Mit der Leidenschaft eines Spielers
Es ist die letzte Rede eines faszinierenden Menschen. Er kann sie nicht komplett selber halten. Eine schwere Krebserkrankung hat seinen Körper ausgelaugt. Am 15. Mai 1989 spricht Klaus Bockmühl auf der Graduierungsfeier des Regent College in Vancouver. Und seine Botschaft kommt quer: Man würde ein «Legen wir los!» erwarten, einen «Startschuss», der befeuert und begeistert. Aber Bockmühl sagt: «Vielmehr bitte ich Sie, die Bremse anzuziehen, innezuhalten, den Start zu verschieben und ‘auf den Herrn zu harren’. Ich bitte Sie vor und über allem: ‘Lasst uns Hörer sein.’» Was dann folgt ist wie ein Vermächtnis Bockmühls, der 26 Tage später am 10. Juni 1989 stirbt.
Es ist nichts weniger als die bemerkenswerte Selbstkritik eines Mannes, der schon immer leidenschaftlich für Gott und Menschen, für Theologie und Kirche gelebt hat. Aber jetzt markiert er noch einmal neu den innersten Kern seiner Spiritualität: Die Freundschaft mit Jesus. Wer will, der kann hier etwas lernen über wahre Leidenschaft des Glaubens.
Kennengelernt habe ich Klaus Bockmühl leider nie persönlich. Dafür aber seine Frau, Elisabeth Bockmühl. Durch sie und manche meiner theologischen Lehrer, die selber von Bockmühl geprägt waren, bin ich ihm zunächst begegnet. Noch zehn Jahre nach seinem Tod war das Erbe, das er am Regent College hinterlassen hatte, dort für mich spürbar. Und dann sind da seine Schriften. Der knappe Meter an Büchern und Aufsätzen aus seiner Feder steht für eine Theologie vor dem Angesicht Gottes. Im Vorwort zur Bockmühl-Werk-Ausgabe schreibt Reinhard Frische: «Die Leidenschaft mit der Bockmühl die Wahrnehmung der Wirklichkeit Gottes für ein verantwortliches Reden und Handeln in Kirche und Gesellschaft zum Hauptthema machte, ist kennzeichnend für sein Lebenswerk.» Ein glühender Eifer für Gott – deshalb legt man Bockmühls Bücher auch nicht einfach so weg.
Hier trifft die Theologie unmittelbar ins Leben und macht einem deutlich: Ich, die Menschen, diese Welt, das alles muss nicht so bleiben, wie es ist.
Keiner, der einfach nur Staub aufwirbelte
Leidenschaft hat Bockmühl gelebt, aber nicht als einer, der einfach Staub aufwirbelte. Er muss ein unglaublich treuer und disziplinierter Arbeiter gewesen sein. Gott an die erste Stelle zu setzen, das fand seinen Ausdruck gerade dort, wo niemand dabei war, wo es keinen Applaus zu ernten gab, nämlich im stillen Arbeitszimmer, in der hart errungenen Qualität des theologischen Schaffens. Für seine theologischen Überzeugungen ist Bockmühl eingestanden. Kein Geplänkel am grünen Tisch und dass man das alles ja auch noch mal anders sehen könnte. Nein, die gewonnene Erkenntnis Gottes und seines Willens drängt ins Leben – zuerst ins eigene.
1963 hat Bockmühl seine akademische Laufbahn in Basel riskiert und verloren, und zwar weil er zu seinen sexualethischen Überzeugungen stand. Die vielen Personen, die von ihm profitiert haben und geprägt worden sind – ein eindrückliches Zeugnis dafür, dass sich Bockmühl in das Leben anderer gegeben hat. Nicht auf der grossen Bühne, sondern persönlich oder im kleinen Kreis. Er wollte auf seinem Weg die Täler für andere Menschen zu einem Quellort machen (Psalm 84,7), wollte ein Esel sein, auf dessen Rücken andere steigen, um weiter zu sehen als er selbst. Bockmühl hat sich jeden Morgen der Stimme Gottes ausgesetzt und versuchte zu hören, was Gott will, was dran ist in Familie, im theologischen Arbeiten, im Dienst an Menschen. Wenn ich davon hörte oder in seinen Büchern las, dann war ich fasziniert von dieser glühenden Leidenschaft für Gott und seine Sache. Eine Leidenschaft in der Stille und aus der Stille.
