Wie aus Verlust Gewinn werden kann
» (Philipper, Kapitel 3, Vers 17) Dies hat der Apostel Paulus vor bald 2000 Jahren an die Gemeinde in Philippi geschrieben. Tatsächlich ist das Beispiel von Paulus bemerkenswert. Auch dann, wenn es um Verlust und Gewinn geht.
Paulus hat ganz andere Massstäbe als wir heute, wenn er eine Erfahrung als Gewinn oder als Verlust verbucht.
Was im Leben zählt
Paulus kann in einer Gefangenschaft, ja sogar in einem gewaltsamen Tod einen Gewinn sehen – wenn damit das Evangelium gefördert wird. Laut dem Philipperbrief haben die Brüder durch sein Schicksal Vertrauen im Herrn gewonnen; sie wagen viel mehr als früher, das Wort Gottes weiterzugeben. Im erwarteten Todesurteil sieht Paulus eine Lektion Gottes: er will lernen, selber voll auf Gott zu vertrauen. Und in seinem körperlichen Leiden wird gemäss Paulus das Leben und Sterben Jesu offenbar – in seiner Schwachheit soll die Kraft Gottes zur Vollendung kommen.
Paulus ist auf beeindruckende Weise fähig, seine persönlichen Interessen hinter die Interessen der guten Nachricht von Jesus Christus zu stellen, die er verkündigt. So machen es jedenfalls einige seiner Briefe deutlich. Nach nicht wenigen Lehrjahren im Dienst für den Auferstandenen schreibt er: «Ich habe gelernt, in jeder Lebenslage zufrieden zu sein. Ich weiss, was es heisst, sich einschränken zu müssen, und ich weiss, wie es ist, wenn alles im Überfluss zur Verfügung steht. Mit allem bin ich voll und ganz vertraut: satt zu sein und zu hungern, Überfluss zu haben und Entbehrungen zu ertragen.» (Philipper, Kapitel 4, Verse 11b-12) Dieser Mann hat sehr viel durchgemacht, bis er zu einem grossen Vorbild für alle Christen geworden ist. Bin ich tatsächlich bereit, nach seinem Beispiel zu leben?
Im Leiden gewinnen
Paulus schreibt seinen Brief an eine Gemeinde, die nur zu vertraut ist mit der Erfahrung, dass Christsein oft Leiden für Christus bedeuten kann. Unzählige wurden in jener Zeit drangsaliert oder gar vor die lebensentscheidende Frage gestellt: «Bist du auch noch Christ, wenn das dein Todesurteil bedeutet?» Das Leiden für Christus wird an der genannten Stelle im Philipperbrief von Paulus als Vorrecht und als Gnadengeschenk bezeichnet. Dabei hat der Apostel wohl auch die letzte der Seligpreisungen vor Augen gehabt: «Glücklich zu preisen seid ihr, wenn man euch um meinetwillen beschimpft und verfolgt und euch zu Unrecht die schlimmsten Dinge nachsagt. Freut euch und jubelt! Denn im Himmel wartet eine grosse Belohnung auf euch. Genauso hat man ja vor euch schon die Propheten verfolgt.» (Matthäus, Kapitel 5, Verse 11-12)
Es gibt bis heute auch europäische Missionare, die um der Verkündigung des Evangeliums willen vor Gericht stehen und den Tod in Kauf nehmen. Für Christen, die im deutschsprachigen Europa leben, ist solch körperliches Leiden aber doch ziemlich weit entfernt. Trotzdem: Auch wir haben immer wieder lebensentscheidende Fragen zu beantworten. Tagtäglich treffen wir viele komplexe Entscheidungen, manche davon haben grosse Auswirkungen auf unser weiteres Leben. Wir haben so viele Möglichkeiten offen, dass ein Vorbild, an dem wir uns orientieren können, eine willkommene Hilfe ist. Paulus stellt sich als Vorbild zur Verfügung – doch wie lässt sich sein Beispiel heute umsetzen?
Freude trotz Leiden
Durch den bereits zitierten Philipperbrief zieht sich ein roter Faden: die Freude. Paulus betet mit Freude, freut sich über die Früchte seiner Verkündigung und selbst über mögliches Leiden. Gemäss seinem Vorbild sollen sich auch die Brüder und Schwestern «im Herrn freuen».
