Der katholische Bischof der vor zehn Jahren umkämpften Region, Franjo Komarica, verschwieg nicht, dass die meisten Serben die Rückkehr der vertriebenen Kroaten ablehnen. Bisher hat es nur ein Bruchteil gewagt, sich wieder anzusiedeln (2‘000 Kroaten in der Stadt gegenüber 70‘000 vor der Vertreibung). Serbische Plakate an den Hauswänden forderten den Papst auf wegzubleiben. Johannes Paul II. appellierte an die internationale Staatengemeinschaft, das Land weiterhin zu unterstützen, damit es „bald eine Situation der völligen Sicherheit in Gerechtigkeit und Eintracht erreicht“. Die Bosnier rief der Papst auf, trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten nicht zu resignieren. Der Neuanfang sei nicht einfach, er erfordere Opfer, Beständigkeit und Geduld. Um der Gesellschaft Vertrauen zurückzugeben, sei eine Reinigung des Gedächtnisses und gegenseitiges Verzeihen nötig. Wenn dies geschehe, werde das Gedenken an die unschuldigen Opfer nicht umsonst sein, vielmehr würden die unschuldig Getöteten die Lebenden ermutigen, neue Beziehungen der Brüderlichkeit und des Verständnisses einzugehen, sagte der Papst laut der Nachrichtenagentur KIPA. Das katholische Oberhaupt ging auf die bedrückende Geschichte des Hasses ein. In einer offenbar nicht erwarteten Geste bat er um Vergebung für Verbrechen von Katholiken auf dem Balkan. „In dieser Stadt, die im Laufe der Geschichte so viel Leid und Blutvergiessen erlebte, bitte ich den allmächtigen Gott um Gnade für die Sünden gegen den Menschen, seine Würde und Freiheit, die auch von Söhnen der katholischen Kirche begangen wurden. Gott möge allen das Verlangen nach gegenseitiger Versöhnung schenken“, sagte der Papst, ohne die römische Kirche als Institution mit einzubeziehen (in ähnlicher Form hatte er vor dem Millenniumsjahr 2000 katholische Schuld gegenüber den Juden zugegeben). Johannes Paul II. nannte keine Einzelheiten, doch in Nord-Bosnien ist jedermann klar, dass in erster Linie die Untaten des Franziskanerpaters Miroslav Filipovic-Majstorovic gemeint waren. Der Papst feierte eine Messe neben den Ruinen des Franziskanerklosters Petricevac, in dem dieser in der Zwischenkriegszeit gelebt hatte. Als die deutsche Wehrmacht Bosnien der Willkür der faschistischen kroatischen Ustascha-Bewegung überliess, wurde Filipovic-Majstorovic Kommandant des Konzentrationslagers Jasenovac. Der Kroate war wegen seiner Grausamkeit als "Bruder Satan" bekannt. Er soll 1942 bei einem Massaker an über 2'000 Serben im Kloster eigenhändig ein serbisches Kind getötet und seine Mitstreiter aufgerufen haben, dasselbe zu tun. Der Vatikan versetzte ihn daraufhin in den Laienstand. Nach dem Krieg wurde der Ex-Franziskaner verurteilt und hingerichtet; das Kloster wurde von Serben im letzten Krieg zerstört. Die Untaten der kroatischen Nationalisten zur Hitlerzeit kamen nicht aus heiterem Himmel. Den ersten jugoslawischen Staat nach 1918 hatten die Serben dominiert; die Extremisten der Ustascha übten blutig Revanche. Im wiederhergestellten Jugoslawien versuchte der gebürtige Kroate Tito unter dem Banner des gottlosen roten Internationalismus das Gewicht der Serben, des grössten Volks, zu mindern; dabei wurde die Vergangenheit – in Bosnien kostete der Partisanenkrieg während der Nazizeit besonders viele Opfer – nicht aufgearbeitet. Vor diesem Hintergrund gewannen nach Titos Tod 1980 in Serbien nationalistische Stimmen die Oberhand. Milosevic beutete diese von Belgrader Intellektuellen geschürten Emotionen politisch aus und vereinnahmte auch die orthodoxe Kirche, um auf den Ruinen des Tito-Staates ein Grossserbien zu errichten. Dieses sollte grosse Teile Bosniens einschliessen, namentlich die