Ein Hinweis: Achte auf seine letzte Rede
James M. Houston, Professor am Regent College, hat Bockmühl während seiner schweren Krankheit begleitet und das letzte Buch seines Freundes, «Hören auf den Gott der redet», fertig geschrieben. Er beschreibt ihn im Vorwort so: «Von Natur eher zurückhaltend, war es nicht einfach, ihn näher kennenzulernen, obwohl er auf persönlicher Ebene sein Herz öffnete.
Sein zurückhaltendes Wesen war in erster Linie begründet in seiner Bemühung um Integrität; er wollte mit seinen Worten Schritt halten können. Wenn wir alle schneller reden, als wir denken, öfter reden, als wir handeln und uns mehr vornehmen, als wir gewissenhaft ausführen können, dann ist mehr Stille nötig und mehr horchen.» Geht noch mehr Leidenschaft als das: In der Stille Gottes Weisung hören und dann auch danach handeln? Es war jener James Houston, der mir den Hinweis gab: Achte auf die letzte Rede Bockmühls. Und dort spricht Bockmühl selbstkritisch von einer Lektion, die er durch seine Krankheit gelernt habe. Bisher wäre es ein «Ehrentitel» gewesen, wenn man ihn einen «Arbeitswütigen im Reich Gottes» genannt hätte. «Ich sah meine christliche und menschliche Würde, mein Selbstvertrauen und meine Selbstachtung darin begründet, dass ich ein ‘Arbeiter’ in Gottes Weinberg war. Aber Jesus hat gesagt: ‘Ich nenne euch nicht mehr Knechte’ [...] Die Summe des Christentums – Liebe Christi, dem Meister nachfolgen – ist nicht in erster Linie ein Arbeitsverhältnis.
Leidenschaft nicht mit Vollgas verwechseln
Wer geistliche Leidenschaft verwechselt mit Vollgas geben, ordentlich was losmachen, spektakulären Aktionen und Erlebnissen, der wird gewarnt: «Hüten wir uns vor dem verführerischen Glanz der Arbeitswut, vor den Augenblicken, in denen wir uns insgeheim sagen, wie wunderbar es doch ist, erschöpft zu sein im Werk des Herrn, davon, dass man sich zumindest ‘richtig ins Zeug gelegt’, ‘sein Bestes gegeben’ hat. Nein, es ist weit besser, ein paar unauffällige Dinge zu tun, aber nach Gottes Anweisung.»
Leidenschaftliche Spiritualität ist jener Glaube, der sich zuerst ausdrückt in der Freundschaft zu Jesus, der uns nicht Knechte, sondern Freunde nennt (Johannes 15,15). Diese Liebe zu Christus, so Bockmühl, «wird aus sich selbst heraus alle nötige Motivation und Identifikation mit Seinen Zielen und Seiner Arbeit hervorbringen». Es geht also nicht darum, die Liebe zu Jesus auszuspielen gegen den Dienst für ihn und am Nächsten. Es geht aber darum, die Priorität klar zu haben. Und das heisst: Leidenschaft für Gott ist die Liebe, die ihm selbst gilt und ihm geschenkt wird in der Stille und im Gebet. Sich selbst Gott hinhalten, sich ihm geben und genau in dieser Aktion die grösste Passion für Gott finden. Dabei kann man sich selbst und den eigenen Gottesdienst auch mal vergessen.
Eine solche Leidenschaft glüht noch inmitten schwerer Krankheit, ja sogar im Angesicht des Todes. Zumindest bei Klaus Bockmühl, der sie in ein Bild fasst, das für mich zu einem der schönsten und zugleich herausforderndsten seiner Schriften gehört: «Lieben heisst sozusagen eine ‘exzentrische Position’ beziehen, aus sich herausgehen, sein Zentrum, seinen Lebenssinn ausserhalb seiner selbst, in Gott finden. Es bedeutet, sich selbst als Einsatz wagen und hat etwas von der Leidenschaft eines Spielers [hier steht im Englischen ‘gambler’], jedenfalls nichts Kleinliches an sich.»
Datum: 18.08.2011
Autor: Andreas Loos
Quelle: Chrischona Panorama