Das Seelsorgegeheimnis einschränken?
Nicht nur das kanonische Recht der Kirche, sondern auch das Schweizerische Strafgesetzbuch verpflichtet Geistliche zu Stillschweigen. Artikel 321 des Strafgesetzbuches unterstellt Geistliche genauso wie Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker dem sogenannten Berufsgeheimnis. Diese Regelung möchte der Genfer SP-Nationalrat Carlo Sommaruga ändern. Er schlägt vor, das Strafgesetzbuch dahin gehend zu ändern, dass «Angriffe auf die sexuelle Freiheit Unmündiger nicht länger durch das Berufsgeheimnis von Geistlichen geschützt sind».
Bei Straftaten gegen Minderjährige gelte das Berufsgeheimnis zwar nur eingeschränkt: Wer als Geistlicher von pädophilen Handlungen erfahre, sei «berechtigt», dies den vormundschaftlichen Behörden zu melden. Sommaruga will jedoch prüfen lassen, ob Geistliche zur Meldung entsprechender Straftaten verpflichtet werden können.
Im Visier hat der Genfer Sozialdemokrat vor allem Pädophile in den Reihen der kirchlichen Würdenträger. Dass Geistliche sich auf das Berufsgeheimnis beriefen, um fehlbare Kollegen nicht anzeigen zu müssen, komme zu oft vor, sagt er gegenüber dem Tages Anzeiger von Mittwoch.
Recht präzisieren
In der gleichen Zeitung verweist der Luzerner Kirchenrechtler Adrian Loretan auf Frankreich und die angelsächsischen Länder. Dort seien die Geistlichen gesetzlich verpflichtet, sexuelle Übergriffe auf Minderjährige den Behörden zu melden. Loretan beurteilt es als sinnvoll, dass die Schweiz hier gleichzieht - «es sei denn, das Opfer lehnt eine Meldung an die Behörden ab». In jedem Fall sollte das kanonische Recht präzisiert und verschärft werden, so Loretan: Es sei für Geistliche, die Kenntnis von entsprechenden Vergehen erhielten, zu wenig verpflichtend: «Man hat zu sehr den Täter und zu wenig das Opfer im Blickfeld.»
Verschärfte Richtlinien der Bischöfe
Der Sprecher der Schweizerischen Bischofskonferenz, Walter Müller, sagte gegenüber der Zeitung, Sommaruga renne «offene Türen ein». Müller verweist darauf, dass die Bischofskonferenz in ihren Richtlinien ausdrücklich dazu auffordere, sexuelle Übergriffe den Strafverfolgungsbehörden zu melden.
Die bischöflichen Richtlinien «Sexuelle Übergriffe in der Seelsorge», die 2010 verschärft wurden, genügen Sommaruga nicht, erklärte dieser vor einem Jahr. Nach diesen Richtlinien erheben kirchliche Amtsträger bei einem rechtsgenügenden Verdacht Anzeige bei den staatlichen Strafverfolgungsorganen, ausser wenn das betroffene Opfer oder dessen Vertreter dagegen Einspruch erhebt.
Damals erklärte der Bischof von Sitten und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Norbert Brunner, in der Presse: «Auch ein Priester, der Sünden beichtet, wird durch das Beichtgeheimnis nicht geschützt. Denn ein wesentlicher Teil der Beichte sei Wiedergutmachung. Wenn diese Gutmachung eine Selbstanzeige voraussetze, müsse der Beichtende auch diese machen.»
Datum: 02.02.2012
Quelle: Kipa