Nicht alle glauben dasselbe

"Alle Religionen meinen eigentlich dasselbe. Lassen wir doch jeden so, wie er ist." Sätze dieser Art sind typisch für das heutige Lebensgefühl. Aber sie erweisen sich bei näherem Hinsehen als Missverständnisse.

Wenn heute von Gott gesprochen wird, ist zu beachten: Nicht alle glauben dasselbe!

In einem Kinder-Zeichentrickfilm mit dem Titel "Der dunkle Kristall" wird eine Welt geschildert, in deren Mitte es eine Kristallkugel gibt, aus der ein grosses Stück herausgebrochen wurde. Gute und schlechte Menschen kämpfen gegeneinander. Der Held findet das fehlende Kristallstück. Er gelangt durch verschiedene Schwierigkeiten hindurch zur Kugel und setzt das fehlende Stück ein. Dies führt zu einer Veränderung: Die guten Menschen gleichen sich ein Stück weit den schlechten an, die schlechten werden ein bisschen mehr wie die guten, zum Schluss sind alle gleich. Es gibt Frieden. Es ist wunderbar.

Die Kinder verlassen das Kino mit dem Trost einer taoistischen, ja hinduistischen Weltanschauung. Die Eltern beunruhigt das, weil es im Film keine Drogen, keine Sexualität, keine Gewalt gibt, es wird nicht einmal geflucht, und es ist keine Rockmusik zu hören. Wir dürfen aber nicht nur fragen: "Ist das tröstlich oder angenehm?" Wir sollten auch fragen: "Was sagt der Film tatsächlich aus?" Wir müssen lernen, die Dinge zu befragen, die an uns herantreten.

Jeder auf dieser Welt stellt fest, dass es Schmerz, Krankheit, Entfremdung und schliesslich den Tod gibt und dass hier nicht alles in Ordnung. Alle "grossen" Menschen, alle Völker fragten sich, warum das so ist und was man tun könne, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Die Menschen haben die verschiedensten Antworten als Lebenshilfe gebraucht.

Monismus (Hinduismus und Buddhismus)

Der Monismus geht davon aus, dass alles eins ist. Das Eine hat einen Namen und heisst Brahman. Das ist die Grundrealität im Hinduismus. Hinter dieser Art von Monismus steckt die Idee, dass es im Ursprung eine vollständige Einheit gab, ohne Individualität oder Manifestation von einzelnem oder Bedeutsamem. Das war die Situation des vollständigen Friedens. Es war sehr schwierig, irgendwelche Konflikte zu haben, da es keine Beziehungen gab. Aber dann entstand eine Unruhe in der Vernunft des Brahman. Diese Unruhe verursachte Wellen, die wiederum Materie, Ideen und Individualität hervorbrachten.

Im gerade dargestellten Monismus ist die ursprüngliche, wahre und gute Realität eine vollständige Einheit; sie wird durcheinandergebracht und zerstört durch die Illusion der Individualität.

Für viele Menschen hat diese Idee eine ungeheure Anziehungskraft. Wir stellen selber fest, dass es eine grundsätzliche Einheit der Realität gibt, in der wir leben. Es gibt ein Universum. Es gibt eine Erde und eine Sonne, und wir können sehen, dass wir tatsächlich leiden.

Der Buddhismus drückt diese Idee so aus: Wurzel des Leidens ist der Wunsch. Wenn du Schmerzen hast und den Wunsch verspürst, keine Schmerzen mehr zu haben, dann leidest du, weil deine Wünsche enttäuscht werden. Wenn du aber Schmerzen verspürst und nicht mehr wünschst, von diesen befreit zu werden, dann leidest du nicht mehr. Unsere Wünsche sind ein Resultat unserer Illusion der Individualität. Man kann das Leiden aufhalten, indem man aufhört, Wünsche zu haben. Der einzige Weg dazu, ist der, alles zu werden. Du musst Buddha-Natur werden, und du wirst wie Gott sein. Der Buddhist wird deshalb meditieren, bis er sich vereint mit dem Brahman oder bis er Buddha wird.

