Filmtherapie statt Predigt?
«Am intensivsten auf Ihre Seele wirken Filme im Kino. Wenn Sie nicht gerade durch einen lautstarken Chips-Esser neben sich oder einen hoch gewachsenen Zeitgenossen vor sich gestört werden, ist das Seelenbad hier am effektivsten. Lassen Sie sich ganz fallen, sehen Sie nie auf die Uhr und essen Sie möglichst nichts. Das unbewusste Knabbern schadet nicht nur Ihrer Linie, sondern hält Sie auch davon ab, ganz in die Filmsituation einzutauchen.»
Dies schrieb der deutsche Pfarrer, Karikaturist und Autor Werner Tiki Küstenmacher im März 2011 in einem Online-Newsletter seines Beratungsdienstes «Simplify your life» an seine Abonnenten.
Sehend glauben
Küstenmacher greift in seinem Newsletter eine Therapieform auf, die in den Vereinigten Staaten schon seit den 90er-Jahren unter dem Namen «Cinematherapy», also Filmtherapie oder Cinetherapie angewandt wird.
Erfunden hat sie der amerikanische Therapeut Gary Solomon, der diesen Begriff auch schützen liess. Solomon hat mehrere Bücher dazu geschrieben. In seinem ersten Werk «The Motion Picture Prescription» aus dem Jahr 1995 – es enthält 200 Filmtipps zu den verschiedensten Problemen – schwärmt er im Vorwort von den Möglichkeiten, wie Filme als therapeutisches Mittel eingesetzt werden können.
Solomon sieht die heilende Kraft von Filmen darin, dass Handlungen und Ereignisse im Film auch im realen Leben passieren können. Filme können ein Stück weit die Realität widerspiegeln und damit anschaulich Probleme vor Augen führen.
Er ist der Ansicht, dass die visualisierte Ansicht eines Problems, das einer Filmfigur widerfährt, eine viel stärkere Wirkung auf eine zuschauende Person hat, als wenn über das Problem «nur» geredet wird. «Seeing in believing» nennt Solomon dies, also «sehend glauben».
Küstenmacher schlägt in seinem Newsletter wohl in Anlehnung an den Therapeuten vor, einen «eigenen Video-Medizinschrank zusammenzustellen, mit all den Streifen, die Ihnen schon einmal in bestimmten Situationen geholfen haben».
Filme als Lebenshilfe
In eine ähnliche Richtung zielt seit kurzem auch die Schweizer Wochenzeitung «Die Weltwoche», wo die Leser Fragen an Wolfram Knorr, den langjährigen Filmkritiker der Zeitung, stellen können. Unter der Rubrik «Fragen Sie Knorr» gab er zum Beispiel im Mai eine beruhigende Antwort auf die Frage: «Ich bin grün eingestellt, liebe aber Actionfilme. Bitte helfen Sie mir!»
Filme als Lebenshilfe? Schon seit der Antike wird den Dramen eine kathartische, also reinigende Wirkung zugesprochen. Dramen findet man heutzutage auch in Filmen. Tatsächlich werden in der Therapie Filmausschnitte als Hilfsmittel eingesetzt. Denn in einem Filmausschnitt kann ein Problem schnell und direkt auf den Punkt gebracht werden. So kann eine Brücke zwischen dem distanzierten Sehen des Problems im Film und dem eigenen Problem geschaffen werden.
Aber reichen Filme allein aus, um psychische Probleme zu lösen? Die Antwort lautet: Nein. Bei schwerwiegenden Problemen braucht es eine Betreuung durch Fachpersonen. Auch Gary Solomon räumt am Schluss seines Vorworts in seinem Erstlingswerk ein, dass nicht alle Probleme mit Filmen gelöst werden können und allenfalls eine andere Therapie oder ein sonstiges Hilfsangebot nötig ist.
Göttliche Wirkungen
Hingegen können Filme positive Ansätze im Leben von Menschen verstärken. Als langjähriger Filmkritiker und -liebhaber bin ich überzeugt, dass Gott auch durch Filme die Herzen von Menschen berühren kann. Nicht ohne Grund setzen Christen Filme bei Gottesdiensten, Veranstaltungen oder im Unterricht mit Kindern ein.
Bücher mit Titeln wie «Wunder der Leinwand» (1) oder «Wenn Gott ins Kino geht» (2) liefern wertvolle Anregungen bei der Auswahl solcher Filme.
Fazit: Filme können eine positive Wirkung auf Menschen haben aber für eine heilende Wirkung braucht es mehr.
1 Sigg, Stephan. «Wunder der Leinwand. Filme mit biblischer Botschaft». ISBN: 978-3-460-30016-3
2 Schnabel, Norbert. «Wenn Gott ins Kino geht. 50 Filme, die man kennen muss». ISBN: 3-417248-09-4
Diesen Artikel hat uns das Magazin INSIST zur Verfügung gestellt. Der Autor Andy Schindler-Walch ist Filmspezialist und bespricht Filme in Zeitschriften und für Radio Life Channel.
Link zum Thema:
Cinema-Therapy (in englischer Sprache)
DVD-Filme:
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Datum: 28.08.2011
Autor: Andy Schindler-Walch
Quelle: Magazin INSIST