Er hat den nach George Frederick Jewett benannten Lehrstuhl für Religion and "Public Policy" am "American Enterprise Institute" inne, an dem er zudem leitender Direktor für Soziale und Politische Studien ist. Der Theologe erläutert in seinem Buch „Der weltweite Hunger nach Freiheit: Warum der Zusammenprall der Kulturen doch vermieden werden kann". In einem Interview mit Zenit erläutert Professor Novak die Bedeutung von Freiheit und inwiefern Demokratie die politische und wirtschaftliche Freiheit sowie die Suche nach Wahrheit beeinflusst. Michael Novak: Die Freiheitsstatue, ein Geschenk Frankreichs an die Vereinigten Staaten vom Jahre 1886, zeigt eine ernste Frau als das Symbol von Freiheit. In einer der ausgestreckten Hände hält "Lady Liberty" die Fackel der Erkenntnis den Nebelschwaden der Leidenschaft und der Finsternis der Unerfahrenheit entgegen. In der anderen Hand hält sie das Buch des Gesetzes. In einem alten amerikanischen Kirchenlied singt man: "Confirm thy soul in self-control, thy liberty in law" ("Stärke deine Seele durch die Selbstbeherrschung und deine Freiheit durch das Gesetz"). Der theologische Hintergrund der Statue wird zumindest in Amerika so verstanden: Der Schöpfer hat das Weltall deshalb geschaffen, damit es auf der ganzen Welt zumindest ein Geschöpf gäbe, das fähig wäre, das Angebot seiner Freundschaft aus freien Stücken anzunehmen – es anzunehmen oder eben zurückzuweisen. Wenn dieses Geschenk Freundschaft war, dann musste dieses Geschenk auch freiwillig gegeben werden. Freiheit ist die notwendige Bedingung für Freundschaft zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Gott. Das ist der theologische Hintergrund. In Amerika gibt es aber auch noch einen historischen und politischen Hintergrund: William Penn, der Gründer von Pennsylvania, mein Herkunftsstaat, gehörte zur "Society of Friends" oder den "Quäkern", die ihre neue Kolonie auf dem Ideal der allen Menschen angebotenen Freundschaft Gottes aufbauen wollten, auf die sich der Mensch einlassen sollte. Deshalb wurde die Hauptstadt auch Philadelphia genannt, "Stadt der Liebe zwischen Brüdern". Penn schrieb im ersten Artikel der Charta von Pennsylvania über das Prinzip der Freiheit. Wenn Freundschaft, dann Freiheit. Schliesslich gibt es einen philosophischen Hintergrund: Wie Lord Acton sagte, ist Freiheit nicht etwa das Recht, das zu tun, was man will, sondern das Recht, das zu tun, was man tun sollte. Die anderen Tiere tun das, was sie gerade möchten, was immer ihnen ihre Instinkte eingeben. Dem Menschen dagegen ist die Fähigkeit gegeben, den eigenen höheren Einsichten, seinem Verstand und seinem Urteil zu folgen. In sich selbst verspürt er den Anruf, den Verstand zu gebrauchen, um Herr seiner Entscheidungen zu sein. Der Mensch ist also sozusagen ein Selbst-Verwalter. Darin besteht also die Freiheit, zu der jeder Mensch berufen ist: im Hunger, Herr der eigenen Entscheidungen zu sein und das eigene Schicksal selbst zu bestimmen. Darin sind wir Abbild unseres Schöpfers. Und das macht uns auch als "zoon politikon", als soziales Wesen, aus, denn gemeinsam argumentieren wir über unser gemeinsames Leben. Es gibt da viele Verbindungslinien. Nehmen wir einmal an, dass es ein ordnendes Wahrheitsideal nicht geben würde. In diesem Fall könnten, wenn irgendjemand von Kriminellen angegriffen würde und darüber seine Beklemmung kundtäte, die Kriminellen voller Recht erwidern: "Aber das ist nur Ihre Meinung. Unserer Meinung nach ist es genau das, was Sie verdienen." Der alte Ausspruch "Wahrheit macht frei" ist ein sehr starkes Argument und verdient grosse Beachtung, gerade auch in politischer Hinsicht. Wie kann man einen Dialog führen, bei dem alle Gesprächspartner durch ein ordnendes Wahrheitsideal gebunden sind, so dass jeder Beweise vorbringen muss, die von den anderen als nahe an der Wahrheit oder wahrheitsferner beurteilt werden