Er ist der Erlöser. Er starb am Kreuz für die Sünden der Welt.“ Das wiederum klang in Axels Ohren zu fromm und zu kirchlich. „Erlöser – also ich weiss nicht. Sieh dir doch die Welt an! Wie kommst du zu dieser Aussage?“ Dietrich wurde etwas ungeduldig. „Aber das ganze Neue Testament bezeugt doch das Erlösungswerk Jesu Christi! Das ist der Glaube der Kirche. Bis auf den heutigen Tag bezeugen unzählige Menschen, dass Jesus sie erlöst hat. Vor allen Dingen darfst du in diesem Zusammenhang Jesu Auferstehung nicht vergessen. Sie ist das stärkste Argument dafür, dass er wirklich der Erlöser ist.“ Diese Aussage aber reizte Axel: „Wie kann ich an die Auferstehung glauben? Tot ist tot. Du darfst die biblische Aussage über Auferstehung doch nicht wörtlich nehmen.“ - „Das tue ich aber“, beharrte Dietrich, „ich glaube, was in der Bibel steht. Wie kannst du die Bibel in Frage stellen?“ Ich kann mich nicht mehr an alle Einzelheiten dieses Gesprächs erinnern. Es liegt mehr als dreissig Jahre zurück. Wir standen ganz am Anfang unserer theologischen Ausbildung. Aber dieses Gespräch hilft uns, den Charakter einiger Aussagen über Jesus zu untersuchen. Axel vertritt eine häufig gehörte Meinung: Jesus ist ein Lehrer der Menschheit, vielleicht sogar der grösste. Diese Meinung ist gewiss nicht falsch. Jesus war ein Lehrer der Menschen. Man kann von ihm lernen. In der Art und Weise, mit anderen umzugehen, kann er jedem ein Vorbild sein. Mahatma Gandhi hat für seinen gewaltlosen Kampf zur Befreiung Indiens von Jesu Bergpredigt gelernt. Axel findet Jesu Lehren überzeugend. Er hat Jesus mit anderen Lehrern der Menschheit verglichen und kommt zu der Meinung, Jesus sei der grösste Lehrer. Axel trifft also sein Urteil über Jesus aufgrund seiner menschlichen Vernunft und Einsicht. Die Auferstehung Jesu passt folgerichtig nicht in sein rationales Weltbild. Dietrich vertritt eine andere Meinung: Jesus ist der Erlöser der Welt, sagt er und verweist auf den Glauben der Kirche und auf das Zeugnis vieler Christen. Sein stärkstes Argument ist die Auferstehung Jesu, wie sie das Neue Testament bezeugt. „Ich glaube, was in der Bibel steht“, sagt er. Beide Urteile über Jesus stehen nebeneinander und unterscheiden sich erheblich. Wenn wir Christen sind, klingt Dietrichs Aussage in unseren Ohren vielleicht sympathischer; dennoch haben beide Aussagen eine gemeinsame Problematik: Sie begründen sich beide auf „Menschenwerk“. Einmal ist es die menschliche Vernunft, der man sich unterwirft; zum Anderen ist es die Autorität der biblischen und kirchlichen Zeugen, der man sich unterwirft. Doch auch die Bibel ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern von Menschen geschrieben. Axel, der Verstandesmensch, lässt nur gelten, was menschlicher Vernunft - oder was er dafür hält - zugänglich ist; Dietrich, der Traditionalist, wehrt jede kritische Frage ab und will nicht in Frage stellen lassen, was ihm als Autorität gilt. In beiden Fällen wird der Glaube dem jeweils schon vorhandenen Weltbild eingeordnet. Die Gefahren beider Positionen liegen auf der Hand: Axel kann durch logische Schlüsse zu neuen, unbiblischen “Erkenntnissen” kommen, und Dietrichs Glaube an die Autorität der Bibel (und der Kirche) kann erschüttert werden. Paulus dagegen legte Wert darauf, dass der Glaube der Korinther „... nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“ (1 Kor 2,5). Wie kommt es zu diesem Glauben an Jesus Christus, wie ihn Paulus beschreibt? Sicher nicht ohne die Botschaft der Bibel und das Zeugnis der Kirche, auch nicht unter gänzlicher Ausschaltung aller Vernunft und Einsicht. Weder Axel noch Dietrich haben also völlig unrecht, aber vor allen Dingen und in erster Linie ist der Glaube an Jesus Christus Gottes Werk selbst, ja, er ist eine göttliche Gabe, wir können ihn nicht selber herstellen. Jesus fragte seine Jünger einmal, was sie meinten, wer er sei. „Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ (Mt 16,16f.) Das ist gemeint, wenn die Bibel von “Glauben” spricht. Alles fängt damit an, dass Gott sich uns in Jesus Christus offenbart: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Joh 1,14) Gott offenbart nicht primär etwas, einen Sachverhalt, eine Lehre oder dergleichen, sondern er offenbart in erster Linie sich selbst. Er bezeugt sich uns, indem er in Jesus Christus Mensch wird. Damit ist seine Offenbarung allein sein Werk, wir können es nur annehmen oder ablehnen. Ein Problem für uns sind vielleicht die rund 2000 Jahre die vergangen sind, seit Jesus auf Erden weilte. Lässt sich nun „der garstige Graben der Geschichte“ so einfach überspringen? Als ich ein Teenager war und mehr und mehr kritische Fragen an die Bibel stellte, dachte ich öfters: „Die Jünger hatten es gut. Sie waren damals dabei. Aber ich? Wie soll ich wissen, ob es stimmt, was mir da über Jesus berichtet wird?