Lungenseuche SARS: "Wir können uns nicht wegschliessen"

Goh Chok Tong, Premierminister Singapur

Singapur. Überfüllte Kirchen kennzeichneten das Osterfest im südostasiatischen Singapur. Trotz weiter anhaltender Gefahr durch die schwere Lungenkrankheit SARS strömten Christen aller Konfessionen zu den Kar- und Ostergottesdiensten. Zeitgleich kündigte Premierminister Goh Chok Tong einen "Kriegsplan" gegen die um sich greifende Infektionskrankheit an und sprach von der bisher wohl schwersten Krise des Landes. Der Schaden für die Wirtschaft geht in die Milliarden.

Weder Bischof Nicholas Chia noch die anwesenden Pfarrer oder die Gemeinde trugen Schutzmasken. "Meine Schwester wollte wegen der Menschenmenge eine Maske tragen, tat es aber dann doch nicht. Wir sollten Gottvertrauen haben", sagte die Chinesin Martha.

Die Kirche selbst tat das ihre, um den Menschen Schutz zu bieten. Bei den Gottesdiensten waren der Handschlag beim Friedensgruss sowie das Kelch- und Abendmahl verboten. Auch die persönliche Beichte wurde durch Bussgottesdienste ersetzt.

Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in dem südostasiatischen Vielvölkerstaat haben laut einer Umfrage gelernt, mit der Bedrohung durch SARS umzugehen. Knapp sechs Wochen nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 12. März wegen der bis dahin unbekannten Krankheit Alarm gab, versuchen die Menschen zu einem Stück Normalität zurück zu finden: "SARS ist nicht in 14 Tagen vorbei, aber wir können uns nicht wegschliessen."

Peking greift durch

Vor dem Hintergrund der SARS-Krise sind der chinesische Gesundheitsminister Zhang Wenkang und der Pekinger Bürgermeister Meng Xuenong wichtiger Ämter in der KP-Führung enthoben worden. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete unter Berufung auf das Zentralkomitee der Partei, Zhang habe das Amt des Sekretärs der KP-Gruppe des Gesundheitsministeriums verloren, Meng sei nicht länger Vizesekretär des KP-Stadtkomitees von Peking. Damit sind beide de facto entmachtet, der Verlust ihrer eigentlichen Ämter könnte noch erfolgen.

Höheres Todesrisiko

Das Todesrisiko für SARS-Patienten ist nach Ansicht eines amerikanischen Wissenschaftlers unterdessen deutlich höher als bislang angenommen. Nach Berechnungen von Henry Niman, einem Mitarbeiter des Instituts für Bioingenieurwesen an der Universität Harvard, liegt die Todesrate in Hongkong über 18 Prozent. Offiziell wird sie mit fünf Prozent angegeben. Der US-Wissenschaftler hält die bisher angewandte Formel zur Berechnung der Todesrate für falsch, wie er in einer E-Mail an Ärzte und Journalisten in aller Welt erläutert.

Über 339 SARS-Fälle allein in Peking

Die chinesischen Zahlen wurden unterdessen nach oben korrigiert. Das Gesundheitsministerium berichtete von zwölf weiteren Opfern und insgesamt 346 Krankheitsfällen in Peking, wo bislang nur 37 Patienten gemeldet worden waren. Nach internationaler Kritik an Chinas Informationspolitik hatte die Regierung am Wochenende alle Behörden aufgefordert, Fälle von SARS umgehend zu melden. Die Zahlen könnten daher noch weiter steigen.

Aus den Angaben wurde deutlich, dass sich die Seuche, die im November in der südchinesischen Provinz Guangdong ausgebrochen war, mittlerweile im ganzen Land verbreitet hat. Am schwersten ist neben Peking derzeit die Provinz Shangxi betroffen, wo 108 SARS-Fälle gemeldet wurden.

Unterdessen suchten die Gesundheitsbehörden in Hongkong nach neuen Behandlunsmethoden für SARS-Kranke, nachdem auch jüngere Patienten trotz intensiver Behandlung der Krankheit erlagen. Am Sonntag starben erneut sieben Patienten, vier davon waren unter 50 Jahre alt. Die Zahl der SARS-Opfer in der chinesischen Sonderverwaltungszone stieg damit auf 88 von 1.358 Erkrankten.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf waren bis zum Samstag weltweit in 25 Ländern 3547 an SARS Erkrankte und 182 Todesopfer offiziell registriert worden. Die am Sonntag bekannt gewordenen neuen Todes- und Erkrankungsfälle in China und Hongkong sind in den WHO-Zahlen noch nicht enthalten.

Unter Hinweis auf die «sehr ernste Lage» schloss die 23 Millionen Einwohner zählende Innere Mongolei ihre Schulen bis 20. Mai, berichtete der China News Service. SARS-Fälle seien im mittleren, westlichen und östlichen Teil der nordchinesischen autonomen Region entdeckt worden. Offiziell ist bislang aber nur von 25 SARS-Patienten die Rede. In der 30 Millionen zählenden Provinz Shanxi, wo offiziell 112 Fälle eingeräumt wurden, bleiben Schulen bis 7. Mai geschlossen.

