Evangelische Christen helfen Flüchtlingen in der Türkei
– wird ihnen das «christliche» Europa weiterhelfen? Ein berührendes Familienschicksal.Eine verlotterte Hintergasse im Istanbuler Armenviertel Dolapdere. Von mit Unrat übersäten Gehsteigen führen abgetretene Stufen in die Tiefe zu feuchten, stickigen Kellerlöchern. Dort hausen Menschen wie Sie und ich, Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg.
Sklavenähnliche Zustände
Maamun war in seiner Heimatstadt Homs einst wohlhabender Goldschmied. Jetzt muss er für einen kargen Taglohn bei einem türkischen Juwelier an der Geschäftsstrasse Istiklal schuften: 15 Stunden am Tag bei siebentägiger Arbeitswoche. Für kargen Lohn, mit dem er seine sechsköpfige Familie kaum durchbringen kann. Er arbeitet illegal, für ihn gibt es weder einen Achtstundentag noch ärztliche Fürsorge. Aber: «Hier überleben wir wenigstens.»
Physisch zumindest. Nichts für Seele und Gemüt, nur das deprimierende Umfeld in der Okulu-Gasse, dem «Schulweg». Dort stand früher in dem damals noch zur Hälfte christlichen Istanbul ein armenisches Gymnasium. Maamuns Nachbarn in den anderen Kellern bieten mit ihrem stetigen Klagen und Jammern weder Trost noch Aufmunterung.
Fatih und Sevil bringen Nahrung und Evangelium
Einziges Lichtlein im Dunkel: das frisch getraute Baptistenpaar Fatih und Sevil. Sie kommen regelmässig in die schmierige Gasse, bringen Obst, das sich die Füchtlinge sonst nicht leisten können, Medikamente, Spielzeug und Kleidung für die Kinder. Und vor allem auch die Botschaft von Jesus, dem Helfer und Heiler. Zwar sind die meisten Syrienflüchtlinge Muslime. Doch sie sind unter dem areligiösen Regime der Diktatorenfamilie Assad aufgewachsen und ihrem Glauben so ziemlich entfremdet.
Maamun nimmt gern an seinem knapp bemessenen Feierabend das Neue Testament auf Arabisch zur Hand, das ihm die jungen Leute bei der Türkischen Bibelgesellschaft besorgt haben. Auch das illustrierte Handbüchlein «Temel Ilkeleriyle Hristiyanlik», herausgegeben gemeinsam von den evangelischen, katholischen und orthodoxen Kirchen der Türkei. Sevil, die aus Mardin nahe der syrischen Grenze kommt, hat diese «Grundlagen des Christentums» handschriftlich ins Arabische übersetzt.
Baptistische Tradition
Baptisten gab es in der Türkei schon einmal im 19. Jahrhundert, als der deutsche Schlosser August Liebig (1836-1914) als «Handwerkermissionar» auch in Kleinasien wirkte. Auf der Zwölften Bundeskonferenz der Baptisten, die 1882 in Altona bei Hamburg zusammenkam, wurden türkische Gemeindevertreter begrüsst.
Dann folgten in der Türkei Jahrzehnte der Christenverfolgung, -vertreibung und zuletzt noch -diskriminierung. Erst 2014 wagten sich die Baptisten als Türkiye Protestan Baptist Kilisereli Birligi wieder an die Öffentlichkeit. Die Sorge um Flüchtlinge aus Syrien – 3,5 Millionen in der ganzen Türkei – ist für sie ein Hauptanliegen geworden.
Plötzlich sind alle weg
Als jedoch Fatih und Sevil Anfang September zu ihren Schützlingen wollen, finden sie nur leere, in sichtlicher Hast verlassene Keller und dort «hafiyeler», Polizisten in Zivil. Mit bohrenden Fragen, wen sie suchen und was sie von ihnen wollen. Erst Stunden danach erfährt das Baptistenpaar im Fernsehen, dass alle syrischen Flüchtlinge aus Istanbul – an die 500'000 – in Lager der Osttürkei abtransportiert wurden.
Dort vegetiert das Gros ihrer Schicksalsgenossen schon seit Jahren dichtgedrängt in Zeltstädten, eingesperrt wie Häftlinge und von der Umwelt fast völlig abgeschnitten. Doch haben Bibeln und christliche Hilfspakete schon längst den Weg zu ihnen gefunden: 120 Beistandszellen konnten Baptisten, Pfingstgemeinden und andere Freikirchen in der Nähe der Lager oder mitten drin bilden.
Wiedersehen und hoffen auf Europa
Von der Baptistengemeinde in Samsun am Schwarzen Meer erfahren Fetih und Sevil, dass genau dort ein grosser Transport aus Istanbul angekommen ist. Das Ehepaar nimmt sich Urlaub und den Bus nach Samsun. Vertrauensleute im Lager Tekkeköy können Maamun und seine Familie ausfindig machen.
Am Lagertor sehen sie sich wieder. Die Syrienflüchtlinge kennen jetzt nur mehr eine einzige Hoffnung: das christliche Europa... Wird es sie aber aufnehmen?
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Datum: 11.09.2019
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet