Religionskritik

Westeuropas Light-Christen

Der Zürcher Tages-Anzeiger hat zum Jahreswechsel nochmals ein paar Scheite ins Feuer der Debatte um die Berechtigung von Religion gelegt. In einem grossen Interview kritisiert der deutsche Freidenker Michael Schmidt-Salomon die Grosskirchen – und plädiert zugleich für Grenzen der Toleranz angesichts unduldsamer Muslime.
An Light-Christen gewöhnt: Passanten am Zürcher Paradeplatz. (Foto: Wikipedia / Drahnreb)
Dr. Michael Schmidt-Salomon. (Foto: Wikipedia / Ungaroo)

Der Sprecher der Giordano Bruno-Stiftung wurde zum zweitenmal innert weniger Wochen vom Tagi interviewt. Nach seiner Analyse glaubt die Mehrheit derer, die in unseren Breitengraden einer der grossen Kirchen angehören, nicht mehr an den Kern des Christentums. „Die meisten Kirchenmitglieder sind bei genauerer Betrachtung Schein-Mitglieder, genauer gesagt: Taufschein-Mitglieder.“

Der Freidenker stellt dem von Glaubenssätzen bestimmten Zugang zur Welt einen „kritisch-rationalen“ Zugang gegenüber. Der säkulare Trend weg von der Religion sei in Westeuropa stärker als die „Bewegung hin zur Religion“. In dieser Gegenbewegung konstatiert der Schmidt-Salomon, was er eine „Verschärfung religiöser Bekenntnisse“ nennt. „Entweder werden die Menschen konsequenter religiös oder konsequenter areligiös.“

Ohne Jenseits wird Bibel belanglos

Diese Polarisierung akzentuiert für Michael Schmidt-Salomon die Schwäche der Reformierten. Der aufgeklärte Protestantismus verliere an Bedeutung, „während die evangelikalen Kirchen zulegen. Die akademische Theologie hat ihre Pointen verloren. Die Erlösungstat Jesu ist ohne Voraussetzung von Hölle und Teufel so packend wie ein Elfmeterschiessen ohne gegnerische Mannschaft. Wenn der Teufel zum Spiel gar nicht mehr antritt, wird die biblische Erzählung belanglos. Übrig bleibt ein ‚religiöser Dialekt‘, der fromm klingt, es aber nicht mehr so meint. Menschen, die wirklich glauben wollen, befriedigt das nicht.“

«Todernste» Religiosität

Der traditionelle Islam rüttelt die Europäer auf, die die Religion der Väter und Mütter derart auf die leichte Schulter genommen haben, dass sie ihnen zwischen den Fingern zerrinnt. Gemäss Schmidt-Salomon „werden wir heute mit unaufgeklärten Formen des Islam konfrontiert, was für Mitteleuropäer eine recht ungewohnte Erfahrung ist. An Light-Christen gewöhnt, sind wir nicht geübt, mit religiösen Kräften umzugehen, die sich selbst noch todernst nehmen.“

Militante, auf jenseitigen Lohn fixierte Muslime seien nicht zur Raison zu bringen mit westlichen Drohgebärden, die auf den Wert des diesseitigen Leben abstellten. „Wir haben eine lasche Toleranz entwickelt, ein Beliebigkeitsdenken, dem alles gleichermassen gültig erscheint. Erst langsam beginnen wir zu erkennen: Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht! (…) Religionen dürfen nicht über den Menschenrechten stehen, sondern müssen sich diesen Werten unterwerfen.“

 

Kommentar: Trümpfe verblassen

Auch wenn Schmidt-Salomon (der Vorname Michael bedeutet „Wer ist wie Gott?“) seine Aussagen polemisch würzt und grosse Bereiche des religiösen Lebens ausblendet, um zu seinen Pointen zu kommen: Die Landeskirchen diesseits und jenseits des Rheins tun gut daran, die Bemerkungen des Religionskritikers zu ihrer inneren Erosion ernst zu nehmen. Religionssoziologen sehen in den Grosskirchen nur noch einen kleinen Kern von überzeugten, praktizierenden Christen, während die Mehrheit dem kirchlichen Leben fernbleibt und sich von zentralen Glaubensaussagen distanziert.

Der Protestantismus, der sich auf die Aufklärung beruft, um ein tolerantes, modernes, mit säkularen Ansprüchen gut verträgliches Christentum zu gestalten, verblasst zusehends. Und verliert damit die Kraft, meint Schmidt-Salomon, Gottesleugner und Fundamentalisten aufeinander zu beziehen, zwischen ihnen zu vermitteln. Hier liegt ein Hauptproblem der Landeskirchen. Sie können es je länger je weniger allen (faktisch: der grossen Mehrheit) recht machen und die Gegensätze ausgleichen.

Christlicher Glaube ist nach Kräften rational zu begründen. Das Christentum – mindestens seine reformatorische Ausprägung – lädt auch dazu ein (so sind die zeitliche Nähe des Neuen Testaments zu den beschriebenen Ereignissen und die breite handschriftliche Überlieferung starke Argumente für seine Glaubwürdigkeit). Doch ohne Glaubensentscheidung, die über das rational Abgesicherte hinaus zu gehen bereit ist, ohne Engagement, das auch Spott und Verachtung in Kauf nimmt, gibt es keine Lorbeeren mehr.

Michael Schmid-Salomon lässt an den grossen Theologen der ersten Christen-Generation denken. Der Apostel Paulus, der die jüdische Botschaft vom Messias Jesus ins hellenistisch-römische Europa brachte, konstatierte im Schreiben an die Christen in Korinth: „Während die Juden Zeichen fordern und die Griechen Weisheit suchen, verkündigen wir Christus den Gekreuzigten – für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, für die aber, die berufen sind, Juden wie Griechen, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.“ Daran werden sich die Kirchen, auch die bisher von der Aufklärung bestimmten, im neuen Jahrhundert zu halten haben.

Datum: 07.01.2011
Quelle: Livenet.ch

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