Mehr als eine abstrakte Kraft

«Gott ist Person, nicht nur Energie»

Sprechend die Kirchen zu wenig über Gott als Person? Ja, meint der Theologe Stephan Schaede, Leiter der evangelischen Akademie «Loccum» in Niedersachsen. Im Interview mit der «Welt» erklärt er, warum der Gott der Bibel mehr ist als nur eine abstrakte Kraft.
Die Erschaffung Adams, Sixtinische Kapelle (Michelangelo)

Nicht wenige Menschen in den westlichen Gesellschaften stellen sich Gott als die konzentrierte Energie des Weltalls vor. Dabei wäre Gott noch nicht einmal der oberste Manager, vielmehr versorgt das Zentrum des Universums alle, die es brauchen, mit der notwendigen Energie.

In Esoterik-Blogs wird das so dargestellt: «Vorweg: ich glaube an das kollektive Bewusstsein, die allumgebende Energie des Seins, des Erschaffens, des Lebens, der Entwicklung, des Fortschritts, der Erfahrungen, der Liebe, des Nichts, von Allem. Ich glaube an 'den Schöpfer', aber nicht als irgendeine Figur, als sogenanntes manifestes Wesen. Ich persönlich glaube da eher an eine Art Energie, wie sie in einer Form auch in jedem Atom steckt.»

Irreführende Ansicht

«Religiosität zeigt sich bei vielen Menschen heute etwa auch dadurch, dass sie an eine höhere unpersönliche Kraft oder Energie glauben», erklärt Stephan Schaede und weist darauf hin, dass diese Vorstellung von Gott als blosse Kraft auch «in Teilen der evangelischen Zunft in Kirche und Theologie» angekommen sei. Er persönlich halte dies für falsch und sogar irreführend: «Selbst eine kritische Auseinandersetzung mit der biblischen Erzähltradition kommt nicht darum herum, dass Gott als eine Person mit einer Biografie zu denken ist.»

Person fühlt mit

Schaede benennt Vorteile, die ein Gottesbild als Person mit sich bringe: «Personen sind im Vergleich zu blossen Kräften oder Energien viel komplexer. Personen haben im Gegensatz zu blossen Kräften die Fähigkeit, etwas zu erleben. Sie haben Mitgefühl.» Eine Person habe die Fähigkeit, zu vergeben und zu segnen, sich zu korrigieren und in einen Dialog zu treten. «Schon deshalb wäre es ein grosser Verlust an Komplexität im Gottesbild, wenn wir uns Gott nur als Kraft statt als Person denken würden», so Schaede in der «Welt».

«Mitteilungsdefizit»

«Ich habe den Eindruck, in den Kirchen herrscht im Bezug auf Gott ein erhebliches Mitteilungsdefizit. Es lohnt sich, die Biografie Gottes, die die Bibel entfaltet, viel stärker auszuplaudern», so Schaede. Er ist auch der Ansicht, dass Gott sich als Person auch dem einzelnen Gläubigen zuwende: «Ansprechen kann ich nur eine Person, ein Gegenüber, die komplexe Gestalt hat. Derzeit wird Gott in Gebeten zu wenig gefragt.» In Gottesdiensten müsse auch Raum für kritische Fragen, etwa nach Leid und Krankheit, eingeräumt werden.

«Dass Gott uns Heilszusagen macht und Zukunftswünsche unterbreitet, ist nur beim Glauben an einen persönlichen Gott vorstellbar.» Gott sei eben keine abstrakte Kraft. «Alle entscheidenden Ansagen des Neuen Testaments darüber, was Gott mit uns vorhat – vergeben, versöhnen, richten, neues Leben gestalten – sind Dynamiken, die nur personal vorstellbar sind.»

Mehr zum Thema: Wie ist Gott?

Datum: 01.11.2012
Quelle: Livenet / Welt / Pro

Werbung
Livenet Service
Werbung