Viele Leben könnten gerettet werden, wenn die Menschen wüssten, dass die grossen Religionen im Prinzip Organspenden befürworten. Diese These vertrat die britische Gesundheitsorganisation „UK Transplant“ bei einer Tagung von Krankenhaus-Seelsorgern Medizinern und Religionsführern in Birmingham. Eine Organspende könne eine Tat der Nächstenliebe über den eigenen Tod hinaus sein, das Leben anderer zu erhalten, zu verlängern und spezifische Belastungen zu nehmen, sagte dazu kürzlich die Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg, Pfarrerin Susanne Kahl-Passoth, in der Katholischen Akademie Berlin. Trotzdem lehne derzeit eine Mehrheit der Bevölkerung die Organspende ab. Für viele Menschen sei es eine offene Frage, ob ein Mensch, dessen Hirntod festgestellt worden ist, dessen Herz und Kreislauf aber noch funktionieren, wirklich tot sei. Mit Sterben und Tod setzten sich die meisten nur ungern auseinander. Frau Kahl-Passoth erinnerte daran, dass beide grossen Kirchen in Deutschland 1990 in einer gemeinsamen Erklärung die Organspende grundsätzlich bejahten. Dennoch sei es dem Gewissen des einzelnen Menchen zu überlassen, ob er sich für oder gegen eine Organspende entscheide. Beide Entscheidungen könnten aus einer Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen heraus entstehen. In Deutschland stehen zurzeit 11.500 Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Täglich sterben drei Menschen, weil sich kein passender Spender gefunden hat. Wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Bei Umfragen finden drei von vier Schweizerinnen und Schweizern das Verschenken von Organen nach dem Tod eine gute Sache. Einen Spenderausweis trägt aber nur gerade eine einzige von 10 Personen auf sich. Auf eine Million Einwohner kommen in der Schweiz 13 tatsächliche Organspenden, wogegen es in anderen Ländern viel mehr sind (Spanien 34, Österreich 24 und Belgien 22 Spender). Worauf sind diese Unterschiede zurückzuführen? Als Gründe für die fehlende Spendebereitschaft in der Schweiz werden unter anderem mangelnde Information genannt. Weiter gilt der Tod als Tabu und die Organspende als doppeltes Tabu, wie Martin Leutenegger kürzlich in der Zentralsekretär Leben & Glauben feststellte. Weitere Hindernisse sind sicher der fehlende Anreiz, denn ob jemand eine Organspende erhält, wird nicht davon abhängig gemacht, ob er zuvor bereit gewesen war, selbst ein Organ zu spenden. Ins Feld geführt werden aber auch religiöse Bedenken und die Angst vor Willkür: Manche verbinden mit Organtransplantation die Vorstellung, dass Chirurgen Messer wetzend am Krankenbett bereit stehen und nur darauf warten dass jemand stirbt. Leider wissen die meisten Leute nicht, dass ein Spenderausweis gratis und ohne Formalitäten bestellt und ausgefüllt werden kann, schreibt Leutenegger. Zum Tod als Tabu schreibt eher: „Viele machen sich Gedanken über ihr Testament oder über die Frage, ob sie dereinst kremiert oder Erdbestattet werden wollen. Weshalb sich also nicht auch Gedanken machen zu Frage, was mit den eigenen Organen geschehen soll? Den eigenen Angehörigen nehme man mit einem solchen Ausweis eine grosse Verantwortung ab. Leutenegger weist auch daraufhin, dass bis heute und bis auf weiteres Vergünstigungen für Spendewillige verboten seien. Fachleute glaubten, dass die Spenderzahl gesteigert werden könnte, wenn gewisse Vorteile damit verbunden wären, zum Beispiel tiefere Krankenkassenprämien oder ein Vorrang bei der Vergabe von Organen. Zu den religiösen Bedenken schreibt die Zeitschrift, alle grossen Religionen hätten sich für die Organspende ausgesprochen, da Spende und Transplantationen in Übereinstimmung mit dem Gebot der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit stehen, zu denen sich sämtliche Weltreligionen bekennen würden. Im Jahr 2001 wurden in der Schweiz insgesamt 424 Organe transplantiert, die von 95 Spendern stammten. Demgegenüber standen 1030 Personen auf der Warteliste, von denen im Verlauf des Jahres 32 Menschen starben, weil sie innert nützlicher Frist keine Organspende erhielten. Leutenegger hält dazu fest, dass auch die Motivation des Spitalpersonals entscheidend sei, ob sich Menschen für eine Organspende entschliessen würden. Ausserdem müssten die Ärzte besser sensibilisiert sein und sofort reagieren, wenn es gelte, einen Hirntod festzustellen. Ausserdem gehe es darum, mögliche Organspender rechtzeitig zu erkennen und mit den Angehörigen das Gespräch zu suchen. Anfang September befasste sich die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit mit dem neuen beziehungsweise ersten schweizerischen Transplantationsgesetz. Voraussichtlich im Dezember wird die Vorlage im Parlament behandelt. Mit dem Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes auf 2004 sollen die heute geltenden Empfehlungen, Richtlinien und kantonalen Gesetze abgelöst werden. Quellen: Livenet / DiverseNächstenliebe über den eigenen Tod hinaus
Kirchen bejahen Organspende, Leute zögern
Schweiz: Mehrheit dafür, aber …
Angehörige von der Verantwortung entlasten
Menschen sterben, weil Spender fehlen
Transplantationsgesetz in Vorbereitung
Datum: 24.09.2003
Autor: Fritz Imhof