Die Pilger gehen den Weg, den nach der Überlieferung der Stifter des Islam, der aus Mekka stammende Muhammad, im 7. Jahrhundert selbst gegangen ist. Im Zentrum Mekkas steht die Kaaba, ein Heiligtum schon in vorislamischer, altarabischer Zeit. Die Kaaba ist laut islamischer Tradition der Ort, an dem Abraham Allah einen Schrein errichtete (in der Bibel steht davon nichts). Muslime sehen sich als spirituelle Nachfahren Abrahams, von dem gesagt wird, er habe Allah in einer reinen Weise als Schöpfer geehrt. Der Koran behauptet, Muhammad habe diese ursprüngliche Religion der reinen Gottesfurcht (‚Islam‘ als Unterwerfung unter den Willen Gottes) der Menschheit zurückgegeben. Die Hadsch ist eines der fünf Hauptgebote des Islam; sie wird einmal im Leben verlangt von jedem Muslim, der die Mittel dazu aufbringt. Bereits letzte Woche sammelten sich mehrere 100'000 Pilger in Medina und beteten dort in der Prophetenmoschee. Andere werden vom Flughafen Dschidda direkt nach Mekka gefahren und besuchen Medina nachher. Viele Muslime sind überwältigt, wenn sie im Verein mit Hunderttausenden bei Tagesanbruch ihre Gebete verrichten. Das Prinzenregime der Saud lässt sich die Gastgeberrolle einiges kosten, wie in diversen Zeitungsberichten unterstrichen wird. In Mekka und Medina haben die Saudis 21 Spitäler und 300 medizinische Stationen mit total 7'000 Betten eingerichtet. Fünf Kliniken befinden sich in der Grossen Moschee. Die Mediziner erwarten wegen der kühlen Nächte vor allem Erkältungskrankheiten; die Pilger, die sich aus finanziellen oder spirituellen Gründen kein Hotel leisten, hausen tagelang in riesigen Zeltstädten. Fast die Hälfte der Pilger – gegen eine Million – hat eine andere Muttersprache als Arabisch. Das saudische Radio sendet in diesen Wochen in zehn Sprachen; Pamphlete liegen in vielen Sprachen auf und ein Pilgermagazin erscheint in Englisch. Für prominente Mekkareisende hat das saudische Pilger-Ministerium auch dieses Jahr ein Symposium organisiert. Es dreht sich um die Rolle Mekkas als „die intellektuelle Hauptstadt der islamischen Welt“ und bietet auch Seminare für Frauen an. Die Frauen stellen die Hälfte aller Pilger. Pilgerinnen unter 45 Jahren müssen von ihrem Mann, Sohn oder Bruder begleitet werden; die Älteren, die auch in Frauengruppen reisen dürfen, müssen in einem beglaubigten Brief die Einwilligung ihres Verwandten belegen. Unter den Hadschis, den Pilgern, sind auch 5'000 Iraker. Der drohende Krieg überschattet die islamische Festzeit. Neue Vorstösse arabischer Staatsführer zur Verhinderung eines Kriegs im Irak zeigen aber im Grunde vor allem ihre Unfähigkeit, dem grausamen Regime von Saddam Hussein selbst, durch regionale Anstrengungen, ein Ende zu machen. Die arabischen Politiker haben Saddams Einschüchterung und Aggression jahrelang hingenommen. Nun, da die USA den Druck erhöhen, hat der saudische Aussenminister einen Plan zur Isolierung Saddams vorgelegt. Der Plan zielt auf den Sturz Saddams und eine Verhinderung des Kriegs, den die USA wegen des vermuteten irakischen Arsenals an Massenvernichtungswaffen androhen. Die territoriale Integrität des Iraks soll bewahrt werden. Die Saudis fürchten bei einem Krieg eine weitere Destabilisierung des Nahen Ostens und starke anti-amerikanische Auswüchse in der arabischen Welt. Eine Hauptmassnahme, die die Saudis laut dem Nachrichtenmagazin TIME vorschlagen, ist ein Amnestie- und Schutz-Angebot an irakische Beamte und Offiziere, wenn sie mit der UNO zusammenarbeiten und so zur Erfüllung ihrer Abrüstungsvorgaben beitragen. Die befragten Beamten befürchten – mit gutem Grund, Saddams Schergen kennen keine Gnade – Repressalien und die Hinrichtung, sollten sie den Inspektoren auf die Sprünge helfen. Saudi-Arabien präsentiert den Muslimen seine gastfreundliche Seite. In den Schulen des Landes wird den Kindern allerdings weiterhin Hass auf Juden und auf die Menschen der freiheitlichen Kultur des Westens eingeimpft. Das American Jewish Committee und ein US-Friedenszentrum werteten für eine Studie 93 saudische Schulbücher der 1.-10. Klassen aus. Die Schulbücher strotzen von Antisemitismus und Intoleranz gegenüber westlichen Ideen wie Demokratie und Meinungsfreiheit. Der Islam wird als einzige wahre Religion dargestellt, und es heisst, dass die anderen Religionen in die Irre führen. Israel und die Juden werden häufig als „böse“ und „verdreht“ bezeichnet. In einem Diktat für Achtklässler heisst es: „Derzeit wird Palästina von den Juden, einem verräterischen, hinterlistigen Volk besetzt; sie sind von überallher, von Polen, Spanien, Amerika und anderen Ländern gekommen. Ihr Ende, so Gott will, ist das Verderben.“ Die Schulbücher breiten die Untaten der Kreuzfahrer des Mittelalters aus. Die Verbreitung westlicher Menschenrechts- und Freiheitsideale wird als Gefahr für alle Muslime hingestellt. 15 der 19 Terroristen, die am 11. September 2001 die Flugzeuge nach New York und Washington hineinsteuerten, stammten aus Saudi-Arabien. Seit dem Tag der Anschläge ist das saudische Regime der Prinzen des Hauses Saud unter verstärkten Druck aus Washington gekommen. Vor kurzem präsentierte Kronprinz Abdullah bin Abdul Aziz Vorschläge zur politischen Reform in der arabischen Welt. Die schätzungsweise 7'000 Prinzen (dazu kommen ihre Angehörigen) verwalten das Land traditionell wie ihr Privatreich und leisten sich teils einen anstössig luxuriösen Lebensstil. Dieser verträgt sich nur schlecht mit dem Anspruch des Islam, alle Menschen auf der gleichen Stufe vor Gott zu einen. Seitdem der erste Stammesfürst aus dem Hause Saud im 18. Jahrhundert ein grösseres Gebiet auf der arabischen Halbinsel unter seiner Herrschaft einte, ist das Staatsgebiet dem Islam geweiht, und zwar in seiner wahabitisch strengen Form, die gegenüber Nicht-Muslimen Misstrauen, Abwehr und Kampf gebietet. In der Stadt Mekka haben Nicht-Muslime nichts zu suchen. Und im ganzen Land darf keine andere Religion praktiziert werden als der Islam. Die Scharia, das islamische Gesetz, gilt samt ihren entwürdigenden Körperstrafen als Grundlage der Rechtsprechung. Mehrfach landeten Christen, die sich zu Gebet und Lobpreis treffen wollten, hinter Gittern und wurden misshandelt; einige entgingen knapp der Todesstrafe; manche verloren grosse Lohnsummen und wurden ins Heimatland ausgeschafft. Saudi-Arabien hat in den letzten Jahrzehnten viele Millionen von Arbeitern aus Afrika und Asien beschäftigt. Doch nun zwingt die Arbeitslosigkeit der Einheimischen die Regierung, die Schraube anzuziehen. Der saudische Innenminister hat diese Woche eine Strategie zur Beschränkung der Immigration vorgegeben. Danach sollen innert zehn Jahren zwei bis drei Millionen Fremdarbeiter das Land verlassen. Zurzeit leben neben 17 Millionen Saudis rund sieben Millionen ausländische Arbeitskräfte und deren Angehörige im Land, davon 1,5 Millionen Inder, eine Million Pakistaner und 750‘000 Ägypter. In zehn Jahren dürfen im Königreich ansässige Ausländer höchstens noch 20% der saudischen Bürger ausmachen: auf etwa 23 Millionen saudische Bürger darf es nicht mehr als viereinhalb Millionen Fremde geben. Kein Land soll künftig über 10 Prozent der Ausländer stellen. Ein Beamter sagte, wenn die Zahl der Ausländer wie bisher wachse, stürze Saudiarabien in eine „wirtschaftliche und soziale Katastrophe“. Jahrzehntelang erlaubten gewaltige Einnahmenüberschüsse aus dem Erdölexport den Einheimischen, die (Dreck-)Arbeit durch andere erledigen zu lassen. Aber angesichts des schwindenden Pro-Kopf-Einkommens und steigender Arbeitslosigkeit unter Schulabgängern, welche zu sozialer Unrast führt, versucht die Regierung in Riad eine Korrektur. Nach Angaben des saudischen Rats für Arbeitskräfte sind zurzeit 360‘000 Saudis als arbeitslos gemeldet; nach inoffiziellen Schätzungen sind das über 15% der Arbeitsfähigen. Der Innenminister erklärte auch, dass die Arbeitslosigkeit das Verbrechen und die Korruption fördere. Der von 1995-99 laufende Fünfjahresplan zielte auf eine Verminderung von 320‘000 Fremdarbeitern; tatsächlich waren am Ende der Periode 80‘000 mehr im Land. Das Ministerium für Soziales und Arbeit will innert fünf Jahren 800'000 Arbeitsplätze für junge Saudis schaffen; ein Teil sind Jobs von Fremdarbeitern. So soll mehr Geld im Land bleiben (man schätzt, dass die Ausländer jährlich über 18 Milliarden Dollar in ihre Heimat schicken). Das Arbeitsministerium hat neulich der Liste von 34 für Saudis reservierten Berufskategorien 22 weitere hinzugefügt; sie gehen von Managern bis zu Verkäufern und Portiers. Ausländische Beobachter im Königreich führen das Problem auf verbreitete Arbeitsunlust und fehlende Fachausbildung der Schulabgänger zurück. Dazu kommt der Einfluss des Islam: Weniger als 10 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter haben eine Arbeitsstelle. Neue Vorbereitungsprogramme des Ministeriums, die junge Saudi dem Arbeitsmarkt zuführen sollen, zielen sowohl auf ein Arbeitsethos als auch auf technische Kenntnisse ab. Die Mehrheit der Fremdarbeiter ist im saudischen Privatsektor beschäftigt, wo sie geschätzt sind, weil sie für weniger Lohn mehr und zuverlässig arbeiten und nicht aufmucken. Viele sind ungelernte Arbeitskräfte, jeder siebte kann nicht lesen und schreiben. Oft müssen sie demütigende Behandlungen über sich ergehen lassen. Derzeit haben saudische Privatfirmen wenigstens 30 Prozent Einheimische zu beschäftigen. Innenminister Prinz Nayif rief laut der NZZ die Privatunternehmer und Geschäftsleute zur freiwilligen Besinnung auf die nationalen Kräfte auf, weil sonst letztlich der Staat eine Wende erzwingen müsse. „Einem Durchgreifen würden sich die Privatunternehmer wohl nicht widersetzen, wenn das die Mitglieder der königlichen Familie gleichermassen träfe wie sie; Prinzen gelten in der ganzen Golfregion als Leute, die sich unter Missbrauch ihrer Immunität nur selektiv an Regeln und Verpflichtungen halten.“Pilgerfahrt: eines der fünf Hauptgebote
Saudischer Vorschlag zur Isolierung Saddams
Schulbücher: Hass gegen Juden und den Westen
Reformdruck nach den Terroranschlägen
Zu viele Fremdarbeiter
Arbeitslosigkeit
Die Prinzen machens vor: Verbreitete Arbeitsunlust
Datum: 06.02.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch