«Phase der Gerechtigkeit»

Schiiten helfen irakischen Christen bei Eigentumsrückgabe

Die Bewegung des radikalen Schiiten-Predigers Muktada as-Sadr im Irak hat ihren Einsatz für die Rückgabe von Immobilien an enteignete Christen mitgeteilt. Ein Sprecher der auch im Parlament vertretenen «Mahdi-Armee» erklärte, die «Phase der Gerechtigkeit» habe begonnen.
Christen in Ninive, Irak

Der Geistliche und Parteiführer as-Sadr hat eine Meldestelle für Enteignungen eingerichtet. Dabei geht es um Christen im Irak, die vor allem seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 und unter den Eroberungen des «Islamischen Staates» (IS) durch Flucht und Vertreibung ihre Wohnungen und ihr Land verloren haben. 

Scharia garantiert Christen Privateigentum

Diese Initiative steht durchaus auf dem Boden des herkömmlichen islamischen Rechtes. Die Scharia garantiert Christen, die sich unter Muslimherrschaft befinden, ihr Privateigentum. In der Gegenwart wird dieses Privileg allerdings von den Salafisten bestritten. In den irakischen Grossstädten Bagdad und Basra, aber auch auf dem Land wurden jedenfalls in den Wirren des Jahrzehnts nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 zahlreiche Christen von den muslimischen Nachbarn aus ihren Wohnungen, Häusern, Werkstätten und Geschäften vertrieben. Viele verloren dabei ihr Leben.

Enteignungen und Korruption

Im Machtbereich der Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS), zu dem sogar die zweitgrösste irakische Stadt, das bis dahin christlich geprägte Mossul, gehörte, wurden zwischen 2014 und 2017 der Grund- und Hausbesitz der meist geflohenen Christen, aber auch kirchliche Baulichkeiten zerstört und enteignet. Fast ebenso wie islamischer Fanatismus machte und macht den christlichen Irakern die in ihrer Heimat tief verwurzelte Korruption zu schaffen. Auch in den von der Bagdader Regierung kontrollierten Gebieten wurden mindestens 70 Prozent der Grundstücke von Christen illegal beschlagnahmt.

Dies erfolgte und erfolgt durch organisierte, kriminelle Gruppen, zu denen aber auch sehr einflussreiche Politiker gehören. Oft sind jetzt dieselben Behörden, die über christliche Rückforderungen zu entscheiden haben, auch jene, die hinter den Kulissen den Raub an den Christen ermöglicht haben. Sie zeigen den im Irak alteingesessenen Kirchen taube Ohren: Assyrern und Chaldäern, Syrisch- und Griechisch-Orthodoxen. Hauptkontrahent des Staates dabei ist Kardinal-Patriarch Raphael I. Sako von der chaldäisch-katholischen, mit Rom «unierten» Kirche.

Holpriger Weg für evangelische Kirchen

Kleineren und neueren Gemeinschaften wie vor allem Freikirchen steht dieser ohnedies holprige Weg jedoch kaum offen. Zu den 14 im neuen Irak staatlich anerkannten christlichen Konfessionen gehören nur zwei «protestantische». Die meisten Evangelikalen, Baptisten und Pfingstgemeinden haben somit auch keine Rechtsmittel, um für Mitglieder deren entwendeten Besitz einzuklagen. Diese können das nur persönlich versuchen. Dafür ist die neu geschaffene schiitische Institution genau die richtige Anlaufstelle. 

Christen beim Erben benachteiligt

Ganz so uneigennützig scheint die Initiative von Imam Muktada as-Sadr aber auch nicht zu sein: Dem Besitzrecht von Christen sind nämlich in der Scharia bedrohliche Grenzen gesetzt. Sie verhindern die freie Weitergabe an die nächsten Erben, sofern diese auch christlich sind. Entfernte muslimische Verwandte oder Moscheestiftungen werden ihnen vorgezogen, selbst dann, wenn es testamentarisch ganz anders verfügt ist. Sogar in der Türkei, die schon 1926 das Zivilrecht der Schweiz übernommen hat, gibt es noch Relikte davon. Erst kürzlich durfte in Istanbul die türkische, aber christliche Frau eines Schweizers nur drei Viertel vom Elternhaus von der Mutter erben: 25 Prozent gingen an die nächstgelegene Moschee!

Inzwischen gelangten immerhin dank der Initiative von Imam Sadr schon 38 christliche Liegenschaften an ihre Eigentümer oder Erben zurück. Seine Absichtserklärung, «den Christen-Brüdern Gerechtigkeit zu erweisen», ist damit glaubwürdiger geworden. Auch bewährte sich die parlamentarische Zusammenarbeit mit christlichen Abgeordneten seit den Neuwahlen von 2018. Muktada as-Sadr hatte sich schon in den letzten zwei Jahrzehnten als Anwalt der entrechteten Muslime im Irak einen guten Namen gemacht. Jetzt kann er das auch zugunsten der Christen unter Beweis stellen.

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Datum: 12.02.2021
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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