Nur so könne man verhindern, dass die in vielen Zeiten manipulierte Rezeptionsgeschichte der Heiligen Schrift gegen das Christentum verwandt werde, sagte der Historiker, Papyrologe und Literaturwissenschaftler in Leipzig vor dem Hintergrund der jüngst entbrannten Debatte um das Buch des jüdischen US-Politologen Daniel Goldhagen “Die katholische Kirche und der Holocaust”. Darin fordert Goldhagen, die Kirche solle 450 Stellen in der Bibel streichen, weil diese antsemitisch seien. Thiede erklärte in seinem Vortrag zum Thema “Juden und Christen – Die Wurzeln und der Hass”, man müsse bei der Auseinandersetzung mit der Bibel genau unterscheiden zwischen der Intention und der Rezeption der einzelnen Schriften: “Weder wollten die 27 Schriften des Neuen Testaments antijüdisch sein, noch sind sie es.” So seien die Autoren durchgängig Juden gewesen, die für Juden und über einen Juden - nämlich Jesus - geschrieben hätten. Erst nach der endgültigen Trennung von Juden und Christen, die sich im Laufe des zweiten Jahrhunderts vollzog, habe eine Deutung der Bibel mit antijüdischen Zügen eingesetzt, die sich leider nahezu durch die gesamte Kirchengeschichte gezogen habe. “Dass diese Rezeption aber in keinster Weise der Intention der neutestamentlichen Schriften entspricht, lässt sich am ehesten erkennen, wenn man die Texte in Griechisch bzw. Hebräisch liest”, so Thiede. Er ist auch Mitglied des Zentrums für deutsche Studien am Historischen Seminar der Ben-Gurion-Universität in Beer-Sheva (Israel).
Datum: 13.11.2002
Quelle: idea Deutschland