Das Symbol für den Zen-Buddhismus ist ein leerer Kreis, den man gleich wieder auswischt, nachdem man ihn gezeichnet hat. Es ist die Idee, dass die Realität letztlich und umfassend ein "schwangeres Nichts" ist. Im Zen-Buddhismus sagt man: "Wenn du Buddha siehst, dann töte ihn. Denn wenn du den Eindruck hast, dass das Absolute dir gegenüber ist und du eine Beziehung zu diesem Absoluten ausserhalb von dir haben kannst, dann ist das die grösste Illusion. Du wirst nie eine Beziehung bekommen, und deshalb musst du das, was ausserhalb von dir ist, wegschaffen." Im Buddhismus wird Buddha nicht angebetet. Der Buddhist wird Buddha. Es gibt nichts und niemanden, den man anbeten kann. Es existiert auch kein Anbeter. Es gibt keine Schuld, kein Bekennen, keine Vergebung. Wichtig ist nur, dass wir aufwachen zur wahren Erfahrung des Einsseins mit der Realität. Auf eine bestimmte Art ist das ein sehr logisches Verständnis der Realität.

Es gibt jedoch einige Dinge, die mich stören an diesem System. Mein grösster Einwand ist, dass hier alle meine Beziehungen, die mit meiner Frau und auch die mit Kollegen, grundsätzlich schlecht sind. Alles, was ich an Beziehungen erlebe, auch wenn ich in eine Beziehung mit der Wahrheit komme, gehört abgeschafft.
Das kann ich natürlich glauben; ein menschliches Wesen kann fast alles glauben. Es gibt Leute, die glauben, die Erde sei flach. Menschen können eine unglaubliche Vielfalt von persönlichen Überzeugungen haben. Es scheint mir aber, dass diese Art von Glauben sehr aufwendig ist. Ich muss alles fortwerfen, was ich weiss und was ich erfahren habe. Ich muss an eine vollständig andere Art von Realität glauben.

Dualismus (Taoismus)

Dualismus findet sich sehr deutlich im Taoismus. Sein Zeichen besteht aus Yin und Yang. Der Grundgedanke ist, dass die Realität von zwei gleichen gegenüberstehenden Polen geprägt wird. In dieser Welt gibt es Leiden und Ungerechtigkeit, weil diese beiden Gegenüber nicht in Balance stehen. Das Ende des Leidens und der Ungerechtigkeit wird dann erreicht, wenn wir diese beiden Gegensätze wieder in eine vollkommene Balance bringen.
Das ist keine verrückte Idee. Wir entdecken im Leben, dass es Pole gibt: heiss und kalt, hart und weich, Mann und Frau. Es gibt Gegensätze. Wir entdecken auch Ungleichheiten und wissen, dass es oft sehr schwierig ist, in Harmonie zu leben. Dass der Weg zur Lösung die vollkommene Balance ist, das klingt nicht schlecht.

Aber auch hier habe ich Probleme. Es gibt einmal ein intellektuelles Problem. Viele Phänomene lassen sich nicht mit der Balance von zwei gleichen Polen beschreiben. Was ist der Gegenpol zu einem Fluss? Es gibt keinen Gegenpol. Wie kann man den Fluss eines Wasserstromes ausbalancieren? Was ist das Gegenteil von Geschichte? Es gibt Dinge, die nicht in das System passen.

Aber es stellt sich noch ein schwerwiegenderes Problem. Es ist zwar sehr gut, über Ökologie und makrobiologische Diät zu sprechen und darüber, wie man gewisse Dinge in eine Balance bringen könnte. Aber wenn dies die Beschreibung der ganzen Realität sein soll, dann müssten wir ja immer gegenüberliegende Pole mit einschliessen, um zum Ausgleich zu kommen: zur Freundlichkeit also auch die Gemeinheit, Gut und Böse, Gott und den Teufel, Leben und Tod. Alle diese Gegenpole müssten wir als gleichwertig auffassen. Freundlichkeit ist nicht realer oder echter als die Gemeinheit. Sonst könnten wir nie die totale Balance erreichen.

Das ist eine sehr mechanische und statische Sicht der Realität. Es wird nämlich nie einen Sieg geben. Das Gute kann nie über das Böse gewinnen, man muss nur beides ausbalancieren.

Trinitarisches Denken (Christentum)

Das trinitarische Denken nach Sicht der Bibel sagt, dass es als letzten Grund der ganzen Wirklichkeit drei Personen gibt, die ausserhalb von Zeit und Raum in einer dynamischen Beziehung untereinander existieren.