Zeugnisse von Menschen, die heute mit schwierigen Lebensumständen zurechtkommen müssen, bestätigen diese Freude im Herrn auf eindrückliche Weise. Simea Schwab, die ohne Arme und mit zwei ungleichen Beinen zur Welt gekommen ist, erzählt, dass sich ihr Leben entscheidend verändert habe, nachdem sie verstanden hatte, dass Gott einen Plan für ihr Leben hat und dass auch aus ihrem Leben etwas werden könne. So sei heute die in der Jugendzeit quälende Warum-Frage in den Hintergrund gerückt. Sie wolle vorwärtsschauen. Ihre Ausgangslage solle sie nicht daran hindern, vorwärtszugehen. Der Schlüssel dazu sei für sie die Dankbarkeit – «dankbar sein, für das, was man hat».
Grosse Freude über ganz kleine Fortschritte kennt auch Samuel Koch, der seit seinem Unfall in der Sendung «Wetten dass...?» querschnittgelähmt ist: Freude über den kleinen Zeh, den er wieder ansteuern konnte. Diese Entdeckung löste einen Freudentanz der Familie aus – rund um sein Bett. Auch er schaut durch seinen Glauben getragen vorwärts: «Es kann jetzt nur noch aufwärts gehen, deshalb freue ich mich auf die Zukunft», sagte er im ZDF-Gespräch mit Peter Hahne.
Nick Vujicic, ein 29-jähriger Australier, der ohne Arme und Beine sein Leben meistern muss, sprüht vor Lebensfreude. In eindrücklichen Vorträgen erzählt er seine Geschichte auf der ganzen Welt. Die Antwort Jesu auf die Frage nach der Schuld für die Blindheit eines geheilten Mannes leitete die Wende in seinem Leben ein: «Es ist weder seine Schuld noch die seiner Eltern. An ihm soll sichtbar werden, was Gott zu tun vermag.» (Johannes, Kapitel 9, Vers 3) Nick Vujicic verstand: Ich bin so, wie ich bin, damit Gottes Kraft an mir sichtbar wird.
Dran bleiben
Diese drei Menschen haben in ihren Lebensumständen gelernt, was Paulus so beschreibt: «Ich lasse das, was hinter mir liegt, bewusst zurück, konzentriere mich völlig auf das, was vor mir liegt, und laufe mit ganzer Kraft dem Ziel entgegen, um den Siegespreis zu bekommen – den Preis, der in der Teilhabe an der himmlischen Welt besteht, zu der uns Gott durch Jesus Christus berufen hat.» (Philipper, Kapitel 3, Verse 13-14) Das Ziel vor Augen haben, das spornt an und gibt die Kraft, auch Hindernisse zu überwinden. Paulus hat das Ziel so stark vor Augen, dass es ihn schon mal in Richtung Sterben zieht, weil er endlich bei Christus sein möchte. So betont er denn auch, dass unser Bürgerrecht im Himmel sei; von dort sollten wir auch unsern Herrn Jesus Christus als Retter erwarten. Die Rettung wird ganz klar von Jesus erwartet – nicht vom politischen System, dem genügend Ersparten oder einem rauschenden Leben.
Was Paulus trotzdem noch auf der Erde hält, erwähnt er in der Einleitung des Briefes: Er sehnt sich mit der herzlichen Liebe Jesu Christi nach den Philippern (und wohl auch den anderen Gemeinden). Menschliche Liebe allein würde nicht ausreichen, um so viel Verzicht und Leiden auf sich zu nehmen. So betet Paulus für die Philipper, dass ihre Liebe mehr und mehr überströme und reich werde an Erkenntnis und Einsicht, worauf es im Leben wirklich ankommt. Liebe zeigt sich in einem feinen Gespür für die Bedürfnisse des Anderen, für den Willen Gottes und den richtigen Moment, das Richtige zu tun. Wenn Gott diese Zutaten beifügen kann, trägt die Liebe zum Wachstum und zur Einheit der Gemeinschaft bei. Die Gemeinschaft und Liebe wiederum ist ein Grund zur Freude.
Paulus empfiehlt Freude für jede Lebenslage: «Freut euch, was auch immer geschieht; freut euch darüber, dass ihr mit dem Herrn verbunden seid! Und noch einmal sage ich: Freut euch! Seid freundlich im Umgang mit allen Menschen; ihr wisst ja, dass das Kommen des Herrn nahe bevorsteht. Macht euch um nichts Sorgen! Wendet euch vielmehr in jeder Lage mit Bitten und Flehen und voll Dankbarkeit an Gott und bringt eure Anliegen vor ihn. Dann wird der Frieden Gottes, der alles Verstehen übersteigt, über euren Gedanken wachen und euch in eurem Innersten bewahren – euch, die ihr mit Jesus Christus verbunden seid.» (Philipper, Kapitel 4, Verse 4-7)
Bettina Jans-Troxler studiert Theologie am TS Bienenberg und am TDS Aarau.
Datum: 12.08.2013
Autor: Bettina Jans-Troxler
Quelle: Magazin INSIST 4/11