“ Das heisst historische Kenntnisse und Phantasie sind ganz nützlich. Aber sie begründen noch keinen Glauben. Mit ihrer Hilfe wird Jesus zwar Teil unseres historischen Weltbildes, mehr aber auch nicht! Wie wird nun aus Jesus von Nazareth der, von dem ich sage: „Mein Erlöser, mein Herr und Heiland“? Spätestens an dieser Stelle müssen wir vom Heiligen Geist sprechen. Paulus sagt es knapp aber deutlich: „Niemand kann Jesus den Herrn nennen ausser durch den Heiligen Geist.“ (1 Kor 12,3). Es ist Gottes Geist, der uns offenbart, welche Bedeutung Jesus für uns hat; es ist Gottes Geist, der in uns den Glauben wirkt. Wenn es um historische Probleme über Jesus, seine Jünger, die ersten Gemeinden usw. geht, bleiben Fragen offen und ungelöst. Sorgfältige Forschung kann uns helfen, historische Fragen zu lösen oder uns einer Antwort zumindest zu nähern. Man sollte darum vor historischer Arbeit an der Bibel nicht so viel Angst haben und sie nicht grundsätzlich als glaubenszerstörend denunzieren. Doch wenn es um den Glauben geht, der einen Menschen dazu veranlasst, sich Jesus Christus anzuvertrauen und ihn “Herr” zu nennen, so ist dies das Werk von Gottes Geist, und der Mensch erfährt durch ihn innere Gewissheit, Heilsgewissheit: „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“ (Röm 8,16; 2 Kor 1,22). So wie Jesus Gott ganz selbstverständlich seinen Vater genannt hat, können auch wir es tun: „Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!“ (Gal 4,6; Röm 8,15). Gott hat sich in der geschichtlichen Person des Jesus von Nazareth, in seinem Leben, seinem Leiden und Sterben, seiner Auferstehung aller Welt offenbart. Aber der (gottlosen) Welt in ihrer Sünde und Gottesferne erscheint das als Torheit (1 Kor 1,18.23). Erst das Zeugnis des Geistes offenbart dieses Wort als Heil für die Welt. Erst der Heilige Geist macht aus dem „objektiven“ Werk Gottes das, was mich subjektiv ergreift und verändert. Er macht aus dem „Damals“ ein „Heute“, aus dem „Christus für uns“ ein „Christus in mir“. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Glaubende ein Jude zur Zeit von Petrus und Johannes, ein Italiener zur Zeit des Mittelalters oder ein Kolumbianer der Gegenwart ist. Immer benötigt der Mensch den Heiligen Geist, damit ihm die geschriebene Botschaft (Bibel) und die gepredigte Wahrheit (Kirche) tatsächlich zum lebendigen Wort Gottes werden. Das ist nicht etwa ein „Fehler im System“, sondern liegt in der Natur Gottes und des Menschen: Der von Gott abgefallene, sündige Mensch kann Gott nicht aus eigener Vernunft oder Kraft erkennen. Gottes Wort ist nichts, was der Mensch von sich aus wissen kann. Aber genau darin erweist sich Gott als gnädig, dass er dem Menschen offenbart, was dieser nicht von sich aus wissen und erkennen kann. Selbst die besten und edelsten Versuche des Menschen, sich selbst zu erlösen, sind zum Scheitern verurteilt; er bleibt immer bei sich selbst, aus Sündigem kann nichts Perfektes entstehen, die Sünde pflanzt sich immer fort. Gott schafft nun die Erlösung durch Christus und macht den gefallenen Menschen neu: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2 Kor 5,17; Kol 3,9f). Christus ist auferstanden von den Toten als Erster aller derer, die gestorben sind (1 Kor 15,20), er ist der Erste der neuen Schöpfung Gottes, und wer in ihm ist, wird neu. Deshalb hat keiner die Welt so verändert wie er, und er wird sie weiter verändern, bis am Ende sogar der Tod besiegt sein wird (vgl. 1 Kor 15,26). Um Jesus Christus und sein Werk immer besser zu verstehen, um ihm immer näher zu kommen, brauchen wir den Heiligen Geist. Jesus lebt – für uns unsichtbar – in der Welt Gottes. Aber sein Geist verbindet uns in dieser Welt mit ihm dort. In den Abschiedsreden Jesu an seine Jünger (Joh 14–16) hat er davon gesprochen: „Ich will den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit; den Geist der Wahrheit.“ (Joh 14,16f.) Dieser Geist bezeugt Christus (Joh 15,26), er schafft also Glauben: „Der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Und er vertieft den Glauben: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. ... Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen.“ (Joh 16,13f.) Viel wäre noch über den Heiligen Geist zu sagen, was wir unbedingt wissen müssen. Hier haben wir uns nur in konzentrierter Form mit dem ersten Werk des Heiligen Geistes befasst. Er schafft Glauben, als Basis für ein Leben in der Nachfolge. Damit fängt gewissermassen alles an. Deshalb ist die Bitte „Komm, Heiliger Geist“ neben dem Vaterunser das wichtigste Gebet für einen Menschen. Wir dürfen voller Vertrauen diese Bitte aussprechen, denn Jesus hat seine Erfüllung verheissen: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“ (Lk 11,13). Auf dieses Wort haben Generationen von Christen gebaut und den Zugang zum göttlichen Vater gefunden. Ihnen wurde der Heilige Geist als grossartige Hilfe zuteil. Darum sollten auch wir ihn bitten: „Komm, Heiliger Geist!“ Autor: Gerhard Brüning
Jesus ist nur ein LehrerWas die Schrift bezeugt
Der Glaubende jedoch sieht mehr
Das Werk des Heiligen Geistes
Die historische Forschung
Gottes Werk
Kein Systemfehler
Vom Geist offenbartes Leben
Der Grundstein
Lesetipp
Watchman Nee: Der Heilige Geist und die Wirklichkeit
Datum: 11.10.2004
Quelle: come