Der abtretende deutsche Bundespräsident steht zu seiner freikirchlichen Vergangenheit. Sein kirchlicher Hintergrund als Jugendlicher sei geprägt worden durch eine „Mischung aus lebendiger Volkskirche und pietistischer, freikirchlicher Frömmigkeit“. Je älter er werde, desto wichtiger würden ihm diese Jahre. Rau besuchte in seiner Jugendheit regelmässig die Veranstaltungen der Freien evangelischen Gemeinde in Wuppertal-Barmen, zu der auch seine Eltern gehörten. Er sei nicht nur in den Gottesdienst gegangen, sondern auch in den Jugendkreis. Auch im Gemeindechor habe er mitgesungen. Ferner ging er zur „Blau-Kreuz“-Jugend; sein Vater war Reisesekretär dieser christlichen Organisation für Suchtkrankenhilfe. Er sei „nie ein Pietist wie die Gestalten geworden, die nicht mehr lachen können“, so der amtierende Bundespräsident. Doch er sei auch „nie weggekommen von dieser ursprünglichen Frömmigkeit“. Lieder aus dieser Zeit hätten ihn sein Leben lang begleitet. Für die Landeskirche, für die er später hohe Ämter bekleidete, wünscht sich Rau, „dass die Botschaft klar gesagt wird“. Er hält es für einen Fehler „zu meinen, Werbeagenturen seien die letzte Lösung“. Ebenso problematisch sei es, dem Zeitgeist hinterher zu laufen: „Wer den Zeitgeist heiratet, wird früh Witwer.“ Rau war unter anderem Mitglied der Landessynode. Von 1966 bis 1974 gehörte er dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages an. Über manche Erfahrungen in der Freien evangelischen Gemeinde, die in diesem Jahr 150 Jahre alt wird, muss Rau noch heute schmunzeln, etwa über freie Gebete, der er und seine Freunde scherzhaft „Heilsplan-Gebete“ nannten: „Die fingen bei der Schöpfung an, arbeiteten sich dann ganz langsam durch die kleinen und grossen Propheten, bis sie zum Schluss endlich sagen konnten: Amen, ja komm, Herr Jesus.“ Als er einmal ganz schüchtern ein Mädchen ansprechen wollte, habe ihn ein „ernsthafter Altergenosse“ die Hand auf die Schulter gelegt und gefragt: „Was würde Jesus wohl dazu sagen?“ Raus Fazit heute: „Ich glaube, bei solchen Themen waren die freikirchlichen Gemeinden wirklich streng.“ Als Bundespräsident hat sich Rau als Christ in heissen Wertedebatten – zum Beispiel über die Gentechnologie – exponiert. Seine Überzeugung dahinter verriet er 1999 vor seinem Amtsantritt in einer Rede im Rahmen des Gebetslunchs von Schweizer Parlamentariern in Bern: „Wer nicht daran glaubt, dass unsere Welt besser sein könnte, als sie ist, wer nicht mehr daran glaubt, dass es gerechter zugehen kann, als es zugeht, wer diesen ‚Hunger’ verloren hat, der hat resigniert und mischt sich nicht mehr ein, wo Ungerechtigkeit herrscht, und wo Menschen um ihre Lebenschancen betrogen werden“. Oder: „Für mich ist die Verbesserlichkeit der Welt genauso eine biblische Botschaft wie die Warnung davor, den Himmel auf Erden schaffen zu wollen.“ In seiner beühmten Rede vom 18. Mai 2001 in der Berliner Staatsbibliothek sagte Rau: „Man muss ja wahrlich kein gläubiger Christ sein um zu wissen und um zu spüren, dass bestimmte Möglichkeiten und Vorhaben der Bio-und Gentechnik in Widerspruch zu grundlegenden Wertvorstellungen vom menschlichen Leben stehen. Diese Wertvorstellungen sind – nicht nur bei uns in Europa – in einer mehrtausendjährigen Geschichte entwickelt worden. Sie liegen auch dem schlichten Satz zu Grunde, der in unserem Grundgesetz allem anderen vorangestellt ist: ‚die Würde des Menschen ist unantastbar’. Diese Wertvorstellungen zieht niemand ausdrücklich in Zweifel. Wir können es uns aber auch nicht leisten, ethische Überzeugungen unbewusst oder schweigend aufzugeben oder sie zur Privatangelegenheit zu erklären.“Ein Pietist, der auch lachen kann
Christ und Politiker
Datum: 07.05.2004
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch