Ein besonderer Ort

«Wir begegnen Gott in der Wüste»

In der Stille der Wüste kann man vieles Aufarbeiten
Seit 25 Jahren hat der Priester Dr. Michael Gmelch ein besonderes Verhältnis zur Wüste, wo er in der Abgeschiedenheit die Gegenwart Gottes erlebte. Deshalb bietet er heute Reisen in die Wüste an – für Menschen auf der Suche nach Klarheit.

Vor 25 Jahren war ich mit Priester-Kollegen einen Monat in Israel. Den Abschluss bildete eine Exerzitienwoche in der Wüste Sinai. Es war das Versinken in eine andere Welt, als ich zum ersten Mal in die Wüste kam. Eine spirituell intensive Zeit. Nachts im Schlafsack die Sterne so klar über uns. Die Gastfreundschaft der Beduinen. Die grosse Sonnenglut am Tag und die Kälte der Nacht. Zum ersten Mal in das knusprige Wüstenbrot beissen und auf einem Dromedar sitzen. Und am Abend um das Lagerfeuer die Erfahrungen teilen. Da wurde für manche von uns ein Kindheitstraum wahr. Die bibel-theologischen Vorlesungen an der Uni über das Volk Israel in der Wüste wurden lebendig. Auch das Ergehen von Jesus, der 40 Tage in der Wüste verbrachte.

Der Lernort

Ich wollte diese Erfahrungen für andere erlebbar machen. Deshalb startete ich vor 13 Jahren das spirituelle Projekt «Wüstensand und Seele» in der tunesischen Sahara. Es hat mich fasziniert und richtig angefixt. Und ich habe eine Leidenschaft entdeckt, Gruppen dorthin zu führen. Aus den jahrelangen Erfahrungen ist ein Buch entstanden: «Was eine Kirche in der Krise neu von Jesus lernen muss.»

Denn die Wüste ist ein besonderer theologischer Lernort, den viele biblische Gestalten oder auch die Wüstenväter und Wüstenmütter des 4. Jahrhunderts aufgesucht haben. Ohne die Wüstenerfahrungen ist die jüdisch-christliche Tradition nicht denkbar.

Die Wüste lehrt mich im Blick auf herkömmliche Frömmigkeitspraktiken eine grössere Einfachheit. Und sie lehrt auch die Herausforderung, Gott zu suchen jenseits der Kirchenmauern. In der Wüste können Gottsuchende ihren Platz finden.

Claude Rault, der emeritierte katholische Bischof der Sahara, bezeugt dies in seinem Buch «Die Wüste ist meine Kathedrale».

Die Wüstenwanderer

Reise durch die Wüste

Die Wüstenwanderer geniessen die Stille. Es sind neugierige Menschen, offen, naturverbunden und im weitesten Sinne religiös ansprechbar. Manche mit, andere ohne Pilgererfahrung. Alle sind willkommen – ungeachtet von Kirchenzugehörigkeit und konfessioneller Beheimatung.

Sie tauchen ein in die Landschaft der sich stets verändernden Dünen. Sie kommen ins Staunen. Sie erleben die Unendlichkeit und merken, wie wenig sie wirklich brauchen. Sie sind dankbar für die Kamele, die alles mitschleppen. Für die Beduinen, die uns führen und sich um uns kümmern. Und für das eigene Leben.

In der Wüste gewinnen die Dinge wieder ihr richtiges Mass. Es ist körperlich anstrengend und manche kommen an ihre Grenzen. Auffallend ist, dass die Gesichter am Ende der Tour transparenter, authentischer und klarer werden. Manche Wüstenwanderer gehen dreimal, viermal, fünfmal mit, weil ihnen in der Wüste etwas Wichtiges deutlich geworden ist. Oder weil sie irgendetwas dort ein für alle Mal zurücklassen wollen.

Ich sage: «Die Wüste hat ein Geheimnis. Sie gibt dir nicht, was du suchst oder dir wünschst, sondern was du brauchst. Und das zu ihrer Zeit.» Viele haben mir dies bestätigt.

Meine Wüstentexte

Ich liebe die Episode vom Propheten Elija (1. Buch der Könige, Kapitel 19), der dort ziemlich depressiv, schwach und leidend aufschlägt. Unter einem Ginsterstrauch will er sterben. Unerwartet gestärkt wandert er 40 Tage und Nächte zum Gottesberg Horeb. Er sucht Schutz in einer Höhle und darf eine überraschende und überwältigende Gotteserfahrung in einem «sich verschwebenden Schweigen» machen.

Unterwegs greife ich in diesem Zusammenhang die Wüstenzeit Jesu auf: Sie war für ihn eine Lebensschule, in der er seine wahre Identität fand (zum Beispiel in Matthäus, Kapitel 4). Dort bereitete er sich auf seine öffentliche Tätigkeit vor. Die Versuchungen am Ende zeigen ihn als einen Gottesmann, der nicht korrumpierbar ist – weder durch Macht noch durch Prestige oder materielle Güter. So konnte er aufrecht, stimmig mit sich selbst und seinem Gott seinen Weg gehen.

Gottesbegegnungen

Was ist Gott? Der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux antwortet auf die Frage, er sei Länge, Weite, Höhe und Tiefe. Und die Natur könne uns lehren, was uns kein Lehrmeister zu hören gebe. Nachts im Schlafsack erschliesst sie uns, was der Beter in Psalm 8 ausdrückt: «Ich bestaune deine Himmel, das Werk deiner Hände, Mond und Sterne, die du befestigst. Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst?»

Tagsüber, wenn wir unsere Fussspuren im Wüstensand betrachten, berührt uns ein Gebet des modernen Wüstenheiligen Charles de Foucauld: «Herr, du kennst meinen Weg. Den, der hinter mir liegt und den, der vor mir liegt. Du begleitest mich in jedem Augenblick.» An solche Aussagen und Erfahrungen können wir uns dranhängen.

Insofern ist die Wüste mit ihrer Schönheit, Weite und Unendlichkeit tatsächlich ein Raum, der uns Erfahrungen von Transzendenz ermöglichen kann und eine Ahnung von Gott dem Schöpfer.

Die Reisen

Ankunft in Houmt Souk, dem Hauptort der Insel Djerba. Übernachtung in einer alten Karawanserei, die zu einem kleinen Hotel umgebaut wurde. Am nächsten Tag Fahrt durch das Dahar-Gebirge an den Rand der Wüste, wo die Beduinen mit dem kompletten Equipment für die nächsten Tage auf uns warten.

Vormittags gehen wir im Schweigen. Die Mithilfe beim Be- und Entladen der Kamele gehört dazu, beim Sammeln für Feuerholz und bei der Vorbereitung des Essens.

Jeden Morgen vor dem Aufbruch: ein geistlicher Impuls. Jeden Abend entsteht ein Austausch über die persönlichen Erlebnisse und Erkenntnisse. Ich lade ein zum persönlichen Gespräch mit mir als Leiter und Begleiter. Denn gerade in der Stille und im ruhigen Gehen in der Hitze des Tages kann vieles «hochkommen» und ins Bewusstsein drängen. Am letzten Abend ein einfacher Gottesdienst. Alles in allem: ein dichtes spirituelles Gemeinschaftserlebnis mit grosser Nachhaltigkeit.

Die einheimische Bevölkerung

Im Lauf der Jahre ist ein grosses Vertrauensverhältnis und eine Freundschaft zu den Beduinen entstanden. Eine Tour mit unserer Gruppe ist ein wichtiger Beitrag zu ihrem Einkommen.

Hinzu kommt ein interkultureller Austausch mit den Muslimen auf der Ebene eines unkomplizierten Miteinanders, getragen von gegenseitigem Respekt und gastfreundlicher Fürsorge.

Dr. theol. Michael Gmelch ist Priester, Buchautor und Therapeut. Weitere Informationen auf seiner Website.

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Datum: 12.06.2025
Autor: Dr. Michael Gmelch
Quelle: Magazin Aufatmen 02/2025, SCM Bundes-Verlag

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