serbischen Siedlungsgebiete. Heute gilt die Stadt Banja Luka als Symbol der „ethnischen Säuberungen“ im Bürgerkrieg 1992-95. In Kämpfen, die von beiden Seiten mit religiös gefärbten Parolen geführt wurden (es gab orthodoxe Priester, die Waffen segneten), vertrieben serbische Soldaten Zehntausende von katholischen Kroaten sowie von Muslimen. Sie zerstörten damals über 230 katholische Kirchen und über 600 Moscheen. Banja Luka ist die wichtigste Stadt der serbischen ‚Entität‘ (Staatsteil) Bosnien-Herzegowinas. Wenn der Papst nun in eben diese Stadt kam (beschützt von einigen tausend NATO-Soldaten) und – unerhört – zur Versöhnung aufrief, dürften doch bei den Serben uralte Abneigungen gegen Katholisierungsversuche aufgekommen sein. Johannes Paul II. tat zwar viel, um alte Vorurteile zu überwinden; so richtete er einen „brüderlichen Gruss“ an das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche und an ihre Bischöfe. Doch die Kirchengeschichte ist damit nicht weggewischt. Die feindselige Rivalität zwischen Orthodoxen und Katholiken geht auf das frühe Mittelalter zurück – auf eine Zeit, da es die slawischen Völker noch gar nicht gab: Schon bevor die Stämme die Balkanhalbinsel besiedelt hatten, stritten sich der Bischof von Rom und der Patriarch von Konstantinopel um die kirchliche Autorität über sie. Die Christianisierung der (von Ungarn beherrschten) Kroaten nach römischen Vorgaben war seit langem abgeschlossen, als die Serben sich im Jahr 1218 endgültig für das orthodoxe Bekenntnis entschieden und päpstlichen Herrschaftsansprüchen eine Abfuhr erteilten. Was im Bergland Bosniens religiös gelten sollte, blieb dagegen unbestimmt. Im Hochmittelalter entwickelte sich eine eigenständige ‚Bosnische Kirche‘, die von katholischen wie orthodoxen Mächten wegen ihrer Nähe zu Bogumilen und Katharern als Sekte verfolgt wurde. Dass nach der Besetzung durch die Türken ein Teil der Bosnier zum Islam übertrat, machte die Sache noch komplizierter. Unter osmanischer und Habsburger Herrschaft wurden die Religionsgemeinschaften ungleich behandelt. Noch heute können viele Serben und Kroaten nicht akzeptieren, dass Tito der religiös bestimmten Volksgruppe (muslimische Bosnier) den Rang einer eigenen staatstragenden Nationalität gab. Doch wussten sich die Bosnier der verschiedenen Religionsgemeinschaften miteinander zu arrangieren, wenn sie nicht von aussen gegeneinander aufgestachelt wurden. Die vielfach gerühmte interreligiöse Toleranz hatte allerdings auch in Friedenszeiten Grenzen: Evangelische Gemeinden etwa hatten neben Orthodoxen, Katholiken, Juden und Muslimen bis in die jüngste Zeit kaum eine Chance. Am Sonntag sprach Johannes Paul II. den in Banja Luka geborenen katholischen Laien Ivan Merz (1896-1928) selig. Merz hatte sich in der Laienbewegung "Katholische Aktion" engagiert; er wurde vom Kirchenoberhaupt als Vorbild für die heutige katholische Jugend in Bosnien-Herzegowina hingestellt. Die durch Krieg und Vertreibung stark dezimierte Minderheit der Katholiken braucht tatsächlich Vorbilder; der Papst rief sie auf, nicht auszuwandern, sondern darauf hinzuwirken, dass das Leben auf allen Ebenen neu anfange. Damit Bosnien-Herzegowina wieder – so der greise Mann aus Rom – zu einem Land der Begegnung der Kulturen und des Friedens werde.Appell an die Staatengemeinschaft
Bitte um Gottes Gnade – Wunsch nach gegenseitiger Versöhnung
Fanatische Nationalisten im kroatischen Klerus
Ustascha-Greuel zur Hitlerzeit
Gegenseitiges Verzeihen nötig
Rom gegen Konstantinopel
Bosnien: schon immer im Schatten des serbisch-kroatischen Gegensatzes
Emigration oder Neuanfang?
Datum: 24.06.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch