Islam in Europa – zwischen Weltpolitik und Alltagssorgen

Sunnitisch-schiitische Diskussion über Koranauslegung: die Professoren Ömer Öszoy (Ankara) und Hamid Kasiri (Qom).
Brachte die Differenzen zwischen arabischer Welt und Westen auf den Punkt: Arnold Hottinger.
Den Abschluss des Forums in der Uni Freiburg bildete ein Vortrag von Bassam Tibi.

Welches Modell Europas soll den Muslimen als Orientierungspunkt dienen? Mit Blick auf die Integration der Menschen muslimischen Glaubens stand diese Frage im Zentrum des Ersten Internationalen Religionsforums der Universität Freiburg (Schweiz). Für angeregte Diskussionen sorgten die Stichwörter moderne Koranlektüre, Frauen, Toleranz und Loyalität.

In den islamischen Ländern wie in Europa stehen die Muslime vor den gleichen Problemen, bemerkte der ehemalige Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung und weiterer Medien, Arnold Hottinger, zu Beginn einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Kolloquiums. Der Unterschied sei aber, dass in den islamischen Ländern die Diskussion durch "Machtfragen verstellt wird". In Europa fänden die Muslime dagegen einen "machtfreien Raum", in welchem sie diskutieren könnten, und das stimme ihn "optimistisch", sagte der 79-jährige Publizist. Er warnte davor, diesen Freiraum durch "Terrorismusbekämpfung" einzuengen.

Wie sollen sich aber die Muslime in Europa zurechtfinden und diese Freiräume ausschöpfen? Um diese Frage drehten sich die Voten zahlreicher Redner am Podium. Europa versuche den Muslimen den hier gelebten "Pluralismus" schmackhaft zu machen, denn dieser sei ein zentraler Bestandteil der europäischen Gesellschaft, sagte Joseph Marko, Professor für Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz in Wien. Gleichzeitig warnte Marko, dieser Pluralismus sei aber auch "der Massstab für die konkrete Frage, inwieweit staatliche Eingriffe in die Religionsfreiheit zu rechtfertigen sind".

Ein "europäisches Modell" gibt es nicht

Marko stellte die Existenz eines "europäischen Modells", das den Muslimen beispielhaft präsentiert werden könnte, in Frage. Er illustrierte dies am Beispiel, wie vielfältig in europäischen Ländern das Verhältnis zwischen Religion und Staat geregelt ist. Grossbritannien, Dänemark und Griechenland kennen das Staatskirchensystem, Frankreich und die Türkei dagegen das Laizitätsmodell. Explizit ergebe sich die Frage, welches dieser beiden gegensätzlichen Modelle - oder etwa der "deutsch und österreichische Mittelweg"? - den Muslimen gegenüber als das europäische angeboten werden solle.

Integration und Herausforderung

Als wichtiges Thema des Kolloquiums "Islam in Europa - zwischen Weltpolitik und Alltagssorgen" benannte der Podiumsleiter Guido Vergauwen, Direktor des Instituts für Ökumenische Studien an der Theologischen Fakultät in Freiburg: "Wie soll der Islam den Weg in die Moderne schaffen?" Dieser sei dabei mit sehr grossen Herausforderungen konfrontiert, betont er. Vergauwen wies am Rande der Podiumsdiskussion gegenüber der Presseagentur Kipa auf die Schwierigkeiten des Islams, seine "alten" heiligen Schriften auf dem Hintergrund moderner Erfahrungen zu interpretieren. Vergauwen: "Wie kann der Islam aufgrund seiner rechtlichen und religiösen Tradition sich in eine modernen Zivilgesellschaft integrieren?"

Umgekehrt sei der Islam in seiner heutigen Form aber auch eine Herausforderung an die europäische Moderne, ihren eigenen Umgang mit der Religion und ihren Werten zu hinterfragen. Für Europa stelle sich die Frage, wie die wachsende muslimische Bevölkerung in die europäischen Demokratiemodelle integriert werden könne. In diesem Zusammenhang spiele der Stellenwert der Frau in der muslimischen Tradition eine äusserst wichtige Rolle. So gebe es im Islam - im Gegensatz zur christlichen "feministischen Bibellektüre" - keine feministische Lektüre des Korans.

"…obwohl wir uns im Gemeindehaus trauen lassen"

Aber nicht nur die Stellung der Frau erhitzte an der Podiumsdiskussion die Gemüter, sondern auch die Stellung des Muslims als "Bürger" eines europäischen Landes. Youssef Ibram, Imam in Genf, unterstützt von Ouardiri Hafid, Sprecher der Moschee, warf der europäischen Gesellschaft vor, die Muslime würden nicht für voll genommen, "obwohl wir uns im Gemeindehaus zivil trauen lassen, obwohl wir in der Migros einkaufen. Aber wir besuchen die Moschee." Ibram wünschte, dass die europäischen Gesetzgebungen auch die Bedürfnisse der Muslime berücksichtigten, indem Elemente der islamischen Gesetzgebung (etwa des Familienrechts) aufgenommen würden – was Jasmina El-Sonbati, Vizepräsidentin des Schweizer "Forums für einen fortschrittlichen Islam", weit von sich wies.

Reizwörter Loyalität und Toleranz

Toleranz, aber auch Loyalität, wurde während des Podiumsgesprächs von verschiedenen Sprechern auf dem Podium angemahnt. Damir Skenderovic, Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg mit Schwerpunkt Populismus und Rechtsextremismus, erklärte, in der Definition eines Menschen als "Bürger" sollte die Religionszugehörigkeit keine Rolle spielen. Er mahnte aber, in den Augen vieler Menschen spiele die "Loyalität" eines "Fremden" zum Staat eine bedeutende Rolle. Skenderovic machte in der heutigen "Islamophobie" das gleiche Grundmuster aus, wie es sich in der Geschichte des europäischen Antisemitismus manifestiert habe. Sein Vortrag am Kolloquium trug den Titel. "Feindbild Muslime: Islamophobie in der radikalen Rechten".

Als Reizwort erwies sich in der Diskussion der Begriff "Toleranz". Hamid Kasiri, Assistenzprofessor am Imam Khomeini Institut in Qom (Iran), erklärte, in seiner Heimat sei eine kritische Auseinandersetzung mit dem Koran üblich. Bassam Tibi, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Göttingen, erkundigte sich nach dem Schicksal von Abdelkarim Sourouch, Professor für religiöse Philosophie. Die Antwort Kasiris, Sourouch habe seinen Lehrstuhl nicht verloren, weil er sich kritisch geäussert habe, sondern weil er "nicht mit den Studenten umgehen konnte", befriedigte die wenigsten Teilnehmer und Hörer des Podiumsgesprächs.

Quellen: Kipa/Livenet

Datum: 16.12.2005

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