Wir können in dieser absoluten Wirklichkeit eine enge Verwandtschaft entdecken zu der Realität, die wir selber in Zeit und Raum erleben. Wir sehen in unserem Leben Vielfalt und Einheit. Es gibt die Realität eines menschlichen Wesens, einer Kuh oder eines Baumes. Aber es existiert auch die Vielheit der Menschen, ihre Einzigartigkeit. In der biblischen Beschreibung der Dreieinheit gibt es einen Gott, eine Einheit, aber auch eine wahre Vielfalt, weil es drei einzigartige Personen gibt.

Wir entdecken innerhalb von Zeit und Raum, dass es Form, Bestimmung und Freiheit gibt. Auch bei der Dreieinheit erkennen wir eine Form, eine Hingabe an die Einheit der drei. Es gibt aber auch die Freiheit der Einzigartigkeit, der Entscheidungsfähigkeit von drei einzelnen Personen.
Genauso wie wir als menschliche Wesen Beziehungen erleben in Zeit und Raum, ist in der Bibel zu lesen, dass die Dreieinheit Beziehungen in sich selber hat. Hier gibt es Kommunikation und Gemeinschaft.

Wir erfahren in unserer Wirklichkeit auch Personalität. Damit beschreiben wir die Realität eines (sich selbst bewussten) Bewusstseins, das in einer Beziehung steht mit anderen Personen, die sich selber bewusst sind. Ein einzelner Mensch in totaler Isolation, wie z.B. Adam vor der Erschaffung von Eva, das wird als "nicht gut" bezeichnet. Das Ebenbild Gottes wäre so nicht vollendet, nicht in seiner Ganzheit da. Die Bibel sagt: "Im Ebenbild Gottes machte er sie. Als Mann und Frau" (1). Hier wird eine Beziehung geschildert. Personalität ist Beziehung.

Islam

Im Monismus und im Dualismus gibt es keine Beziehung, keine Personalität. Der Koran sagt: "Allah ist nur einer, es gibt keinen anderen, er hat keinen Sohn." Wenn Allah mit jemandem kommunizieren möchte, muss er dafür jemanden schaffen. Allah ist in seiner Personalität abhängig von der Realität seiner Schöpfung. Der Gott der Bibel ist dagegen nicht abhängig von der Schöpfung als Gegenüber. Er ist sozusagen selbstgenügsam in sich selber.

Warum ich Christ bin

Paulus schreibt im Korintherbrief, dass die Kirche einen Leib bilde. Da gibt es eine Hand, den Fuss, das Auge, das Ohr, es gibt Unterschiede. Im Himmel gibt es immer noch eine Einzigartigkeit. Wir sollen daher nicht Klone sein, keine identische Replikation. Wenn wir Christus gegenüber gehorsam sein wollen, müssen wir sogar einzigartig sein, weil auch Christus einzigartig ist, er ist unterschieden von den anderen Teilen der Dreieinheit.

Wenn ich Heil erfahren und befreit werden soll von Leiden und Übel, dann muss ich nach der christlichen Sicht nichts "wegwerfen". Alles ist berücksichtigt: Personalität, Beziehungen, die Kommunikation, Gemeinschaft, Freiheit, Einheit, Vielfalt und meine Entwicklung. Dies alles wird nicht in eine Transzendenz aufgelöst oder grundsätzlich vernichtet. Es soll und muss aber gerettet und geheiligt werden.

Es braucht selbstverständlich Glauben, um dem, was ich hier behaupte, zuzustimmen. Es scheint mir allerdings so, dass man noch viel mehr Glauben haben muss, um dem Monismus oder dem Dualismus zuzustimmen. Dass ich Christ wurde und den Zen-Buddhismus verliess, hat seinen Hauptgrund darin, dass es weniger Glauben braucht, der Bibel und ihrer Beschreibung der Realität zu vertrauen, als an irgendetwas anderes zu glauben. Die Quelle meines Heils ist jetzt nicht mehr mein Glaube, sondern der Gott, an den ich glaube.

*Ellis Potter ist in Kalifornien aufgewachsen und hat dort Musik studiert. Fünfzehn Jahre lang war er praktizierender Zen-Buddhist. Während eines Aufenthaltes in der l'Abri-Gemeinschaft in Huémoz/Schweiz wurde er Christ. Er war zwölf Jahre Mitarbeiter in diesem von Dr. Francis Schaeffer begründeten Werk und ist heute Pfarrer in einer englischsprachigen Kirche in Basel. Potter gilt als Experte für fernöstliche Weltanschauungen.

Datum: 24.06.2010
Autor: Ellis Potter
Quelle: Bausteine/VBG

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