Den befreienden Gott entdecken

Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Jesus Christus hat ihn sieben Wochen nach seiner Auferstehung und zehn Tage nach seiner Himmelfahrt ausgegossen auf die in Jerusalem wartenden Jünger. Der Tag wird heute auf der ganzen Welt als der Geburtstag der christlichen Kirche gefeiert. Denn der Geist fügte an Pfingsten die Männer und Frauen, die mit Jesus gegangen waren, in einer nie gekannten Weise zusammen. Es entstand eine Gemeinschaft neuer Qualität – ein „Tempel, in dem Gott durch seinen Geist wohnt“, wie Paulus einmal schrieb.

Von ihm selbst erfüllt, von seinem Geist verwandelt und geleitet, verloren die Jünger von Pfingsten an ihre Angst und Menschenfurcht. Sie wurden frei, das Wichtige zu tun. Sie wussten: Jesus hatte für ihre Schuld bezahlt, hatte sie zu einem gelösten Leben berufen. Frei vom Druck, das Gesetz der Väter erfüllen zu müssen, konnten sie die Welt neu sehen. Die Verbreitung der Guten Nachricht von der Liebe Gottes und vom Retter Jesus begann. Die ersten christlichen Gemeinden entstanden, in den folgenden Jahrhunderten wuchs aus ihnen die weltweite Kirche.

Frei von Zwängen

Gott befreit – in diesem Sinn ist sein Heiliger Geist bis heute am Wirken. Der Apostel Paulus, der in allen Details des jüdischen Gesetzes unterwiesen worden war und vor seiner Bekehrung für seine buchstäbliche Erfüllung geeifert hatte – Paulus erlebte diese Befreiung wie kaum ein zweiter. „Christus hat uns befreit; er will, dass wir jetzt auch frei bleiben“, schrieb er den Christen in Galatien ins Stammbuch (5,1). Und den Römern (12,11): „Lasst euch vom Geist Gottes entflammen!“

Gott befreit – allerdings nicht zu einem Leben ohne Verantwortung. Er befreit uns, damit wir in den Spuren von Jesus gehen. Damit wir seinem Vorbild folgen, ihm dabei ähnlicher werden. Jesus hat mit dem Vater gelebt, seinen Willen getan, die Menschen geliebt, gehofft und gelitten, erduldet und gesiegt. Gottes Geist will Freiheit, aber nicht Selbstverwirklichung. Jesus forderte seine Freunde auf, ihr eigenes Leben herzugeben, um das wahre Glück zu gewinnen. Und jene, die sich nicht zu gut für die Hingabe waren, fanden es.

Das schönste Potenzial

Das schönste Potenzial, das wir in uns tragen, kommt durch anhaltenden Kontakt mit Jesus Christus, dem Auferstandenen, zur Entfaltung. Für den gesetzestreuen Juden Saulus war die Befreiung vom Zwang der Gesetzeserfüllung das umwälzende Erlebnis – dadurch wurde er zum Paulus. Gibt es heute andere Zwänge, von denen der Geist Gottes uns befreien will?

Pfingsten könnte das Fest der Befreiung sein. Da will doch jeder dabei sein: Frei vom Zwang, der Messlatte zu genügen, die andere legen. Frei vom Leistungsdenken, weil Gott mich annimmt. Auch frei vom endlosen Haschen nach Glück. Überfordern wir uns nicht, wenn wir uns glücklich machen wollen – und dafür Massstäbe von erfolgreichen, begabten Menschen nehmen (von den Medien ständig vermittelt)?

Gelöst

Es spricht einiges dafür: Wir überfordern uns, wenn wir selbst unserem Leben Glanz und bleibenden Sinn geben wollen. Viele überfordern ihren Partner mit Glückserwartungen. Nicht wenige werden Zyniker oder seelisch krank, weil ihr Lebensprojekt Glück zerbröselt.

Gott schenkt Glück. Wir haben heute am Pfingsttag – und an jedem Tag des Jahres – die Gelegenheit, Gott als den zu entdecken, der uns befreit. Er will uns über Grenzen hinausführen, Zwänge aufheben, Bindungen lösen – dass wir frei mit ihm leben können.

Und dies nicht als Einzelne. Pfingsten ist auch das Fest der Gemeinschaft, wie Gott sie sich denkt. Keine christliche Gemeinde ist vollkommen – aber jede spiegelt etwas vom strahlenden Licht Gottes. Er will in ihr wohnen. Der Gemeinschaft von Christinnen und Christen hat Gott etwas Einzigartiges versprochen: dass sie sich in Ewigkeit vollenden wird. Endlich werden wir ganz frei sein.

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