom schürt, suggeriert der gewaltbereite Jünger Simon; doch das ist Jesu Sache nicht. Für Dramatik sorgt von Beginn weg Judas. Mit dem Versuch, ihm andere Facetten als die des Verräters abzugewinnen, erregten Webber und Rice vor bald 40 Jahren Aufsehen. In schwarzer Kluft und wilder Mähne, heftig gestikulierend und stimmgewaltig dominiert Mischa Mang, der den Verräter bereits zum viertenmal spielt, die Thuner Arena. Angesichts seiner Bühnenpräsenz verblasst Hägelis Jesus.Kein Superstar
Im Gegensatz zum Drama, das die Evangelien erzählen, ist der Jesus der Rockoper nicht Herr der Lage. In der Tempelszene werden Sklavenhandel und Prostitution drastisch vorgeführt, bevor Jesus die Händler verjagt - weder Messias noch Superstar, eher Sozialreformer. Beim Abendmahl klagt er über den Verrat; Judas reisst das Tischtuch samt Bechern vom Tisch. „Ich bin zu früh verglüht, hoffnungslos und müd", singt Jesus im Garten Getsemane - und rafft sich dann doch auf zum Leidensweg.Dass Judas, der sich erhängt hat, noch auf dem Kreuz hocken und, umtänzelt von langbeinigen blau-schwarzen Engeln, den blutig gepeitschten Jesus quälen kann, befremdet. Webber und Rice hatten den Einfall, Judas' Geist sprechen zu lassen; die Thuner Inszenierung macht ihn sogar auf dem Kreuzweg Jesu zur Hauptperson.
...und nach der Kreuzigung?
Die Grundspannung ist mit der Kluft zwischen dem biblischen Bericht und der kühnen Rockoper gegeben, die Webber und Rice in jugendlichem Übermut schufen. Wenn die Inszenierung von Helga Wolf auf der Seebühne die Schieflage mit einem dominanten Judas noch verstärkt, bietet sie doch zahlreiche kräftige Bilder, bewegende Unterhaltung - und danach jede Menge Stoss fürs Gespräch (vgl. das anregende Programmheft).Die Kreuzigung selbst, die finale Folterung, ist in Thun nicht zu sehen, nur zu hören. Das eine Grundfaktum des Glaubens der Christen wird auf einen Wasserfilm projiziert: kreativ und nebulös. Das zweite Grundfaktum, die Auferstehung Jesu, kommt in der Rockoper nicht vor. In Thun ersteht aus dem Dunkel ein grosses, immer stärker leuchtendes Lichtkreuz - Zeichen der Hoffnung?
„Jesus Christ Superstar" auf der Thuner Seebühne: Aufführungen bis 29. August (Mittwoch-Samstag)Datum: 14.07.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch