Neuer Höhepunkt der Gewalt gegen Christen in Pakistan
Als erster starb in Gojra der 75-jährige Vater von Minhas Hameed. Unbekannte passten ihm am Samstagmorgen ab und schossen ihm in die Stirn. Der Täter müsse über ein Gewehr mit Zielfernrohr verfügt haben, sagte Hameed. Die Opfer des Überfalls auf das christliche Quartier in Gojra, der dann am Abend erfolgte, sind alle seine Verwandte.
Vertrauen in Sicherheitskräfte kostet das Leben
Hameed schilderte der Zeitung ‚Dawn‘ den Schreckenstag. Die Christen von Gojra - 350 Haushaltungen - hätten im Verlauf des Samstags gehört, ein Mob nähere sich dem Ort, um eine angebliche Entweihung des Koran zu rächen. Man habe die Nachricht nicht ernst genommen, da solches schon früher herumgeboten worden sei. Und sollte ein Angriff erfolgen, rechneten die Christen mit den Sicherheitskräften.Kinder als Geisel, Steinhagel, Brandstiftung
Laut Hameed behaupteten die maskierten Angreifer, US-Agenten zu sein. Sie hätten einige Kinder als Geiseln genommen und dann die christliche Gemeinschaft in der Provinz Punjab zu beschimpfen begonnen; „sie verfluchten uns vor den Kindern". Dann nahmen die Angreifer Steine vom nahe gelegenen Eisenbahntrassee und warfen sie gegen die Christen. Diese warfen die Steine zurück, doch gegen die mehreren hundert Feinde waren sie machtlos. Die Polizei versuchte den Mob mit Tränengas zu vertreiben. Laut Hameed weigerte sich die Polizei jedoch, die Häuser der Christen zu schützen; dies sei Aufgabe der Rangers.Voller Angst schlossen sich sechs Angehörige von Hameed in einem Raum ein. Als die Angreifer Häuser in Brand setzten, rannten die Nachbarn um ihr Leben. Hameed war mit seinem angeschossenen Vater ins Spital gefahren. Als er zurückkehrte, brannte sein Haus. „Ich konnte nichts mehr tun, um meinen Bruder, zwei Schwägerinnen, Nichten und Neffen zu retten. Sie kamen alle in den Flammen um", sagte Hameed der Zeitung.
Proteste mit den Leichen
Es war bereits der dritte Übergriff auf Christen in der pakistanischen Punjab-Provinz binnen vier Wochen. Die Christen in Gojra forderten am Sonntag mit einen sechsstündigen Streik polizeiliche Ermittlungen. Mit den Leichen der bei dem Aufruhr Getöteten blockierten sie eine Eisenbahnstrecke. Medienberichten zufolge soll die Polizei rund 60 Menschen festgenommen haben. Paramilitärische Truppen patrouillierten in Gojra, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.Erste Massnahmen
Der Regierungschef der Provinz Shahbaz Sharif besuchte Gojra, 160 km von der Hauptstadt Lahore, am Sonntag und sprach mit den Betroffenen. Bei dem Treffen in der katholischen Kirche protestierten Christen mit schwarzen Fahnen gegen das Versagen von Behörden und Polizei. Sharif wies das Obergericht von Lahore an, eine Untersuchung durchzuführen. Angehörige der sieben Opfer wurden mit Checks entschädigt; auch für den Wiederaufbau der Häuser wurde Geld in Aussicht gestellt. Drei Polizeioffiziere seien bereits entlassen worden, sagte Sharif.Christliche Schulen drei Tage geschlossen
Nach dem Überfall von Gojra blieben christliche Schulen im Land für drei Tage geschlossen. Der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf forderte Präsident Zardari auf, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Christen in der Provinz Punjab zu schützen.ÖRK: Blasphemie-Artikel reizt Fanatiker zu Untaten
Der katholische Bildungsrat verurteilte am Montag die Angriffe vom Wochenende. Weltkirchenrats-Generalsekretär Kobia erklärte, der Tod der Christen bestätige die Sorge, dass Pakistans Regierung beim Schutz der Bürger versage. In seinem Schreiben äusserte er sich besorgt, dass die gesetzlichen Vorschriften gegen Gotteslästerung als Vorwand genutzt würden, um die christliche Minderheit zu unterdrücken. Unter den 167 Millionen Einwohnern Pakistans sind Schätzungen zufolge maximal drei Prozent Christen.Auch Exzesse gegen Muslime...
Die Gewaltbereitschaft in Teilen der muslimischen Bevölkerung bei Gerüchten über entweihte Korane führt auch zu Exzessen gegen Muslime. So stürmte ein Mob am Dienstag eine Lederfabrik in Scheikhupura bei Muridke und tötete den Besitzer Najib Zafar. Dies berichtete der Onlinedienst ‚Dawn‘. Die Polizei vermutet, dass der Entweihungs-Vorwurf nach einem Lohnstreit in die Welt gesetzt worden war....bei sozialen Spannungen
Ein Arbeitervertreter namens Qasim Mughal hatte mit Zafar über die Löhne gesprochen; dabei hatte der Fabrikbesitzer einen Kalender mit Koranversen durchgeblättert. Später verbreitete Mughal, Zafar habe die Koranverse entweiht. Ein Vorbeter im Dorf rief die Muslime auf, die Ehre des Koran zu verteidigen; Zafar habe das Heilige Buch zerrissen und Seiten in einen Abwasserkanal geworfen.Die Arbeiter demonstrierten in der Fabrik; die Dorfbewohner blockierten eine Zufahrtsstrasse. Dann stürmten die Arbeiter Zafars Büro; es kam zum Schusswechsel mit Sicherheitsleuten. Dabei wurde der Boss, wie die Autopsie ergab, mit zwei Schüssen getötet; auch ein Arbeiter kam ums Leben. Die Protestierenden plünderten die Fabrik und zündeten sie an, bevor die Polizei eintraf.
Link zum Thema:ÖRK-Protestbrief an den pakistanischen Präsidenten
Quelle: Livenet / Dawn, WCC, epd
Datum: 06.08.2009
Autor: Peter Schmid