SARS-Verbreitung: Kanalsystem in Hongkong im Visier

Laut der Hongkonger Gesundheitsbehörde ist das Abwassersystem für die massenhaften SARS-Infektionen in der Appartementanlage Amoy Gardens verantwortlich. Ein SARS-Patient mit Diarrhoe habe andere Bewohner der Anlage infiziert, der in Folge massenhaft kontaminierte Fäces habe das Virus durch die Rohre befördert. Tröpfchen mit dem Erreger hätten so über 300 Personen erkranken lassen. Kakerlaken und Ratten in der Kanalisation sollen dem Bericht zufolge eine untergeordnete Rolle gespielt haben. "Sie waren lediglich passive Träger", erklärte Hongkongs Gesundheitsminister Yeoh Eng Kiong.

SARS-Test aus China liefert Ergebnis in zwei Stunden

Chinesische Forscher haben einen einfachen Serumtest für die SARS-Detektion entwickelt. Der Test soll in weniger als zwei Stunden ein Ergebnis liefern. Das Testreagenz steht für einen Einsatz in Krankenhaus bereit, berichtet die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Bislang hat ein fehlendes objektives Kriterium die Behandlung und die Prävention der Lungenkrankheit erschwert und bei Patienten mit ähnlichen Symptomen zu Fehldiagnosen geführt. Die Tests werden am Chinese People´s Liberation Army (PLA) Medical Institute durchgeführt. Die Entwickler sprechen von einer Testgenauigkeit von 95 Prozent.

Fragen und Antworten zu SARS

Das Schwere Akute Atemwegssyndrom SARS ist nach bisherigen Erkenntnissen erstmals im vergangenen November in China aufgetreten. Seit Ende Februar breitet sich die Lungenkrankheit weltweit aus.

WAS IST SARS UND WELCHE SYMPTOME GIBT ES?
SARS ist eine neue Infektionskrankheit der Atemwege. Sie beginnt laut Robert-Koch-Institut meist mit Fieber über 38 Grad Celsius und Atembeschwerden wie Husten, Atemnot oder Kurzatmigkeit. Zusätzlich können Hals-, Muskel- und Kopfschmerzen sowie Übelkeit oder Durchfall auftreten. War der Erkrankte zudem noch in den vergangenen zehn Tagen in Ländern mit hoher SARS-Rate oder hatte Kontakt zu SARS-Erkrankten, gilt er als Verdachtsfall. Zeigt das Röntgenbild eine Lungenentzündung oder hat der Patient akute Atemnot, dann gilt er als «wahrscheinlicher Verdachtsfall». Die Inkubationszeit beträgt nach bisherigen Erfahrungen zwei bis zehn Tage.

WIE WIRD SARS ÜBERTRAGEN?
SARS wird vor allem in Tröpfchen beim Husten und Niesen übertragen und wahrscheinlich nur nach Ausbruch der Symptome. Das Robert Koch- Institut geht davon aus, dass die Übertragung über Tröpfchen bis zu einem Abstand von 2 Metern geschehen kann.

Als wahrscheinliche Erreger gelten Coronaviren, vielleicht im Zusammenhang mit weiteren Auslösern. Coronaviren sind laut Hamburger Tropeninstitut an der Luft nicht sehr stabil, eine Ausbreitung beispielsweise über Klimaanlangen sei daher nicht sehr wahrscheinlich. Über geringe Entfernungen hält die WHO jedoch auch eine Verbreitung über die Luft, Wasser oder das Abwassersystem für möglich. Coronaviren wurden auch im Stuhl von Erkrankten gefunden. Daher untersuchen Mediziner, ob sich das Virus auch über Schmierinfektion überträgt.

Schützen kann man sich in den betreffenden Ländern mit Atemmaske, eventuell Schutzbrille und dem Waschen der Hände. Zudem sollte man Menschenansammlungen meiden.

WER IST GEFÄHRDET?
Bislang haben sich vor allem Menschen mit sehr engem Kontakt zu SARS-Erkrankten infiziert, wie Pflegepersonal in Kliniken oder Angehörige. Die Gründe über die Schwere des Infektionsverlaufs werden untersucht. Nach Auskunft des Frankfurter Virologen Hans Wilhelm Doerr könnten genetische Veranlagung, Fitness und Ernährung eine Rolle spielen. Etwa vier Prozent der Erkrankten sterben.

WELCHE REGIONEN SIND GEFÄHRLICH?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine Reisewarnung für Hongkong und die südchinesische Provinz Guangdong ausgesprochen. Übertragungen innerhalb eines Landes meldete die WHO bislang aus Kanada, Singapur, China (Peking, Hongkong, Shanxi, Guangdong, Taiwan) und Vietnam. In Kanada traten die Fälle in der Region um Toronto auf, in Vietnam in der Hauptstadt Hanoi. Eine Reise in die entsprechende Regionen sollte nach Angaben des Auswärtigen Amtes sehr sorgfältig abgewogen werden.

WAS WIRKT GEGEN DIE KRANKHEIT?
Gegen SARS gibt es bislang weder eine Impfung noch ein Medikament. Ärzte können nur versuchen, den Allgemeinzustand der Patienten zu verbessern. Manche geben Antibiotika gegen mögliche zusätzliche Bakterieninfektionen. Derzeit prüfen Mediziner, ob bekannte Anti- Viren-Medikamente wie Ribavirin gegen SARS wirken. Einen neuen Wirkstoff zu entwickeln und zu testen, dauert gewöhnlich mehrere Jahre.

Quellen: Kipa/pte online/Livenet

Datum: 23.04.2003

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