Tauwetter zwischen al-Sisi und evangelischen Christen
Das Oberhaupt der Koptischen Orthodoxen Kirche, Patriarch Tawadros II., zeigt sich bei allen erdenklichen Anlässen mit dem Staatschef. Gewisses Tauwetter für die Beziehungen von Christen zum Staat ist bestimmt auszumachen: In die zweite Parlamentskammer, den Senat, wurden unlängst 18 orthodoxe Koptinnen und Kopten gewählt. Und auch der jahrzehntelang stark eingeschränkte Bau neuer orthodoxer Kirchen ist nun generell zugelassen.
Staat schenkt evangelischen Kopten neue Kirche
Ägyptens evangelische Christen sahen sich aber bisher von Sisi ins Abseits gestellt. Das verhielt sich auch unter seinen Machtvorgängern Nasser und Mubarak so. Nur Präsident Anwar as-Sadat machte 1977 den evangelischen Kopten Butros Butros-Ghali zu Staatsminister für Aussenpolitik, um ihn für das Versöhnungswerk mit Israel an seiner Seite zu wissen. Ghali blieb bis 1991 im Amt, als er zum Generalsekretär der Vereinigten Nationen gewählt wurde.
Nun hat aber die Sisi-Regierung den evangelischen Kopten im oberägyptischen Luxor nicht nur Errichtug einer neuen Kirche genehmigt, sondern ihnen diese auf Staatskosten erbaut und schlüsselfertig übergeben. Am letzten Septembersonntag konnte dort der erste Gottesdienst gefeiert werden. Dieses erstmalige Entgegenkommen ist nicht nur den Behörden, sondern vor allem dem energischen Auftreten von Pfarrer Mahrous Kamal und dem Gemeindevorstand zu verdanken. Sie hatten in dieser Sache mit früheren ägyptischen Regimen schon schlechte Erfahrungen gesammelt. Denn die Auseinandersetzung um die neue Kirche geht viele Jahre zurück...
Missionare bauten auf archäologischem Boden
Seit 2005 schon ist es für das Fremdenverkehrsministerium in Kairo beschlossene Sache, die Sehenswürdigkeiten der altägyptischen Tempel von Luxor und Karnak durch eine 2,5 km lange Touristenstrasse zu verbinden. Dafür sollte die antike «Sphinx-Allee» von Archäologen ausgegraben und wieder nachgebaut werden. Die moderne Tariq al-Kebasch/Strasse der Widder an ihrer Stelle heisst so, weil die letzten erhaltenen Sphinxen von den Einheimischen für Schafböcke gehalten wurden. Genau dort hatten presbyterianische Missionare 1907 eine evangelische Kirche erbaut. Sie sollte nun dem ehrgeizigen Bauprojekt Platz machen.
6.-Oktober-Brücke verdrängte anglikanische Kathedrale
Nun zeigte aber die ägyptische Obrigkeit seit Einsetzen der Re-Islamisierung in den 1970er Jahren bestrebt, christliche Kirchen und Institutionen unter dem Vorwand der Errichtung neuer Verkehrswege «wegzubauen». Flagrantestes Beispiel dafür war die anglikanische All-Saints-Cathedral am Kairoer Nilufer, über die hinweg bewusst die Trasse der Gedenkbrücke an den zunächst für die Ägypter erfolgreichen Kriegsbeginn mit Israel am 6. Oktober 1973 gezogen wurden. Sofort begann man mit dem Abbrechen des Gotteshauses. Erst nach einem weltweiten Aufschrei wurde als Ersatz ein abgelegener Bauplatz auf der Nilinsel Zamalek zur Verfügung gestellt.
Alles weitere blieb den Anglikanern überlassen. Erst dank Spenden aus England, den USA und Australien konnten sie in Kairo eine neue, viel kleinere Bischofskirche der Epikopalkirche von Jerusalem und dem Nahen Osten errichten. Diese Vorgangsweise machte in ganz Ägypten zur Verdrängung evangelischer und evangelikaler Präsenz Schule. Sie ist mit rund einer halben Million Christen der presbyterianischen und evangelikalen (Free Methodists) Kopten sowie der Assemblies of God und anderer Pfingstkirchen so stark wie sonst nirgendwo in der islamischen Welt. Auch in Luxor war das den Islamisten der Stadtverwaltung ein Dorn im Auge.
Bulldozer rollten gegen den Pfarrcompound
Im Frühjahr 2010 musste Pfarrer Mahrous Kamal mitansehen, wie plötzlich Häuser in der Nähe seiner Kirche abgerissen wurden. Bald flatterte ihm auch eine Verfügung auf den Schreibtisch, die baldige Demolierung aller Baulichkeiten auf den 2400 mq Gemeindeareal – Kirche, Schule und diakonische Einrichtungen – ankündigte. Der Umsturz von 2011 und die folgende revolutionäre Unrast des «Arabischen Frühlings» verhinderten diese Massnahme. Als das Regime von Muslimbrüder-Präsident Muhammad Mursi wieder Bulldozer gegen die Kirche von Luxor schickte, war seine Herrschaft zu kurzfristig, um dieses Zerstörungswerk zu vollenden.
Kirchtürme über dem Bahnhof von Luxor
Mit der Ära von Präsident Sisi kehrte wieder Gesprächsbereitschaft ein, die Verhandlungen zogen sich aber in die Länge. Erst 2018 konnte die evangelische Gemeinde von Luxor den Staat verpflichten, ihr ein neues Pfarrzentrum mit Kirche, Schule usw. zu erbauen, ehe sie ihre alte Bleibe demolieren lasse.
Jetzt wenigstens erfüllte die neue ägyptische Führung binnen zwei Jahren ihre Zusage. Über den Bahnhof von Luxor ragen die Spitztürme des neuen Gotteshauses triumphierend in den fast immer blauen Himmel Ägyptens. Im Gemeindesaal sind auch jene Evangelikalen zu ihren Versammlungen willkommen, die in Luxor noch über keine eigene Bleibe verfügen: So die Church of God, die Church of Grace, die Church of God Prophecy und Penticostal Holiness.
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Datum: 02.10.2020
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet