Liebe – und zu wenig Löcher im Käse
Die Emmentaler Geschichte der unmöglichen Liebe zwischen Felix und Änneli erzählte Gotthelf in seinem späten Roman «Die Käserei in der Vehfreude» auf 400 Seiten. Nun haben sie der Zürcher Autor Charles Lewinsky und das Kreativ-Team der Thunerseespiele zum bewegenden Musical verdichtet. Änneli, als Mädchen verdingt und auch nach dem Loskauf verachtet, gewinnt das Herz des reichen Bauernsohns, der sich als künftiger Dorfkönig in der Rolle des Weiberhelds gefällt.
Gier auf schlichter Bühne
Vor grandioser Alpenkulisse – der Premiere geht ein zünftiges Gewitter voraus – läuft das Dorfdrama der Vehfreudiger auf einer schlichten, raffiniert wippenden Bretterbühne ab. Die Kräfte, die die Bauern treiben, sind elementar. Sie gieren nach dem grossen Geld; statt eines Schulhauses errichten sie eine Käserei. Mit der gepanschten Milch, die sie einliefern, zerrinnen die Aussichten auf Profit: Der Käse hat nach dem Urteil der Händler zu wenig Löcher.
Triumph der Liebe
Felix, Aufseher in der Käserei, nimmt Änneli (Sabine Schädler) vor groben Buben in Schutz. Bei einer wüsten Rauferei, Folge des Betrugs beim Käseverkauf, wird sie schwer verletzt, was ihn erschüttert. Seinem statusbewussten Vater und der dominanten Mutter hat der Playboy (Lukas Hobi) seine Zuneigung erst verschwiegen; umso trotziger macht er sie öffentlich. Doch die Vehfreude der Neiderinnen und Grobiane verwehrt Felix und dem genesenen Änneli das Glück; sie verzweifelt an wüster Verleumdung und verlässt das Dorf.
Herrgott und Aberglaube
Der Liebe über die sozialen Schranken hinweg verschafft erst der Pfarrherr (Andreas Blum) ihr Recht. Mit träfen Predigten über das Walten des «Herrgotts» hat er dem urchig-unheimlichen Treiben, zu dem auch ein schwarzmagisches Ritual gehört, Moral und Gottvertrauen entgegengehalten (der Anfangssong bekräftigt mit hohlem Halleluja «S‘het aues sini Ornig»). Fürs Happy End muss Bitzius allerdings den Talar ablegen und Gotthelf werden: Dem Pfarrer bleibt versagt, was dem Dichter gelingt.
«Bitzius gehört dazu»
Von allen Werken Gotthelfs ist die «Käserei» das weltlichste, wie Charles Lewinsky, Autor des Musicals, gegenüber Livenet betont. Der Roman schildert das hinterhältige Treiben in der Vehfreude, ohne ihm Predigten entgegenzusetzen. Doch der sonntägliche Kirchgang sei damals so selbstverständlich gewesen, dass Gotthelf ihn nicht habe beschreiben müssen, sagt Lewinsky. Er überrascht im Musical mit der Figur des Dichter-Pfarrers Bitzius/Gotthelf, der dem moralischen Absturz wehrt. «Ich habe versucht, Bitzius wieder hineinzubringen – weil er dazugehört», sagt der Autor. Die absolute Autorität in seinen Büchern sei im Grunde immer Gotthelf selbst: «Da truckt de Pfarrer dure.»
Das Premierenpublikum dankte der engagierten Crew von «Gotthelf – das Musical» mit einer Standing Ovation. Zu sehen ist es auf der Thuner Seebühne mittwochs bis samstags noch bis am 27. August 2011.
Zum Thema:
Infos und Tickets
Datum: 15.07.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch