Kindeswohl vernachlässigt

«Weitergabe des Lebens wird entpersonalisiert»

Der Kundenwunsch ist in der Reproduktionsmedizin das Mass aller Dinge. Betroffenen Kindern und jenen, die ihre Interessen vertreten, schenkt man kaum Gehör. Die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer übt schwere Kritik an der künstlichen Befruchtung (IVF) mit fremden Samenzellen, die von immer neuen Kundengruppen in Anspruch genommen wird.
Susanne Kummer (Bild: katholisch.at)

Susanne Kummer, was ist das ethische Problem daran, IVF als «Therapie» zu sehen?
Susanne Kummer:
Der Ansatz der Reproduktionsmedizin liegt in der «Heilung» der Kinderlosigkeit durch ein Kind. Dadurch wird das Kind zum Objekt. Denn dann fragt man sich ja auch: Wem kann das verwehrt werden? Jeder, der leidet unter Kinderlosigkeit und dem starken Wunsch, ein Kind zu haben, hat dann auch Anspruch auf ein Kind. In dem Moment, in dem ich mich nicht mehr an einer medizinischen Indikation orientiere, sondern allein am Wunsch des Paares, kommen auch die Wünsche von Singles, Witwen und homosexuellen Paaren.

In der Schweiz wird aktuell darüber debattiert, ob lesbische Paare Zugang zur Samenspende erhalten sollen. Gibt es in ethischer Hinsicht Unterschiede zwischen der IVF mit eigenen oder fremden Samenzellen?
Dass jedes Kind optimalerweise unter der Obhut beider Elternteile aufwächst, wird kaum von jemandem angezweifelt. Und insofern ist die Situation, wo der genetische Vater des Kindes auch der Partner oder Ehemann der genetischen Mutter ist, noch der bessere Fall. Dieser ermöglicht es dem Kind, beide Elternteile zu kennen und von ihnen betreut und grossgezogen zu werden. Einen klaren Rückschritt für das Wohl des Kindes bedeutet es aber, wenn man fremde Samenzellen erlaubt. Die Weitergabe des Lebens wird entpersonalisiert.

Wie wirkt sich das auf das Leben betroffener Kinder aus?
Künstliche Befruchtung mit fremdem Samen trägt den Zug der Entpersonalisierung und auch der Bindungslosigkeit zwischen der genetischen Herkunft und den Personen, mit denen ein Kind aufwächst. Damit bürdet man Kindern einiges auf. Sie wachsen in einem familiären Niemandsland auf. Wir haben es zu tun mit einer eigenartigen Leibferne. Man tut so, als ob der Leib nur Rohstoffmaterial wäre. Dabei ist die leibliche Herkunft Teil der Identität. Betroffene Kinder haben sich inzwischen zu Selbsthilfeorganisationen für Fremdsamenspender-Kinder oder Anonyme-Samenspender-Kinder zusammengeschlossen und pochen auf ihre Rechte.

Gibt es auch Studien zu diesem Thema?
Bislang noch wenige. Laut einer britischen Studie aus 2010 wollen 92 Prozent der betroffenen Kinder Kenntnis von ihrem genetischen Vater haben. Sie geben als Grund für ihre Suche an, dass ihnen etwas in ihrer Identität fehlt. Und das muss einem doch zu denken geben. Wir leben nicht in einer körperlosen Welt. Der Leib zeigt unsere Herkunft auf, er bezeugt, von wem ich abstamme. Von Betroffenen ist mehrfach kritisiert worden, dass ihre Sichtweise nicht einbezogen wird in der öffentlichen Wahrnehmung.

Wir wissen aus der Adoptionsforschung, wie wichtig es ist, dass Kinder schon früh aufgeklärt werden über die Zusammenhänge ihrer Entstehung und woher sie kommen. Dass ihre Eltern gar nicht ihre Eltern sind, damit müssen die Kinder erst einmal fertig werden. Sie erleben eine grosse Trauererfahrung, die von den Kindern bewältigt werden muss. Da haben wir viele Erfahrungen aus der Adoptionsforschung, die sträflich vernachlässigt werden. Auch wenn Kinder nicht erfahren oder auch bevor sie erfahren, woher sie stammen, ahnen sie oft, dass es da ein «Geheimnis» gibt. Und in dem Moment, wo sie erfahren, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist, fällt es ihnen oft wie Schuppen von den Augen. Und dann beginnt die Geschichte eigentlich erst.

Und wie steht es um die physische Gesundheit von IVF-Kindern?
Einer der grössten Vorwürfe an die beiden Ärzte Robert Edwards und Patrick Steptoe, die Entwickler der künstlichen Befruchtung – weswegen sie zunächst auch keine staatlichen Forschungsgelder bekommen haben – war, dass das Verfahren der IVF klinisch nicht ausgereift ist. Wir haben es eigentlich mit einem der grössten klinischen Humanexperimente des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts zu tun. Eine Studie des Kardiologen Urs Scherrer vom Inselspital Bern von 2018 zeigt, dass IVF ein Risiko darstellt für Bluthochdruck während dem Aufwachsen und vorzeitig gealterte Blutgefässe. Daraus resultiert ein erhöhtes Risiko für Herzkreislauferkrankungen – ähnlich wie bei Rauchern. Es wird vermutet, dass die bei der IVF verwendeten hochkonzentrierten Nährlösungen zu epigenetischen Veränderungen bei den so gezeugten Embryonen führen und so diese gesundheitlichen Schädigungen hervorrufen können. Es werden also Verfahren am Menschen angewendet, ohne vorher rigoros geprüft zu haben, welche Langzeitfolgen sie haben können.

Susanne Kummer ist Geschäftsführerin des «Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik» (IMABE) sowie Schriftleiterin des Bioethik-Journals «Imago Hominis».

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Datum: 05.06.2020
Autor: Dominik Lusser
Quelle: Zukunft CH

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