Einige der Prostituierten haben bereits eine Odyssee durch mehrere Länder Europas hinter sich. „Marketa“ (Name geändert) aus Nordböhmen zum Beispiel wurde mit 14 in die Prostitution verkauft. Zunächst arbeitete sie in einem Bordell in einer tschechischen Grossstadt. Von dort aus wurde sie über mehrere Stationen in die Grenzregion verkauft. Später kam sie zusammen mit anderen Mädchen in einem Taxi über die Grenze nach Deutschland und dann weiter nach Strassburg. Hier warteten wieder Zuhälter auf sie, die sie auf den Strassenstrich zwangen. Die Sexindustrie sei eine der grössten Formen des Menschenhandels. Sie habe in den vergangenen 30 Jahren eine überaus schnelle Ausweitung erfahren. Dabei erleichterten neue Medien wie das Internet den meist männlichen Konsumenten den Zugang zu Prostitution und Pornografie. Allein in England entfiel jeder dritte Web-Zugriff auf Seiten mit pornografischen Inhalten. Durch die Legalisierung von Prostitution in manchen europäischen Ländern, wie etwa in den Niederlanden, habe sich das Bewusstsein über die Sexindustrie gewandelt, klagte die amerikanische Professorin für internationale Gesundheit, Janice Raymond. Prostitution werde zunehmend als "Sex-Dienstleistung" angesehen, Zuhälter als "Erotik-Unternehmer" verharmlost. In den Niederlanden sei der Umsatz der Sexindustrie nach der Legalisierung um ein Viertel angestiegen. Sexuelle Ausbeutung werde von der Gesellschaft als normal und respektabel empfunden, so Raymond. Dabei würden immer mehr extrem pornografische Angebote genutzt. Noch gebe es zum Thema Sexindustrie in den europäischen Ländern wenig Forschungsarbeiten. Nach Angaben der Wissenschaftlerin werden jährlich mehr als 500.000 Frauen vor allem aus Osteuropa, Afrika und Südostasien zur sexuellen Ausbeutung in die Länder der Europäischen Union geschmuggelt. Bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Prostitution müsse der Blick allerdings verstärkt auf die Konsumenten gerichtet werden, erklärte Raymond. Trends und Nachfrage müssten untersucht werden. Eine Legalisierung mache die Prostitution nur zu einem "staatlich gesponserten Gut". Ihrer Ansicht nach sollten gesetzliche Bestimmungen wie das schwedische Gesetz gegen den Verkauf von Sexdiensten auch von anderen europäischen Ländern übernommen werden. UNICEF und die Kinderrechtsorganisation ECPAT begrüssen, dass führende Politiker auf tschechischer und auf deutscher Seite das Problem der sexuellen Ausbeutung von Kindern in der Grenzregion näher untersuchen und bekämpfen wollen. Der Bericht der Streetworkerin Cathrin Schauer, die seit 1995 beim Sozialprojekt KARO in dieser Grenzregion arbeitet, beleuchtet zum ersten Mal das Problem aus der Sicht der missbrauchten Mädchen und Jungen. Er gibt damit einen genaueren Einblick in eine Situation, auf die unabhängige Experten und Kinderschutzorganisationen wie KARO in der Vergangenheit immer wieder hingewiesen haben. Eine trilaterale deutsch-polnisch-tschechische Arbeitsgruppe befasst sich seit 2002 mit dem Problem. Die Untersuchung berichtet von 500 Fällen von Prostitution mit Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren im Zeitraum von 1996 bis 2003, die das KARO-Team im Rahmen seiner Sozialarbeit beobachtet hat. Aufgrund der kriminellen Strukturen ist das exakte Ausmass nicht bekannt. Der Bericht basiert auf rund 200 ausführlichen Interviews, darunter 40 mit betroffenen Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und 17 Jahren. Er weist auch darauf hin, dass Hinweise auf Straftaten und auf verdächtige Sextouristen Personen sofort an die zuständigen Behörden weitergegeben wurden. Die UNICEF betot, dass Kinderprostitution im deutsch-tschechischen Grenzgebiet ein grenzübergreifendes Problem darstellt, das nur in Zusammenarbeit zwischen den Ländern gelöst werden kann. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf ein Land oder eine Region zu zeigen, sondern die Kinder durch Missbrauch durch vorwiegend deutsche Pädosexuelle zu schützen. Mehr Infos: www.unicef.de/download/UNICEF_Ecpat.pdf Quellen: Kipa/UNICEF/Livenet/WDRLegalisierung bewirkt mehr Umsatz
Wenig Forschungsmaterial in der EU
Kinderprostitution bekämpfen
Buchtipp:
Cathrin Schauer
Kinder auf dem Strich
Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze
Horlemann, 2003
ISBN 3895021741
Preis: 9,90 Euro
Datum: 22.01.2004