Dällebach Kari unterwegs zum Broadway
Der legendäre Berner Friseur ist zum Musical-Helden mutiert. Er verdankt das den Machern der «thunerSeespiele AG». Sie wollen nach sieben übernommenen bekannten Musicals nun auch eigene aus Berner Stoff kreieren, «Werke mit universellem Kern und lokalem Ambiente», wie sie schreiben.
Tanja Früh hatte die Thuner vom Potential der Story überzeugt. Ihr Vater Kurt Früh produzierte 1970 den melancholischen Dällenbach-Film. Vom Musical gibt's bereits vier Fassungen: auf standardsprachlich, zürich- und berndeutsch sowie englisch.
Coiffeur mit gebrochenem Herzen
In seinem «ersten Leben» ist Kari ein Emmentaler. 1877 in Walkringen geboren, wird er wegen seiner Hasenscharte und des Nuschelns in der Schule ausgelacht. Der hochintelligente Bub, zweitjüngstes von neun Kindern, überspringt eine Klasse.Er macht in Worb eine Coiffeur-Lehre und eröffnet am 1. Juli 1900 an der Berner Neuengasse, unweit des Waisenhausplatzes, sein eigenes Geschäft. Seine Liebe zur Fabrikantentochter Annemarie hat jedoch keine Chance, allein schon seines sozialen Status' wegen. Kari spricht fortan dem Alkohol zu. Witzig und nie um eine Antwort verlegen, unterhält der Coiffeur seine Kundschaft und wird stadtbekannt. Doch am 31. Juli 1931 springt Kari, schwer krebskrank, von der Kornhausbrücke in die Aare; laut dem Lokalblatt «ein armer, herzensguter Mann, der Unzähligen Freude bereitet» hat.
Berechnete Emotionen
Auf der grandiosen Thuner Seebühne markiert der Zytglogge-Turm den Ort des Dramas: Da lieben zwei einander und werden nicht glücklich. Annemarie, gespielt von Carin Lavey, blond, engelgleich und ihrem berechnenden Fabrikantenvater unterlegen, weckt Mitgefühl, der Karrierist Aeberli, beim Zuschauer nur Verachtung: Er macht die Schöne seinem nuschelnden Schulfreund streitig und heiratet sie.«O, bleib bei mir und geh nicht fort; mein Herz ist ja dein Heimatort», erklingt es in Karis wehmütigem Liebeslied. Für die Emotionen der Besucher stellt der Grossverteiler unter den Sponsoren präventiv Taschentücher zur Verfügung ...
Neben der Love-Story verblasst der Alltag des durch seine Hasenscharte gezeichneten Coiffeurs; doch in den unvergänglichen Witzen funkelt helvetisches Kulturgut im Kleinstformat. Hanspeter Müller-Drossart mimt den Kari - scheu und mit leisen Zwischentönen; eine bemerkenswerte Darbietung angesichts der vielen Massenszenen.
Der Alkohol als Dämon
Eine weitere Hauptperson des Musicals ist der Dämon namens Alkohol, dargestellt von einem smarten Sergio-Maurice Vaglio. Die Verführung des chancenlos Liebenden zum ersten Glas gerät zur Initiation; aus dem Milchtrinker Dällebach wird ein Saufkumpan. Später verleumdet ihn Alkohol und erweist darin seinen wahrhaft teuflischen Charakter.«Dällebach Kari» zeigt ein bühnenwirksam vergröbertes Bild des Menschen: Das Gute will ihn leiten, doch schweift der Dämon frei herum und nimmt ihn gefangen. Das Finale verklärt den Suizid des todkranken Trinkers. Vereinte Sangeskräfte rühmen den Kari als hell leuchtenden «Stärn über Bärn»: Hoch über Bern sei der Kari nun daheim ... Da predigt das Musical einen platten Jenseitsglauben, nach dem kirchenferne Europäer heute verlangen.
Der Applaus, rauschend und lang, entspricht den produzierten Emotionen. Ob Kari, vernähme er ihn, darüber glücklich wäre?
«Dällebach Kari - das Musical» wird bis 28. August jeden Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag auf der Seebühne Thun gespielt.
Infos und Karten
Datum: 05.08.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch