«Weitergabe des Lebens wird entpersonalisiert»
Susanne Kummer, was
ist das ethische Problem daran, IVF als «Therapie» zu sehen?
Susanne Kummer: Der Ansatz der
Reproduktionsmedizin liegt in der «Heilung» der Kinderlosigkeit durch ein Kind.
Dadurch wird das Kind zum Objekt. Denn dann fragt man sich ja auch: Wem kann
das verwehrt werden? Jeder, der leidet unter Kinderlosigkeit und dem starken
Wunsch, ein Kind zu haben, hat dann auch Anspruch auf ein Kind. In dem Moment,
in dem ich mich nicht mehr an einer medizinischen Indikation orientiere,
sondern allein am Wunsch des Paares, kommen auch die Wünsche von Singles,
Witwen und homosexuellen Paaren.
In der Schweiz wird
aktuell darüber debattiert, ob lesbische Paare Zugang zur Samenspende erhalten
sollen. Gibt es in ethischer Hinsicht Unterschiede zwischen der IVF mit eigenen
oder fremden Samenzellen?
Dass jedes Kind
optimalerweise unter der Obhut beider Elternteile aufwächst, wird kaum von
jemandem angezweifelt. Und insofern ist die Situation, wo der genetische
Vater des Kindes auch der Partner oder Ehemann der genetischen Mutter ist, noch
der bessere Fall. Dieser ermöglicht es dem Kind, beide Elternteile zu kennen
und von ihnen betreut und grossgezogen zu werden. Einen klaren
Rückschritt für das Wohl des Kindes bedeutet es aber, wenn man fremde
Samenzellen erlaubt. Die Weitergabe des
Lebens wird entpersonalisiert.
Wie wirkt sich das
auf das Leben betroffener Kinder aus?
Künstliche
Befruchtung mit fremdem Samen trägt den Zug der Entpersonalisierung und auch
der Bindungslosigkeit zwischen der genetischen Herkunft und den Personen, mit
denen ein Kind aufwächst. Damit bürdet man Kindern einiges auf. Sie wachsen in
einem familiären Niemandsland auf. Wir haben es zu tun mit einer eigenartigen
Leibferne. Man tut so, als ob der Leib nur Rohstoffmaterial wäre. Dabei ist die
leibliche Herkunft Teil der Identität. Betroffene Kinder haben sich inzwischen
zu Selbsthilfeorganisationen für Fremdsamenspender-Kinder oder
Anonyme-Samenspender-Kinder zusammengeschlossen und pochen auf ihre Rechte.
Gibt es auch
Studien zu diesem Thema?
Bislang noch
wenige. Laut einer britischen Studie aus 2010 wollen 92 Prozent der betroffenen
Kinder Kenntnis von ihrem genetischen Vater haben. Sie geben als Grund für ihre
Suche an, dass ihnen etwas in ihrer Identität fehlt. Und das muss einem doch zu
denken geben. Wir leben nicht in einer körperlosen Welt. Der Leib zeigt unsere
Herkunft auf, er bezeugt, von wem ich abstamme. Von Betroffenen ist mehrfach
kritisiert worden, dass ihre Sichtweise nicht einbezogen wird in der
öffentlichen Wahrnehmung.
Wir wissen aus der Adoptionsforschung, wie wichtig es ist, dass Kinder schon früh aufgeklärt werden über die Zusammenhänge ihrer Entstehung und woher sie kommen. Dass ihre Eltern gar nicht ihre Eltern sind, damit müssen die Kinder erst einmal fertig werden. Sie erleben eine grosse Trauererfahrung, die von den Kindern bewältigt werden muss. Da haben wir viele Erfahrungen aus der Adoptionsforschung, die sträflich vernachlässigt werden. Auch wenn Kinder nicht erfahren oder auch bevor sie erfahren, woher sie stammen, ahnen sie oft, dass es da ein «Geheimnis» gibt. Und in dem Moment, wo sie erfahren, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist, fällt es ihnen oft wie Schuppen von den Augen. Und dann beginnt die Geschichte eigentlich erst.
Und wie steht es um
die physische Gesundheit von IVF-Kindern?
Einer der grössten
Vorwürfe an die beiden Ärzte Robert Edwards und Patrick Steptoe, die Entwickler
der künstlichen Befruchtung – weswegen sie zunächst auch keine staatlichen
Forschungsgelder bekommen haben – war, dass das Verfahren der IVF klinisch
nicht ausgereift ist. Wir haben es eigentlich mit einem der grössten klinischen
Humanexperimente des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts zu tun. Eine Studie
des Kardiologen Urs Scherrer vom Inselspital Bern von 2018 zeigt, dass IVF ein
Risiko darstellt für Bluthochdruck während dem Aufwachsen und vorzeitig
gealterte Blutgefässe. Daraus resultiert ein erhöhtes Risiko für
Herzkreislauferkrankungen – ähnlich wie bei Rauchern. Es wird vermutet, dass
die bei der IVF verwendeten hochkonzentrierten Nährlösungen zu epigenetischen
Veränderungen bei den so gezeugten Embryonen führen und so diese
gesundheitlichen Schädigungen hervorrufen können. Es werden also Verfahren am
Menschen angewendet, ohne vorher rigoros geprüft zu haben, welche
Langzeitfolgen sie haben können.
Susanne Kummer ist Geschäftsführerin des «Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik» (IMABE) sowie Schriftleiterin des Bioethik-Journals «Imago Hominis».
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Datum: 05.06.2020
Autor: Dominik Lusser
Quelle: Zukunft CH