können? Und wie können wir das in einer Weise tun, damit alle zusammen voneinander lernen können und weiterkommen auf dem Weg nach einem volleren Verständnis der Wahrheit? Keiner von uns besitzt die ganze Wahrheit, ja im Gegenteil: Jeder von uns wird im Licht der Wahrheit beurteilt werden, das grösser ist als wir. Die Seele ist es, die die anderen beiden Bereiche belebt. Wenn die Tugenden, die zur moralischen Freiheit gehören, schwächer werden, so geschieht dasselbe auch auf der Ebene der wirtschaftlichen und der politischen Freiheit. Die Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit, praktischer Realismus und Selbstbeherrschung – Mässigkeit – sind in einer Demokratie und einer dynamischen, kreativen Wirtschaft unentbehrlich. Mit moralischer Freiheit meine ich das Recht, das zu tun, was man tun soll, und nicht das, was man tun möchte. Tiere können nur ihren Instinkten folgen. Aber der Mensch hat das Recht und die Pflicht, in den eigenen Instinkten den vernünftigen Weg und das Gesetz Gottes wahrzunehmen und über sich selbst zu herrschen, indem man diesem Gesetz folgt, das zur Freiheit führt. Mein Denkansatz zu dieser Frage wurzelt in den schrecklichen Erfahrungen unserer Zeit. Ohne Zögern oder Nörgelei wird der Holocaust der Hitlerzeit von allen, nicht nur von einigen wenigen, als etwas Böses betrachtet. Die allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen ist gleichsam die Folge einer Serie von Handlungen, die von der zivilisierten Welt nie hätten begangen oder unterstützt werden sollen. Diese Verbote sind über eine Art negativen Weg erreicht worden, indem man gewisse spezifische Gräuel durchgemacht hat und übereingekommen ist, sie jenseits aller Geduld und Toleranz zu verabscheuen. Bei diesen Abmachungen spielten Juden und Christen beim Durchdenken all dieser Dinge eine Hauptrolle. Gott sei Dank hat Mary Ann Glendon an der "Harvard University" eine grossartige Studie über diese Errungenschaft verfasst. Sie nennt sich: "Ein neue Welt: Eleanor Roosevelt und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte". Ein anderer Gedankengang ist folgender: Wie können Menschen ihre Leidenschaften im öffentlichen Leben beherrschen, wenn sie sie schon nicht im Privatleben beherrschen können? Es besteht nämlich ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Selbstbeherrschung im Privatleben – ausgeprägte moralische Gewohnheiten bei Einzelnen – und der Selbstverwaltung im öffentlichen Leben. Dieser Zusammenhang wird einerseits durch den Wohlfahrtsstaat und andererseits durch die moralische Haltlosigkeit verdorben, die die Medien kultivieren. Diese moralische Korrumpierung der Demokratie von innen her verdirbt ihrerseits das intellektuelle Leben und entzieht einer gesunden Volksphilosophie – einer Moralphilosophie – den Boden. Glücklicherweise gibt es in der Geschichte immer wieder eine Art moralisches Erwachen. Die freie Welt hat ein solches Erwachen heute bitter nötig. Denn ist wahr, woran sich Charles Péguy durch ein an die Tür gehängtes Schild zu erinnern pflegte: "Die Revolution ist moralisch oder gar nicht." Nicht die Demokratie untergräbt die Suche nach Wahrheit, sondern die moralische Korrumpierung der Demokratie von innen her. Die Tatsache, dass Demokratie von der moralischen Kraft abhängt, macht sie so zerbrechlich und schwach. Sie bedarf ständiger Sorge und eines neuen moralischen Aufbruchs. Lesen Sie morgen den Zweiten Teil: Sehnsucht nach Freiheit (Teil 2):
Was bedeutet "Freiheit" für Sie?
Worin besteht die Verbindung zwischen Freiheit und Wahrheit?
Wie beeinflusst die Freiheit die politische und wirtschaftliche Freiheit?
Sie behaupten also, dass Freiheit und Demokratie eine objektive moralische Ordnung verlangen. Untergräbt nicht aber die Demokratie objektive Wahrheiten?
Kann der "Zusammenprall der Kulturen" tatsächlich verhindert werden?
Datum: 04.07.2005
Quelle: Zenit