Spanien

Sonne und Schatten im Urlaubsparadies

Unaufhaltsam modernisiert sich Spanien und verbetoniert seine Traumküsten. Hart wie Beton sind auch die Gegensätze in Staat und Gesellschaft. Sie haben viel mit Religion zu tun. Dabei sorgen sich moderne Spanier mehr um ihre irdische Wohnung als um die ewige Bleibe. Ein Grund: In Spanien durfte es Reformation nicht geben.
Ersatzreligion Fussball.
Freunde und Freizeit: Strassenszene in der Hauptstadt Madrid.
Unbewältigte Vergangenheit: Im Zentrum Madrids.
Unverbaubar: die Westküste Mallorcas.

Die katholische Kirche verbindet die Spanier nicht, sondern polarisiert – zuletzt mit der Massenseligsprechung von 498 Personen am 28. Oktober. Die Geistlichen und Laien waren im Zuge des grausamen Bürgerkriegs und der Kämpfe der 1930er Jahre durch die Feinde des Hitlerfreundes Franco zu Tode gekommen. Die Zeremonie in Rom – in Anwesenheit aller spanischen Bischöfe – machte deutlich, dass das Land in seiner Erinnerung gespalten bleibt. Die Kirche versteift sich, indem sie Opfer in den Himmel hinaufhebt, anstatt sie auch als Akteure zu sehen, die ins schuldhafte Geschehen verstrickt waren.

Mauren und Ritter

Spaniens Eigenheiten haben mit seiner Lage am Rand Europas und der schmerzhaften Geschichte zu tun. Der Grossteil der Halbinsel geriet nach 711 unter islamische Herrschaft. Der Jahrhunderte dauernde Kampf gegen die Ungläubigen formte das Ideal des unnachgiebigen, stolzen Kämpfers für den rechten Glauben. Die ‚katholischen Könige’ Isabella und Fernando triumphierten 1492 mit der Eroberung Granadas endgültig über die Mauren, doch vertrieben sie im gleichen Jahr auch die Juden, die dem Land Unschätzbares gegeben hatten. Es durfte zwischen Algeciras und Bilbao nur noch katholische Christen geben.

Verhärtung bis zur Explosion

Alle Impulse der westeuropäischen Reformation des 16. Jahrhunderts wurden abgewürgt; die Habsburger Könige verschrieben sich der Gegenreformation. 1621 zählte Spanien 9000 Klöster. Die Inquisition brachte viele evangelische Christen auf den Scheiterhaufen; andere flohen. Die Freiheit des Einzelnen, welcher die Reformation mit ihrem Verständnis des Glaubens und der Förderung des Bibellesens den Weg bereitete, konnte sich in Spanien nicht Bahn brechen.

Die beherrschende Stellung der katholischen Staatskirche in allen Bereichen des Lebens provozierte über Generationen Bitterkeit, Rebellion und blanken Atheismus; man sehe sich die Filme von Luis Buñuel an. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, dass Konflikte – von den Napoleonischen Kriegen über den Bürgerkrieg 1936-39 bis zum Baskenkonflikt – blutig ausgetragen werden.

Endlich Freiheit

Mit dem Ableben des Diktators Francisco Franco 1976 begann eine neue Zeit. Die von vielen ersehnte (von anderen dämonisierte) Freiheit hielt in Spanien Einzug, mit ihr auch moralische Enthemmung. Das Pendel, lange zurückgehalten, schlug weit aus. 1986 trat das Land der EU bei. Seither boomt der Tourismus, denn Spanien bietet „Everything under the Sun“ – so der eingängige Werbeslogan. Minderheiten eroberten sich und erhielten Freiräume. Die evangelischen Gemeinden, die über Generationen im Verborgenen existierten und der Intoleranz ausgesetzt waren, arbeiten heute ohne staatliche Behinderungen.

Polarisierung im Aufschwung

Der Aufschwung, der am überbordenden Bauboom abzulesen ist, kann indes nicht über die Klüfte in der Gesellschaft hinwegtäuschen. Vom Wirtschaftswachstum profitieren einzelne sehr viel, die meisten wenig. Die Marokkaner, welche ins Land strömen, um die harte Arbeit zu verrichten, integrieren sich nicht.

Die Gespaltenheit zeigt sich im unversöhnlichen Gegensatz der politischen Parteien. Dass die ETA nach den Anschlägen des 11. März 2004 fälschlicherweise der Täterschaft bezichtigt wurde, brach der konservativen Regierung das Genick; sie wurde abgewählt. Ein grelles Licht auf den Zustand Spaniens wirft auch der hochfahrende (nach aller zentralistischen Anmassung begreifliche) Nationalismus der prosperierenden Katalanen.

‚…ist mir egal’

Um der Bevormundung im Dorf zu entkommen, sind Millionen von jungen Spaniern und Spanierinnen in die Städte gezogen. Die Familie ist ihnen heilig, aber sie wollen ihr Leben frei von moralischen Vorgaben aus Rom gestalten. Der Einfluss der katholischen Kirche auf Ethik und Moral scheint heute insgesamt gering. In der Hauptstadt Madrid praktizieren vielleicht noch ein Zehntel den althergebrachten Glauben.

Die amtierende Regierung Zapatero hat unbesehen heftiger kirchlicher Proteste (auch der Protestanten) Homosexuellen die Rechte von Ehepaaren gewährt. Sie dürfen sogar Kinder adoptieren. Kein Aufschrei ging durchs Land. Wie ein ausländischer Beobachter fomuliert: „Die Spanier hat das nicht interessiert. Sie sagen: ‚Wenn die zusammenleben wollen, was kümmert mich das – ich muss meine Hypothek abzahlen'.“

Lesen Sie am Samstag mehr über die evangelischen Gemeinden in Spanien.

Datum: 01.11.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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