Podium in Bern

Religion an der Schule – Problem oder Chance?

Nicht zu viel Religion an der Schule ist ein Problem, sondern der religiöse Analphabetismus. Dies stellte ein Teilnehmer des Podiums in Bern fest, das die Vereinigten Bibelgruppen VBG zum Thema «Darf man in der Schule glauben?» durchführten.
Religion nicht nur aus der Negativperspektive unterrichten: Daniel Kummer. (Foto: Matthias Ackermann)
Die Diskussionsrunde mit Daniel Kummer, Kadriye Koca-Kasan, Georg Schmid, Hans Ambühl, Markus Häfliger, Anton Strittmatter und Martina Meier. (Foto: Matthias Ackermann)

Darf man in der Schule als Lehrer überhaupt noch vom Glauben reden? Dürfen sich Christen gegen die Evolutionslehre wehren? Die VBG-Pädagogikarbeit stellt da eine grosse Verunsicherung fest. Sie lud daher eine Religionskritikerin, Fachleute aus Schule und Erziehungsdirektionen, einen Religionswissenschafter und eine Muslima am 9. November in die Uni Bern zum Gespräch ein.

Aufklärung in Gefahr?

Martina Meier, Gymnasiallehrerin für Biologie und Initiantin der Arbeitsgruppe «Bildung und Aufklärung» machte gleich zu Anfang ihre Haltung klar: «Die Schule darf nur Wissen über Religionen weitergeben, aber kein religiöses Bekenntnis.» Sie ärgert sich, wenn in ihrem Biologieunterricht christliche Schüler verlangen, die Evolutionstheorie durch eine Schöpfungslehre zu ergänzen.

Hans Ambühl, Generalsekretär der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz, verwies auf Artikel 15 der Bundesverfassung. Danach hat jeder Schüler das Recht,  religiösem Unterricht zu folgen. Er dürfe aber nicht gezwungen werden, einem religiösen Bekenntnis zu folgen oder einer Religion beizutreten. Doch das sei eigentlich gar nicht das Problem. Bei vielen Schweizer Kindern herrsche nämlich «blanker Analphabetismus», wenn es um religiöses Wissen gehe. Religion müsse daher im Lehrplan 21 einen klar definierten Platz erhalten.

Anton Strittmatter ist Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz. Er bestätigte den Befund von Ambühl und sagte: «Wir sind in einem Zeitgeist der Einschüchterung angekommen, wo Leute besserwissend an die Medien gehen», wenn sie an der Schule etwas störe. Das  Recht der Schüler, über Religion informiert zu werden, sei heute an vielen Schulen nicht mehr gewährleistet.

Christentum nicht auf Kreuzzüge reduzieren

Martina Meier will sich nicht grundsätzlich der Information über Religion widersetzen. Wenn über das Christentum gelehrt werde, müsse aber auch über die Kreuzzüge und die Sonderbundskriege informiert werden, forderte sie.

Daniel Kummer, Leiter der Lehrerarbeit der VBG, ist dagegen, Religion nur aus der Negativperspektive zu unterrichten. Das Fach «Religion und Kultur», wie es heute im Kanton Zürich unterrichtet wird, sollte nur von Lehrkräften erteilt werden, die selbst eine christliche Überzeugung hätten, findet er.

Auch für den Religionswissenschafter und Sektenkenner Georg Schmid gilt: «Man kann nur über eine Religion reden, die man gerne hat.» Jede Lehrperson sollte in der eigenen (christlichen) Tradition daheim sein und sich in einer weiteren gut auskennen. Sonst überlasse er den Unterricht besser einer Kollegin oder einem Kollegen.

Keine neutrale Ethik

Martina Meier verlangte dagegen, Ethik müsse unabhängig von Herkunft und Glaube unterrichtet werden. Das ist gemäss  Anton Strittmatter aber nicht möglich. Er sprach von einem «klassischen pädagogischen Dilemma».  Religiöses Grundwissen und Werthaltungen könne man nicht ohne persönliches Engagement unterrichten. Denn echte Bildung entstehe nicht einfach am Computer. «Es braucht dazu Seele.» Das bestätigte auch Georg Schmid: Ethik und Religion könne man nicht voneinander trennen.

Eine christliche Gesellschaft?

«Wer will bestreiten, dass wir eine christliche Gesellschaft sind?», warf Hans Ambühl ein. «Das muss man nicht verdrängen. Das soll auch im Unterricht deutlich werden.» Das Thema werde heute viel zu stark problematisiert.

Das religiöse Leben werde in der Schule zudem relativiert, bestätigte Daniel Kummer. Wenn zum Beispiel die Zürcher Bildungsdirektorin Regina Aeppli fordere, Kinder sollten lernen, über Religion In der dritten Person zu reden (Die Christen glauben, dass ...). «Weshalb soll keine Identifikation mit dem Glauben stattfinden dürfen», fragte Kummer. 

Anton Strittmatter bedauerte, dass die Pädagogischen Hochschulen ihre Absolventen nicht darauf vorbereiten, über Religion zu unterrichten. Mit dem Fach seien viele Hoffnungen verknüpft, und es erfordere von den Lehrkräften grosse Sensibilität und eine gereifte Persönlichkeit.

Christen und Muslime gemeinsam

Die Muslima Kadriye Koca-Kasan ist interkulturelle Vermittlerin zwischen Christen und Muslimen in Basel. Für sie ist  Religionsunterricht in der Schule mindestens ebenso wichtig wie Naturwissenschaften. Sie brachte aber auch eine Idee ein, die man von Muslimen nicht erwartet. Die Schule sollte die Gemeinsamkeiten der monotheistischen Religionen hervorheben und erst in zweiter Linie auf die Unterschiede hinzuweisen. Muslime und Christen könnten einen solchen Unterricht gemeinsam besuchen, wenn die Eltern einverstanden wären. Ideal wäre für sie, wenn man im Unterricht nicht nur zusammen reden, sondern auch gemeinsam beten könnte.

Kompetent geleitet wurde die Podiumsdiskussion von NZZ am Sonntag-Redaktor Markus Häfliger, der zum Schluss die Podiumsteilnehmer mit je einer besonders kniffligen Frage herausforderte – zur Erheiterung des Publikums.

Datum: 15.11.2010
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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