Ich möchte Sie mit einer neuen sozialen Schicht bekannt machen: den Versagern. Das sind Leute, die regelmässig versagen. Leute wie ich. Ich bin Laien-Pastor einer kleinen, kaum wachsenden Kirchengemeinde. Ich bin nicht ordiniert und wurde beider theologischen Ausbildungsstätten verwiesen, die ich besucht hatte. Ich bin geschieden und erneut verheiratet. Manchmal kann ich gegenüber meiner Frau und meinen Kindern richtig gemein sein. Ich bin unheilbar unsicher, was dazu führt, dass ich mich nach aussen oft arrogant gebe. Manchmal verwirren mich meine Mitmenschen und ich ziehe mich in mein Schneckenhaus zurück. Ich bin impulsiv, was mich dazu veranlasst, Dinge zu sagen, die ich nicht sagen sollte und Versprechen zu geben, die ich nicht halten kann. Ich bin inkonsequent. Stotternd, holpernd und stolpernd – so sieht mein Versuch aus, Jesus nachzufolgen. Manchmal empfinde ich seine Gegenwart so stark, dass ich kaum die Tränen zurückhalten kann, und dann – ganz ohne Vorwarnung – kann ich ihn nicht mehr finden! An manchen Tagen ist mein Glaube stark und unbezwingbar – an anderen Tagen ist er schwach und hilflos wie ein Papierschiffchen auf stürmischer See. Ich bin bereits seit Jahrzehnten Christ. Ich kenne das „Vokabular des Glaubens“ und werde häufig um Rat in Glaubensfragen gebeten. Und dennoch bin ich selbst immer noch durcheinander. Ich bin Lichtjahre von der Aussage eines Apostels Paulus entfernt, der zu anderen sagen konnte: „Ahmt mich nach!“ Ich bin nahezu im Rentenalter und kämpfe immer noch – ein bekleckerter, ungeschickter, wackeliger Nachfolger von Jesus Christus. Das macht manchen meiner Mitchristen Stress. Über die Jahre hinweg haben sie stets ihr Unbehagen bezüglich meines Versagens geäussert. Manche haben mir den Rücken zugekehrt. Manche sehen mich sogar „ausserhalb des Königreiches Gottes“. Aber Jesus nicht. Er weigert sich, mich aufzugeben. Und manchmal in der Nacht, kurz bevor ich einschlafe, glaube ich sogar, ihn meinetwegen weinen zu hören. Sehen Sie, Jesus hat eine grosse „Schwäche“: Er kann sich nicht von Versagern fernhalten. Er ist der Freund der Versager, er liebt Versager! Wer immer sie bereits aufgegeben hatte – er suchte sie: die Frau, deren fünf Ehen gescheitert waren; den Blinden am Teich, der 38 Jahre das falsche Timing hatte und immer noch in der Schlange stand; die Fischer, die nichts gefangen hatten; der Dieb, der das Gesetz nicht gehalten hatte; die Ehebrecherin, die gegen die Moral verstossen hatte; die zweifelnden Jünger, die es immer noch nicht richtig kapiert hatten. In der Bibel im Lukas-Evangelium, Kapitel 14, Verse 15 bis 24 erzählt Jesus eine Geschichte über Versager. Ein reicher Mann wollte für seine erfolgreichen Freunde ein Fest geben. Doch am Tag der Feier entscheiden alle seine „Freunde“, dass sie nicht kommen können. Also sagt der Gastgeber zu seinen Dienern: „Geht nach draussen und ladet alle Versager ein, die ihr finden könnt: Trinker, Prostituierte, Obdachlose, Krüppel.“ Der Gastgeber gibt eine Party für alle Versager. Damit definierte Jesus seine Kirche. Und machte dabei sehr deutlich, dass die Kirche nicht bloss für ein paar Gescheiterte ein sicheres Plätzchen darstellt; nein, die gesamte Belegschaft besteht aus Verlierern – aus Versagern wie Ihnen und mir! Wenn dem so ist, warum aber haben dann so viele Christen doch eher weniger gern Versager in ihrer Mitte (es sei denn, diese sind bereits seit vielen Jahren veränderte Ex-Versager)? „Praktizierende“ Versager sind für stets aufwärts strebende Christen eher peinlich. Aber ich verstehe wirklich nicht warum. So wie der Theologe Henri Nouwen es ausdrückte, war die Christenheit eher immer „nach unten hin“ ausgerichtet. Wir alle haben eins gemeinsam: unsere Schwäche, unser Versagen, unsere Desillusioniertheit und unsere Widersprüchlichkeit. Und genau dann, nämlich „während wir noch Sünder sind“, ist Jesus laut der Bibel von uns angezogen. Es ist unsere Schwäche, die uns endlich irgendwann verzweifelt genug sein lässt, dass wir das Kreuz ansehen: den Körper Jesu, aus dem Blut fliesst, welches sich mit unserem vermischt und uns mit Vergebung ehrt. Aus diesem Grund liebe ich Jesus so sehr. Er ging so – wie soll ich sagen? – „unverantwortlich“ mit Gnade um! Er war so wenig diskriminierend und so grosszügig mit Vergebung. Und noch schockierender: Jesus machte Mut zu jenem verschwenderischen Umgang mit Gnade, indem er Geschichten erzählte, in denen es hiess, dass auf solche „Barmherzigkeitsaktionen“ wahre Feste folgen würden! Im Gegensatz dazu ist die moderne evangelikale Christenheit ach-so-verantwortungsbewusst mit Gnade! Die Kirche hat beinahe Angst, sie könnte sie zu billig verschleudern – gerade so, als gäbe es nur einen begrenzten Vorrat davon, der beschützt und behutsam verteilt werden müsse! Solche „Gnaden-Verteiler“ befürchten, die Gnade könne verschwendet oder gar missbraucht werden. Ohne Frage, die Kirche kann eine Scheidung verzeihen, vielleicht auch zwei – aber fünf? Okay, Christen können Ehebruch vergeben, aber, … du meine Güte, wir können die Sünder doch nicht unsere Gemeinden stürmen lassen! Und dann ist da die biblische Geschichte mit dem verlorenen Sohn. Er entehrte seinen Vater, verprasste sein Erbe und feierte so lange mit falschen Freunden, bis er vollkommen pleite war und als obdachloser, verdreckter und stinkender Versager endete. Und so einer soll eine Party bekommen? Jesus antwortete den Gnaden-Verteilern mit verwegener Vergebung und einer grosszügigen Feier! Wenn wir versagen und irgendwann wieder zu uns kommen, sollten wir also eigentlich nichts Eiligeres zu tun haben, als in die christliche Gemeinschaft zurückzukehren, weil wir wissen, was uns dort erwartet: - Wir erwarten keine „Haben wir dir doch gesagt“- Chorusse. Nein. Wir erwarten ein Fest! Das ist es, was Christen mit Versagern tun. Sie sind ebenso „unverantwortlich“ wie Jesus. Sie tun mehr, als Anweisungen geben – sie überraschen. Sie tun mehr, als zu korrigieren – sie tanzen. Und sie tun mehr, als zu lieben – sie feiern! Gerade so wie Jesus. Autor: Michael Yaconelli Wackeliger Nachfolger
Nicht aufgegeben
Geliebte Versager
Sparsam mit Vergebung?
Grosszügiger Umgang
Eine Gemeinschaft der Freude
- Wir erwarten keine Gruppe von Anklägern und theologischen „Aufpassern“.
- Wir erwarten nicht, dass wir uns erst verbiegen müssen, um zu beweisen, dass wir unser Versagen bereuen.
Datum: 13.02.2008
Quelle: Neues Leben