«Ich übernehme gerne Verantwortung»
Die frühere Abteilungsleiterin Spezialseelsorge der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich überrascht mit ihrem breiten Berner Dialekt. Kein Wunder, stammt sie doch aus dem Emmental. Durch eine aktive Jugendarbeit (Cevi und Junge Kirche) in Utzenstorf wurde sie später für den Glauben erwärmt. Ihre Begeisterung für die biblischen Geschichten wollte sie schliesslich durch ein Theologiestudium vertiefen. Danach wurde sie Pfarrerin in zwei Zürcher Gemeinden und später Abteilungsleiterin in der Zürcher Kantonalkirche.
Hoffnungsträgerin
Anfang November wurde Rita Famos durch die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) zur neuen Präsidentin und damit als Nachfolgerin des zurückgetretenen Gottfried Locher gewählt. Nun richten sich viele Blicke auf sie mit der Frage, wie sie mit dem Erbe ihres Vorgängers umgeht und wo sie selbst neue Akzente setzen wird.
Verständlich, dass Rita Famos als Hoffnungsträgerin nach einer Zeit der Depression rund um die EKS gilt. Diese Erwartung geht sie mit Respekt an, verweist aber auf ihr breites Erfahrungsfeld als Pfarrerin im Kanton Zürich und als Verantwortliche für Spezialseelsorge. Die Erfahrung habe sie gelehrt, mit sehr unterschiedlichen Menschen umzugehen. Sie sei sich aber bewusst, dass sie nicht allein Kirche machen könne, sondern viele andere dazu brauche, die dazu bereit seien.
Handlungsfelder definieren
Auf ihre Ziele befragt, verwies Famos zuerst auf die Corona-Epidemie, welche die Kirche einerseits herausfordere, sie aber auch kreativ gemacht habe. Die Kirche sei auf einem breiten Spektrum gefordert, das von den Gemeinden bis hin in die verschiedensten Institutionen reiche, wo Betroffene und Pflegende seelsorgerlich unterstützt würden. Gerade auch die Impffrage fordere die Kirche heraus, ethische Überlegungen zu machen. Aber auch das laufende politische Geschäft wie Ehe für alle. Zudem müsse der EKS-Rat bereits für die Synode im kommenden Juni klären, welche Aufgaben sie im Auftrag der Kantonalkirchen übernehmen wolle. Es gelte, die Handlungsfelder zu definieren.
Präsenz zeigen
Die EKS werde sich vertieft mit Digitalisierung auseinandersetzen müssen. Zudem müsse sie sich damit auseindersetzen, wie sie zusammen mit ihrer Jugend die Kirche gestalten könne und nicht für die Jugend. Die Kirche müsse eine Sprache finden, die auch die Jugend versteht. Schliesslich wurde Famos selbst als Jugendliche durch die Kirche erreicht und motiviert. Überhaupt müsse die Kirche lernen, ihre Leistungen für die Gesellschaft besser zu kommunizieren und nicht eine falsche Bescheidenheit pflegen. Denn sie sei an vielen Orten präsent, ohne dass dies den meisten Leuten bewusst sei. Doch die Kirche müsse auch lernen, das Ghetto zu verlassen. Jesus selbst sei schliesslich ein Wanderprediger gewesen.
Offenheit
Zudem müsse die Kirche reformfähig werden und bleiben. Dies betreffe Strukturen wie die heutigen Ortsgemeinden. Famos möchte die Kirche gerne weiterhin als Volkskirche sehen mit einem breiten Dach für viele. Dennoch brauche es auch neue Formen der Mitgliedschaft. Zudem gelte es, um eine zeitgemässe Auslegung der Bibel zu ringen und zugleich offen zu sein für verschiedene Interpretationen für unterschiedliche Milieus. Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund sollen die biblischen Aussagen verstehen können. Grundsätzlich ist Famos vom Claim der St. Galler Kirche begeistert: «Nahe bei Gott – nahe bei den Menschen.» Diese Losung soll die Handlungsfelder der EKS bestimmen.
Fehlerkultur
Auf die Frage, was sie darunter verstehe, «mutig und frei Jesus nachzufolgen», sagt sie, Jesus habe gezeigt, dass Christen bereit seien, nicht den einfachsten Weg zu gehen. Er habe gelehrt, Vergebung zu üben. Christen sollten den Mut haben, auch Fehler zu machen und sich diese auch einzugestehen. Es gelte, in der Kirche eine Fehlerkultur zu etablieren, an der es in der Gesellschaft mangle.
Politisches Engagement
Die Kirche wurde gerade rund um die Konzernverantwortungs-Initiative für ihr politisches Engagement kritisiert. Für Rita Famos ist jedoch klar, dass sich die Kirche auch politisch äussern muss, es komme jedoch darauf an, wie sie das tue. Sie dürfe sich in die Diskussion einbringen, aber, so Famos: «Wir müssen uns so positionieren, dass sich andere nicht moralisch verurteilt fühlen.» Sie sieht aber gerade unter der Jugend ein Bedürfnis, von der Kirche Wegweisung zu erhalten zu Alltagsfragen. Stichwort Corona.
Hinweis: Frau Famos hat sich bereit erklärt, bei gegebenem Anlass konkrete Fragen über ihren Umgang mit Freikirchen und Evangelischer Allianz zu beantworten.
Sehen Sie sich hier das ganze Gespräch mit Rita Famos an:
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Datum: 29.01.2021
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet