Blau-Kreuz-Aktion

Lohnender Verzicht

Zuerst ein Geständnis in eigener Sache: Ja, ich rauche! Allerdings nur passiv. Aber selbst das gibt übers Jahr die eine oder andere Zigarette, wenn nicht mehrere "Päckli". Jedenfalls wenn die "Aktiven" besonders aktiv sind. Die passive Sucht loszuwerden, ist schwierig. Einfacher haben es da die Abhängigeren, die sich an der Aktion Time-out (früher "Lohnender Verzicht") beteiligen, schliesslich haben sie's selbst in der Hand. Bei dieser Aktion versuchen die Teilnehmer auf tägliche Gewohnheiten zu verzichten. Sei es auf den unkontrollierten Zufluss des Beamtenbenzins "Kaffee" oder das "Geleefleisch" ganzer Legionen von Gummibärchen.

Der Beginn der Blau-Kreuz-Aktion führt zurück ins Jahr 1984 mit dem durchsichtigen Saft, der blau macht: Alkohol. "Das Deutsche Blaue Kreuz führte bereits solche Aktionen durch", erinnert sich "Time-out"-Projektleiter Hansruedi Seiler vom Blauen Kreuz. "Wir erhielten Unterlagen und dachten, dass dies auch bei uns Gutes bewirken könnte." 1985 startete man mit einem einfachen Faltblatt. Die Teilnehmer konnten auf einem Anmeldetalon ankreuzen, auf welche Laster sie während der sechswöchigen Fastenzeit verzichten wollten. Alkohol war bereits vorgedruckt gestrichen.

"Eine Zeile liessen wir offen, hier konnten die Teilnehmer weitere, geplante Verzichte anmerken." Es folgte ein (Verzichts-)Run auf Süssigkeiten, der bis heute anhält. Mit den Jahren dazugekommen sind elektronische Medien. Längst ist der Alkohol nicht mehr vorgedruckt. "Wir sahen, dass die Leute selbst entscheiden sollten, auf was sie verzichten wollten." Schweren Herzens verzichtete das Blaue Kreuz auf dieses Kreuz.

Nur Walt Disney fehlt

Mit dem Infoblatt und dem obligaten Talon, stehen den Teilnehmern heute eine ganze Aktionsmappe sowie reichhaltiges Infomaterial zur Verfügung. Aufwändige Gestaltung unter anderem durch den Cartoonisten Max Spring oder Zeichnungen von Walter Nydegger wurden zum Markenzeichen. Jedes Jahr steht die Aktion unter einem neuen Titel, wie "Zur Freiheit bestimmt", "Gib dim Läbe Farb", "Früeligsputz" und so weiter.
Seit dem letzten Jahr heisst die Aktion Time-out. Eine Art Generationswechsel. "Wir sagen, der Verzicht ist wichtig, aber nimm gleich ein Time-out. Um in der gewonnenen Zeit etwas Neues auszuprobieren, das sich nach den sechs Wochen in den Alltag weiterziehen lässt." Denn es gehe nicht nur darum, zu schauen, ob man sechs Wochen ohne Gameboy leben kann. Seiler selbst will zum Beispiel zweimal die Woche joggen gehen. "Das kam in den letzten Wochen zu kurz und wirkte sich auf meine Zeiten bei Läufen aus."

Kein Zucker, keine Peitsche

Kontrolliert, ob die Verzichte eingehalten werden, wird nicht. "Der Talon ist ein Vertrag mit sich selbst. Durch das Zusenden an uns ist das Ganze lediglich verbindlicher." Die Aktion verblüffte von Beginn weg. Jugendliche zwischen 15 und 30 Jahren, die sich für das Blaue Kreuz etwa gleich stark interessierten wie für das Leben einer Wanderameise in Sibirien, wurden plötzlich erreicht. "Sie waren offen für eine Aktion, die sich ganz praktisch mit ihrem Leben auseinander setzte." Tiefpunkte gab es in der nunmehr 17-jährigen Time-out-Geschichte nicht. Die Teilnehmerzahl stieg kontinuierlich auf mittlerweile über 750 Personen.

What women want

Zwei Drittel der Teilnehmer- sind -innen. Seit Beginn. "Frauen sind offener für solche Aktionen", bestätigt Hansruedi Seiler. In einem Jahr wollte man bewusst die Männer abholen, das Ungleichgewicht blieb. Rund die Hälfte der Verzichtenden ist zwischen 11 und 20 Jahre alt. Bei einer der letzten Aktionen war der Jüngste unter 10, der Älteste über 80 Jahre alt, beide wollten während der Fastenzeit auf den TV verzichten. "Weil einige Pfarrer die Aktion in den Konfirmationsunterricht einbringen, beteiligen sich immer mehr Jugendliche an der Aktion."

Bei den Kindern stehen Süssigkeiten an oberster Stelle, gefolgt von SMS-Verzicht oder -Reduktion übers Surfen im Internet bis hin zu weiteren elektronischen Medien. Anfänglich verzichteten die "Verzichtkonsumenten" häufig auf Alkohol. Dieser meldet sich nach zwischenzeitlichem Rückgang auf den Time-out-Talons zurück unter der Rubrik "ich verzichte auf...". "Schuld sind die Designer-Drinks, auf die Jugend-liche vermehrt abfahren. Auf diese süssen Alk-Getränke wird entsprechend mehr verzichtet."
Gemäss Rückmeldungen würden es die meisten durchziehen. "Einige brechen aber ab, doch sagen sie oft, sie wollten es im nächsten Jahr wieder probieren." Für die meisten sei der Verzicht ohnehin hart. "Wenn man zum Beispiel den Kaffeekonsum stoppt und danach Glieder- und Kopfschmerzen kriegt, merkt man erst, dass man eigentlich von diesem Stoff abhängig ist", meint Seiler. Oder wer Süssigkeiten durch eine tägliche Frucht ersetzt, stellt plötzlich ein besseres Wohlbefinden fest. Es gebe auch Konfliktpotenzial. Geschäftsleute, die abstinieren und bei einem Firmenanlass oder privaten Essen den Wein weder nippen noch kippen, fallen auf.

Auch Time-out-Boss verzichtet

Auch Seiler selbst setzt jeweils zum Verzicht an. Im letzten Jahr zum Beispiel auf das Mit-dem-Auto-zur-Arbeit-Fahren, Schokolade sowie auf eine bestimmte Menge Kaffee. "Dadurch führte ich in den Alltag ein vernünftiges Mass Kaffee ein, will heissen, ein bis zwei Tassen Kaffee täglich." In vielen Jahren verzichtete er während der Fastenzeit auf Süssigkeiten. "Heute merke ich, dass ich damit ein vernünftiges Mass für den Rest des Jahres fand." Neben dem Joggen will der Time-out-Leiter bei der Aktion 2002 bewusster eine morgendliche Stille einlegen. "Zum Bibel lesen."
Wie Hansruedi Seiler berichten viele Teilnehmer, dass die Aktion eine positive Veränderung im Alltag gebracht hat. Egal, ob die Robinson-Übung "ohne SMS und Sugus" nun gelang oder nicht. Denn ein Nicht-Gelingen macht die Abhängigkeit ebenso deutlich und regt in mindestens gleichem Masse zum Nachdenken an.

Datum: 29.03.2002
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Christliches Zeugnis

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