Kein Gedenktag mehr?

Der Tanz auf jüdischen Gräbern

Ist ein nationales Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November noch zeitgemäss? Ein AfD-Abgeordneter im hessischen Landtag schlug vor, ihn statt des «Tages der Deutschen Einheit» am 3. Oktober als allgemeinen Feier- und Gedenktag zu installieren. Etliche Abgeordnete und jüdische Medien äusserten sich empört.
Juden mit Kippa

Der 9. November ist tatsächlich nicht eindimensional auf ein Geschehen festgelegt. In Deutschland wird er wegen vieler prägender Ereignisse im Laufe der Geschichte auch als «Schicksalstag» bezeichnet. Hervorstechend und prägend sind allerdings nicht der gescheiterte Hitler-Putsch 1923 in München oder der Beginn der sogenannten 68er-Bewegung durch den Slogan «Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren». Der Tag wird vielmehr vom Gedenken an die Novemberpogrome 1938 bestimmt. Es war die organisierte Zerstörung von über 1'400 Synagogen in Deutschland und die Verwüstung Tausender Geschäfte und Wohnungen jüdischer Mitbürger. Dabei wurden um die 1'500 Menschen ermordet und kurz darauf 30'000 in Konzentrationslager deportiert.

Keine Symbolkraft?

Im hessischen Landtag kam es bei einer Debatte zum 3. Oktober, dem «Tag der Deutschen Einheit», zum Streit um dieses Gedenken. Der promovierte Historiker und parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Frank Grobe, bezeichnete den Feiertag laut FAZ als «krampfhaft und künstlich», ohne «Symbolkraft». Er forderte stattdessen einen neuen «Feier- und Gedenktag» am 9. November. Die Vielzahl der geschichtlichen Ereignisse an diesem Tag zeigten positiv «die Spannbreite der 'Deutschen Geschichte' […] und einen prägenden Einfluss auf die Identitätsbildung der heutigen Angehörigen unseres Volkes».

Tanz auf den Gräbern

Nach etlichen Abgeordneten, die bemängelten, dass Grobe «Ereignisse in eins [setze], die nicht vergleichbar sind» (Gernot Grumbach laut FAZ), meldete sich auch Meron Mendel in der Jüdischen Allgemeinen zu Wort. Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt kritisierte die unpassende Aneinanderreihung verschiedener «Schmankerln» (so Grobe), «die sich ebenfalls am 9. November zutrugen: etwa das erste NSDAP-Verbot, aber auch der Geburtstag von Björn Engholm oder die Gründung der Caritas». Für ihn ist die Stossrichtung deutlich: Ein allgemeiner Feier- und Gedenktag, an dem jeder seine eigenen Akzente setzt, hebele das Gedenken an den Beginn der systematischen Vernichtung jüdischen Lebens aus. Pointiert schliesst Mendel sein Plädoyer: «Kein Geschichtsrevisionismus kann diesen Fakt aus der Welt schaffen: Man wird, was immer man am 9. November feiert, immer auch auf den Gräbern der ermordeten Juden tanzen. Ein Tanz, zu dem die AfD nach wie vor die Einladungskarten schreibt.»
 

Datum: 09.11.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Meron Mendel (Jüdische Allgemeine)

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